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Seun Kuti: „Religionen sind eines der Probleme Afrikas“

(c) LAURENT GILLIERON / EPA / pictur (LAURENT GILLIERON)
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Der jüngste Sohn von Afrobeat-Begründer Kuti gilt wie sein Vater als zornige Stimme Afrikas. „Die Presse“ sprach mit ihm über Heilsfiguren, Marktöffnung und Musik, Freiheit und die Intervention in Libyen.

Wie geht es Ihnen als Bürger von Nigeria, eines Staates, der lange Zeit britische Kolonie war, mit der militärischen Intervention der EU in Libyen?

Ich halte sie für Unsinn. Man schickt Bomben, um einen Volksaufstand zu verkürzen. Aber jede Revolution nährt sich von vergossenem Blut. Jede Erhebung braucht als Fundament das ganz große Leid. Die Unterstützung für die Revolutionäre ist kontraproduktiv und eigentlich nur eine lahme Entschuldigung für das Verfolgen wirtschaftlicher Interessen. Die Bomben über Tripolis sind eine Art Investment. Später wird man Firmen schicken, die am Wiederaufbau verdienen. Diese No-fly-Zone ist eine einzige Scheinheiligkeit.

Sie singen auf Ihren Tourneen auch kämpferische Lieder Ihres Vaters Fela. Eines davon besonders oft: „Shuffering And Shmiling.“ Warum?

Die antiklerikale Botschaft dieses Liedes ist mir wichtig. Religionen sind eines der Probleme Afrikas. All diese imaginierten Heilsfiguren halten die Menschen vom Kampf für ein besseres Hier und Heute ab. Die Priester sammeln reichlich Spenden, versprechen himmlisches Heil und leben selbst auf Erden auf Kosten der Gläubigen gut. Ohne Skrupel verkaufen diese Kirchen falsche Hoffnung. Gerade die, die gar nichts haben, glauben am stärksten an Wunder. Das schmerzt.

Welche Art von Erhebung propagieren Sie auf dem neuen Album „From Africa With Fury: Rise“?

Ich wünsche mir die Entstehung einer afrikanischen Zivilisation. Was Europa so stark gemacht hat, ist, dass jede Generation versuchte, ihre Kinder klüger zu machen. Eine starke Mittelklasse macht das Rückgrat jeder erfolgreichen Gesellschaft aus. Das funktioniert in Afrika leider nicht. Das Bildungswesen ist inferior. Wenn du etwas Besseres willst, musst du jemanden in der Verwaltung kennen, es mit Liebedienerei oder Bestechung versuchen. „Rise“ beschwört die Menschen, an sich selbst zu glauben. Wir müssen uns endlich dazu entscheiden, frei zu sein. Freiheit kann dir nicht gegeben werden, Freiheit musst du dir nehmen. Das hat die Französische Revolution wohl am besten gezeigt.

Sie standen schon früh mit Ihrem Vater Fela auf der Bühne...

Sehr früh. Mit acht Jahren trat ich im Shrine auf, einem Club in Lagos, den mein Vater Fela führte. Ab da war ich auch immer mit ihm auf Tournee. Ein Jahr später durfte ich im Apollo Theater in New York zum ersten Mal mit auf die Bühne. Der erste Song, den ich konnte, war „Sorrow, Tears And Blood“, ein Klassiker im Afrobeat-Repertoire.

Wie erinnern Sie sich an Ihren Vater?

Fela hatte eine Mission in seinem Leben, der er alles unterordnete. Er ließ sich von nichts und niemandem davon abbringen, die furchtbaren Zustände in Afrika anzuprangern. Das war in einem Land wie Nigeria nicht einfach, vor allem nicht, wenn einer Lieder schreibt wie „Coffin For The President“. Man hat ihn zeitweilig ins Gefängnis gesteckt. Trotz vieler Leiden ist er immer gestärkt wiedergekommen.

Hat sich seit Fela Kutis Tod etwas an der Lage in Nigeria verbessert?

Nicht für die einfachen Menschen. Afrobeat ist immer noch die Musik der politischen Opposition. Sie richtet die Menschen auf, gibt ihnen Mut. Die lokalen Politiker sind nur am Big Business interessiert. Multinationale Konzerne machen nach wie vor Riesengewinne auf Kosten des einfachen Mannes. Es gibt also Stoff genug für kritischen Lieder.

Auf Ihrem neuen Album haben Sie mit Brian Eno gearbeitet. Warum?

Mir ging es darum, Protestsongs zu schaffen, die kein Ablaufdatum haben. Und Brian Eno kann etwas so Sterilem wie einer CD viel Leben einhauchen. Die Leute haben sich früher immer beklagt, dass meine Liveauftritte viel besser seien als meine Aufnahmen. Damit hat Eno aufgeräumt.

Ihre neuen Lieder tragen Titel wie „Slave Masters“ und „Mr. Big Thief“. Haben sich denn mit der viel beschworenen Globalisierung nicht doch einige Dinge zum Besseren gewendet?

Selbst wenn ich mich anstrenge, ich kann keine positiven Aspekte finden. Was bedeutet Globalisierung in der Praxis? Große Länder können kleine Länder besser ausbeuten. Die einzige Ebene, auf der der rasche Austausch klappt, ist Kommunikation.

Was muss sich ändern?

Wenn die Amerikaner Afrika helfen wollen, dann müssen sie ihren Markt für afrikanische Baumwolle öffnen. Ein Ende dieses Protektionismus würde wohl die üblichen Hilfszahlungen obsolet machen. Auch im Handel mit der EU gibt es immer noch viele Hindernisse: Entwicklungsländer werden mittels Zollbestimmungen und Einfuhrbeschränkungen von den großen Märkten ferngehalten. Das vertieft die Probleme in Afrika, weil uns der Ertrag für unsere Rohstoffe vorenthalten wird. Es ist schlecht, dass es keine afrikanischen multinationalen Konzerne gibt. Die großen Firmen kommen in unsere Länder und bringen gleich auch ihr Personal mit. So kann in armen Ländern keine Entwicklung in Gang gesetzt werden.

Vater und Sohn

Fela Kuti (1938 bis 1997) war Menschen-rechtsaktivist in seiner Heimat Nigeria und Begründer des Afrobeat, einer Mischform aus Funk, Jazz und nigerianischen Rhythmen.

Seun Kuti (geb. 1982) pflegt wie sein Bruder Femi das musikalische Erbe seines Vaters Fela Kuti; er übernahm auch seine Band Egypt80. Vor einer Woche trat er beim Jazzfest Wien auf. Kürzlich ist sein – nach „Many Things“ (2008) – zweites Album erschienen: „From Africa With Fury: Rise“, produziert von Weltmusikpionier Brian Eno.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2011)

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