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Pink Floyd und das Lachen des Narren

Pink Floyd Lachen Narren
Pink Floyd Lachen Narren(c) AP
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Just zum 80.Jubiläum der Langspielplatte veröffentlicht die kriselnde Firma EMI Luxusausgaben von "Dark Side Of The Moon" und anderen Alben von Pink Floyd. Eine Erinnerung an mächtige Elegien.

The lunatic is in my head“: Ein unwiderstehliches närrisches Lachen folgt dieser Zeile des Songs „Brain Damage“: Es ist das meistverkaufte närrische Lachen auf Schallplatte, es ist der vorletzte Track des Albums „The Dark Side Of The Moon“, das seit seinem Erscheinen 1973 über 45 Millionen Mal verkauft wurde. Nur Michael Jacksons „Thriller“ war kommerziell erfolgreicher, heißt es, und „Back In Black“ von AC/DC, fasse es, wer's zu fassen vermag. Wer in den Siebzigerjahren mit Räucherstäbchen und indischen Schals aufgewachsen ist, hat „Dark Side“ im Kopf, ob er will oder nicht, vom Herzschlag zu Beginn bis zum Herzschlag am Schluss. Die Uhren aus „Time“, der Flugzeugabsturz in „On The Run“, das Geldgeklimper aus „Money“, sie haben ihre Schuldigkeit getan, in Partykellern und als Soundtrack zu unzähligen Dokumentationen. HiFi-Händler haben mit „Dark Side Of The Moon“ die Qualität ihrer Ware demonstriert, Kopfhörer wurden damit getestet: Hörst du dieses irre Lachen?

Die Plattenfirma EMI hat nicht mehr viel zu lachen, das hört man seit Jahren, selbst die berühmten Abbey Road Studios, vor denen heute noch tagtäglich Touristen im Beatles-Schritt über den Zebrastreifen gehen, sollen vor dem Verkauf stehen. Auch „Dark Side Of The Moon“ wurde dort aufgenommen. Und dieses Album und die anderen Alben von Pink Floyd müssen so wie das Œuvre der Beatles herhalten, wenn es gilt, die Firma zu retten, solange sie noch zu retten ist. Es wäre närrisch, sie nicht regelmäßig wiederzuveröffentlichen, in immer luxuriöseren Ausgaben, solange es noch ältere Menschen gibt, die Tonträger zu kaufen bereit sind. „Money, it's a hit.“

80 Jahre war es gestern her, dass in New York die erste Langspielplatte mit 33 Umdrehungen pro Minute vorgestellt wurde – mit einem Teil von Beethovens Fünfter. Kurz danach wurden die Abbey Road Studios errichtet. Kaum eine Platte passt besser zu diesen Jubiläen als „Dark Side Of The Moon“, dieses konzeptuellste aller Konzeptalben, das Pink-Floyd-Bassist Roger Waters in der ihm eigenen Hybris als Abbild der gesamten, aus den Fugen geratenen Welt entwarf. „All that is now, all that is gone, all that's to come, and everything under the sun is in tune, but the sun is eclipsed by the moon“: So endet „Eclipse“, der letzte Song des Albums, und dann kommt noch ein gemurmelter Satz: „There is no dark side of the moon really. As a matter of fact it's all dark.“ (HiFi-Spione behaupten, dass man danach noch einen Fetzen von „Ticket To Ride“ von den Beatles hört, sozusagen als Aura der Abbey Road Studios.)

Die Welt als Scheibe – und auf dem Cover ein Prisma, das das Licht in Farben zerlegt, im Inneren die Pyramiden: Großsprecherischer, prätentiöser, im Wortsinn: anspruchsvoller konnte Pop nicht mehr werden. („The Wall“ war sechs Jahre später ein letztlich gescheiterter Versuch, diesen Anspruch noch einmal zu stellen, mit noch dicker aufgetragener Zivilisationskritik.) Und das noch mit angenehmem, zum Schmusen und Schmausen geeigneten Sound! Weltschmerz fürs Wohnzimmer. Danach musste Punk einfach kommen, mit einem angewiderten Johnny Rotten, der auf sein Pink-Floyd-T-Shirt die Worte „I hate“ schmierte. Dass seine Abscheu nicht so weit weg von der Angst und dem Zorn war, die Roger Waters trieben, konnte er nicht merken.

Und vom Wahnsinn. „I've been mad for fucking years, I've always been mad, I know I've been mad“, sind die ersten Worte auf dem Album „Dark Side Of The Moon“, das zunächst den Untertitel „A Piece for Assorted Lunatics“ tragen sollte. Es ist nicht abwegig, hinter dieser Beschwörung des Irrsinns die Erinnerung an den Gründer von Pink Floyd zu spüren: an Syd Barrett, der tatsächlich erst verrückt und dann stumpfsinnig wurde, dessen erste Soloplatte, 1970 erschienen, „The Madcap Laughs“ hieß. Auf dem nächsten Pink-Floyd-Album „Wish You Were Here“ (1975) waren sowohl das Titelstück als auch die Suite „Shine On You Crazy Diamond“ ihm gewidmet; bei den Aufnahmen kam es zu einer schaurigen Begegnung: Ein aufgedunsener, kahlköpfiger, verwirrter Mann drängte sich ins Studio. Erst zu spät bemerkten die Musiker: Er war es gewesen, Syd Barrett, der „crazy diamond“ selbst, und sie hatten ihn nicht erkannt, nicht Fish und Chips mit ihm geteilt.

War alles, was Pink Floyd nach Syd Barrett aufnahmen, nur bombastische Trauerarbeit? Dabei ein konsequenter Niedergang, bis in die Tiefen des Kommerzes? Strenge Hüter des Underground – ob sie sich nun gerade „progressive“, „alternative“ oder „independent“ nennen – vertreten diese Auffassung seit Jahrzehnten. „Billiger Gebrauchsrock vom Fließband“ schrieb die damals angesehene deutsche Zeitschrift „Sounds“ in ihrer Kritik von „Dark Side Of The Moon“. Der Kommerzvorwurf hat Roger Waters, links sozialisiert und ohnehin von Schuldgefühlen ob seines relativen Reichtums geplagt, schwer getroffen: In Interviews verteidigte er sich wortreich, etwa gegen die Kritik eines Mitglieds von Genesis (!), das „Dark Side Of Moon“ als „high class muzak“ (Fahrstuhlmusik) bezeichnete. Der „junge Mann“ würde schon sehen, antwortete Waters bitter, jetzt wo Peter Gabriel – „ihr Syd Barrett, wenn man so will“ – Genesis verlassen habe...

Das Klischee, Pink Floyd seien nur unter dem großen, irren Barrett relevant gewesen, ist auch musikalisch ein Unsinn. Natürlich sind „Piper At The Gates Of Dawn“ und die frühen Singles wie „See Emily Play“ Meisterwerke des britischen Psychedelic, der ja viel verschrobener, verspielter, kindlicher war als sein amerikanisches Pendant, der mehr mit Lewis Carroll zu tun hatte als mit Jack Kerouac. Doch was Pink Floyd nach Barretts Ausscheiden entdeckten, war mehr als Erinnerung und Trauer. Diese ehemaligen Architekturstudenten aus Cambridge entwickelten – parallel zu Geistesverwandten des deutschen Krautrock – die Kunst, aus einfachsten Materialien und sehr viel Zeit majestätische musikalische Bauwerke zu errichten, die heute noch berühren. Man höre nur das beschwörerische „Set The Controls For The Heart Of The Sun“, die Hölle-Himmel-Wanderung „A Saucerful Of Secrets“ oder das aus verfremdeten Möwenschreien wachsende, schwellende und wieder vergehende „Echoes“. Aus dieser mittleren Phase von Pink Floyd sind etliche Stücke in ihrer vollen Größe leider bis heute nur auf Live-Schwarzpressungen erhältlich: die lange Version von „Fat Old Sun“ etwa oder das inbrünstige „Embryo“. Die Plattenfirma EMI würde sich große Verdienste erwerben, wenn sie diese Aufnahmen veröffentlichte.

Die interessantesten Tracks des gigantomanischen „Immersion Boxset“ sind so auch Stücke aus ungebügelten, noch nicht perfekt produzierten Frühformen von „Dark Side Of The Moon“: die „Travel Sequence“ etwa, die an der Stelle von „On The Run“ stand, oder die „Mortality Sequence“, auch „Religion“ genannt, eine Urversion von „The Great Gig In The Sky“, in der Aufnahmen von Predigern oder Bibellesungen abgespielt wurden – wie später in „Sheep“ auf dem unterschätzten Album „Animals“ (1977) der 23.Psalm.

Faszinierend ist auch „Hard Way“, ein Stück aus dem „Household Objects Project“: Überrascht und irritiert vom großen Erfolg von „Dark Side“, versuchten Pink Floyd 1973 ganz bewusst, ein definitiv nicht „kommerzielles“ Album aufzunehmen – und dazu ausschließlich Haushaltsgeräte als Instrumente zu verwenden. Das Ergebnis klingt wie die minimalistische Instrumental-Version einer Grace-Jones-Nummer, mit klirrenden Löffeln und schabenden Messern – und hätte den Ruf von Pink Floyd als Avantgardisten für Jahrzehnte gesichert. Sie hatten's nicht notwendig. Und entschieden sich völlig zurecht stattdessen für „Wish You Were Here“: die große, rührende Elegie für Syd Barrett, ergänzt um zwei Songs, in denen Waters in einer Mischung aus Selbstmitleid und Selbstanklage die „Maschinerie“ der Popgeschäfts anklagte: „Have A Cigar“ und „Welcome To The Machine“.

Am Ende dieses Songs kommen nur mehr Maschinengeräusche, die abrupt aufhören – mit einer geglückten Landung? Dann hört man Geräusche eines Publikums, das sich offenbar gut unterhalten hat und herzlich lacht. Ein (vorläufig) letztes, freundlich-ironisches Echo des närrischen Lachens.

Veröffentlichungen in drei „Wellen“

14 reguläre Alben haben Pink Floyd veröffentlicht: „The Piper At The Gates Of Dawn“, „A Saucerful Of Secrets“, „More“, „Ummagumma“, „Atom Heart Mother“, „Meddle“, „Obscured By Clouds“, „The Dark Side Of The Moon“, „Wish You Were Here“, „Animals“, „The Wall“, „The Final Cut“, „A Momentary Lap Of Reason“, „The Division Bell“. Sie erscheinen alle am 23.9. in einer neuen Auflage, „digitally remastered“ – was bei dieser Band, der der Klang so wichtig war, seltsam anmutet. Wer die alten Platten hat, kann auf die neuen Versionen verzichten.

„The Dark Side Of The Moon“ erscheint ebenfalls am 23.9. in einer „Experience-Edition“ (mit einer zweiten CD, die eine Liveaufnahme enthält) und als aufwendiges „Immersion Boxset“, mit diversen Liveaufnahmen und teils interessanten frühen Versionen der Songs. Ähnliche Luxuseditionen kommen im November von „Wish You Were Here“ und im Februar 2012 von „The Wall“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2011)

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