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Lady Gaga: Ihr zweites Manifest des Billigen

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Lady Gagas am Montag erschienes Album "Born this Way" wurde mit dem üblichen Getöse veröffentlicht. Musikalisch dominieren Eighties-Sound-Design und Proll-Techno, textlich offeriert es jede Menge Anzüglichkeiten.

Zehn Millionen Fans auf Twitter und fast 35 Millionen Facebook-Freunde bilden das Rückgrat des Monsters, das sie erschaffen hat: „The Fame Monster“ nannte Lady Gaga die Zugabe zu ihrem Debütalbum. Mit „Monster“ spricht sie auch ihre Freunde in Internet-Videos an, dankt ihnen: „Hey little monster, it's me, Gaga. I really appreciate how you guys have been so supportive, waiting outside the hotel, sending all these notes to me... It really means the world to me.“ Die virtuellen Depeschen nennen sich „Gagavisions“, werden über YouTube in die Systeme gespeist. Darin weint sich die Lady hollywoodesk die Schminke aus den Augen, verflucht ihre Selbstzweifel, lobt ekstatisch die Hingabe ihrer Fans.

Im Errichten einer Scheinintimität agiert Lady Gaga ebenso virtuos wie im Düpieren etablierter Medien. Ihrem gestern erschienen Album „Born this Way“ ging ein monatelanger medialer Zirkus voran, der die Spekulationen anheizte. Aus Angst, dass das Album vor Veröffentlichung ins Internet „leaken“ könnte, wurden die Rezensionsexemplare extrem lang zurückgehalten. Statt Kritiken, die den grellen Kirmesprunk decouvrieren, erschienen orakelhafte Essays und hysterischer Jubel über die ach so virtuose Art, mit der sie auf der Medienklaviatur spielt.

Kindertechno: „Government Hooker“

Das aufwändige Ablenkungsmanöver scheint gelungen. Musik spielt in ihrem egozentrischen Universum schließlich die geringste Rolle. Sie ist nur Mittel zum Zweck, die Hirne und Herzen ihrer vorwiegend pubertierenden Fans mit der Idee zu kolonisieren, dass Wahrheit nur hinter der totalen Maske zu finden sei. Im heftig pochenden Kindertechnostück „Government Hooker“ gibt Lady Gaga die Richtung vor: „I can be anything, I'll be your everything.“

Das vom britischen Dichter Samuel Coleridge geliehene Motto, das der Medienwissenschaftler Neil Postman 1985 in seinem Buch „Amusing Ourselves to Death“ seiner Definition einer völlig dekontextualisierten Informationsumwelt voranschickte, passt ganz gut auf die virtuelle Welt von Lady Gaga: „Wasser, Wasser überall, aber kein Tropfen zu trinken.“ Die Urteilsfähigkeit, die der Buchdruck gefördert habe, sei durch die Erfindung des Telegrafen unterminiert worden. In der Telegrafie ortete Postman den Sündenfall, sie habe Information zur mobilen Ware gemacht, Belanglosigkeit, Handlungsunfähigkeit und Zusammenhangslosigkeit in den Diskurs gebracht. Lebte Postman (1931–2003) noch, er würde sich wundern, wie krass die Verflachung durch die neuen „sozialen“ Medien wie Facebook und Twitter fortschreitet. Sie richten unverschämte Appelle an die primitivsten Schichten des menschlichen Bewusstseins, lösen Diskussionen aus, die früher an der Bassena geführt wurden. Um Lady Gagas Wasserhahn gruppieren sich Heerscharen Deutungswilliger. So nebulos kann keine Lady-Gaga-Äußerung sein, dass sie nicht mit küchenpsychologischem, astrologischem und zuweilen Paolo-Coelho-philosophischem Furor ausgelegt wird.

„Heavy Metal Lover“ mit Whiskey-Atem

Arbiträrem wird Sinn zugesprochen, im Banalen werden Rätsel geortet. Die Fantasie der Fans kennt keine Grenzen, schließlich wird beim Lesen des umfassenden semiotischen Systems Gaga – wie bei der Lektüre des Horoskops – alles Unliebsame herausgefiltert und viel Eigenes hineinprojiziert.

Ist Lady Gaga gar kein irdisches Wesen, sondern der Avatar des dreizehnten Sternzeichens? Ein Indiz dafür wäre, dass sie sich auf den Liedern von „Born this Way“ verdächtig menschlich gibt. In „Hair“ beweint sie die elterliche Verfügungsgewalt über ihren Körper: „Whatever I'm dressed cool, my parents put up a fight (uh huh uh huh), and if I'm hot shot, mom will cut my hair at night.“ In „Heavy Metal Lover“ träumt sie vom mit Alkohol-Atem vollführtem Cunnilingus: „I want your whiskey mouth all over my blonde south.“ Und im brutal technoid böllernden „Scheiße“ lässt sie die eigene Zunge teutonisch schnalzen: „Aus-be Aus-can-be flaugen Fräulein uske-be clair“. Der zugehörige Refrain macht alles klar: „I'll take you out tonight, Say whatever you like, Scheiße, Scheiße, be mine.“ Soll sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2011)

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