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Jazzfestival Inntöne: Die imperiale Macht des Jazz

(c) Inntoene / Roderick Mickens
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Azar Lawrence und Carlos Garnett, fast vergessene John-Coltrane-Adepten, waren in diesem Jahr die Höhepunkte in Diersbach (OÖ). Das Jazzfestival Inntöne präsentierte sich zwischen Transzendenz und Frohsinn.

Es gibt zwei Arten von Jazzfestivals. Jene, die der Illusion der ewigen Progression der Avantgarde huldigen, und jene, die die Idee des Jazz auf so viele Genres erweitern, dass nur mehr eine Worthülse bleibt. Die Inntöne gehen einen dritten Weg. Ihr Impresario, der Posaunist Paul Zauner, versammelt mit großer Liebe noch nicht entdeckte oder fast vergessene Größen des afroamerikanischen Jazz und der Weltmusik. Dabei ist kein Aufwand zu groß.
Zauner steht in enger Tuchfühlung mit der aktuellen Szene Harlems, die dieser Tage einer neuen Blüte zustrebt. Und er ist so leidenschaftlich, sich Künstler zu suchen, die keine der so häufig einfallslos agierenden internationalen Konzertagenturen anbieten.  Heuer war das etwa der extra aus Panama eingeflogene, wunderbare Saxofonist Carlos Garnett, ein Mann, der an der Seite von Charles Mingus und Miles Davis Großes geleistet hat, aber auch mit genialen Soloalben wie „Black Love“ Jazzgeschichte geschrieben hat. Er spielt immer noch so spirituell und freigeistig, wie man es von einem John-Coltrane-Adepten erwartet. Sein Auftritt im Quartett war einer der erwarteten Höhepunkte. Stücke wie „Enchanted Oasis“ und „Rose Africana“ zeigten ihn als begnadeten Melodiker. Die Stücke mochten heftig grooven oder freejazzig tosen, am Ende obsiegte doch die eindringliche Melodie. Und wenn Garnett das Tempo mit zart stotternden Synkopen beschleunigte, wie in „Catch Me If You Can“, dann glaubte man sich vollends zurück in den Siebzigerjahren, seiner größten Zeit.
Weil er sich dem Anpassungsdruck der sich rasant ändernden Jazzszene jener Dekade entziehen wollte, ging er zurück nach Panama. Der Idee eines transzendentalen Jazz, der eitler Gefallsucht und schnöder Gewinnabsicht großräumig ausweicht, ist er treu geblieben. „We burn the barn down“, versprach er Zauner vor seinem Auftritt. Er tat es auf zwei Weisen. Mit flammenspeienden Scats im rasanten „Flintstones“ und noch aufregender mit still simmernden Hitzen wie im verführerischen „Shakira (The Glory Of God)“. Davell Crawford, Pianist und Sänger aus New Orleans, hatte es mit seiner Soloperformance danach nicht leicht.

Melba Joyca: Fast wie „Ella“

Schuld daran trug nicht allein der lange Schatten Garnetts. Es war diese Diskrepanz zwischen seinem würzigen, tadellosen Pianostil und einer erstaunlich ausdrucksarmen Stimme, die verwirrte. Crawford herzte New-Orleans-Klassiker aus allen Dekaden. Die Sperrigkeit des Gesangs verflog spät. Erst bei Abbey Lincolns „Throw It Away“ musste man auch dieser eigentümlichen Stimme Beseeltheit zusprechen. Anderntags ging es die Sängerin Melba Joyce ganz anders an. Es war der fröhliche, energiegeladene Ansatz einer Ella Fitzgerald, der ihren umjubelten Auftritt prägte. Absolutes Highlight war aber der famose Saxofonist Azar Lawrence. Der aus L. A. gebürtige Musiker, der mit so unterschiedlichen Größen wie Miles Davis, Marvin Gaye sowie Earth Wind & Fire aufgenommen hat, war früher für seine delikaten Fusionsounds bekannt. Heute spielt er den multidimensionalen Sound, der ihn einst zum Musikerdasein verführt hat, jenen von John Coltrane.
Lawrence verführte kraftvoll mit Eigenem wie „Summer Solstice“, attackierte mit McCoy Tyners „Walk Spirit, Talk Spirit“ und sogar mit Coltranes heiligem „A Love Supreme“. Das extrem lustvoll agierende Quartett demonstrierte, dass Jazz immer noch eine imperiale Macht sein kann.

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