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Wolfgang Mitterer: „Tanzen wollen, das ist Musik“

(c) Julia Stix, Wien Modern
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Komponist Wolfgang Mitterer über die alt gewordene Neue Musik und die innovative Kraft der Elektronik. Er präsentiert sie beim Festival Wien Modern.

Die Presse: Wolfgang Mitterer, ein „Presse“-Kollege möchte wissen, warum Sie immer so grimmig schauen. Ich stelle die Frage anders: Sie stammen aus Osttirol, haben als Kind damit begonnen, in der Kirche Orgel zu spielen – kommt Ihre Musik bis heute aus einer gewissen Protesthaltung?

Mitterer (lacht): Das ist der keltisch-tirolerische Schädel, der kann nicht anders. Protesthaltung würde ich nicht sagen. Ich mag eine dynamische, bewegte, gestenreiche Musik, eine, die sich immer wieder stark verändert. Das wird zwar von manchen Leuten schon als Protest aufgenommen, aber ich seh das ganz anders, dichte Musik ist für mich etwas Schönes und hat mit Protest vorerst gar nichts zu tun.

Die Dichte Ihrer Kompositionen entsteht durch exakt notierte Parts, spezielle Improvisationsfelder und reichhaltige Elektronik. Wie weit gehen Sie auf die jeweiligen Interpreten ein?

Es ist ein Riesenunterschied, ob man ein Projekt für Musiker baut, die im Improvisieren geübt sind, oder für Orchestermusiker. Das sind verschiedene Welten. Ich finde jedenfalls wichtig, dass die Musiker, wenn sie schon auf der Bühne sitzen, auch etwas zu tun haben, weil dann der Konzentrationsgrad steigt. Das sagen auch alle Dirigenten: Wenn die ganze Band gut beschäftigt ist, kommt viel mehr rüber, bekommt die Musik mehr Druck in Richtung Publikum. Die installierte Neue Musik, bei der Ton für Ton abgehandelt wird, möglichst nur mit Luft und ein paar Geräuschen – das ist nicht meins. Das ist auch schon wieder eine Alte Musik. Stücke, bei denen man am Anfang sofort weiß, wie sie weitergehen. Da ist der Überraschungseffekt eher gering. Ich neige sogar manchmal dazu, das weniger als Musik zu betrachten, sondern mehr als Installation. Das eignet sich hervorragend für Mitschnitte und Radioübertragungen, weil die Ereignisse genau gesetzt sind – aber es wird irgendwann langweilig. Da ist mir eine intensivere Musik lieber, bei der die Musiker freier aufspielen können. Das ist natürlich auch anstrengender. Laute, kräftige Musik zu machen ist sicher schwerer, weil die Zeit kürzer ist, man muss mehr reinpacken.

Sie hatten gerade mit „Little Smile“ großen Erfolg in Donaueschingen, nun folgt bei Wien Modern ein ganzer Mitterer-Schwerpunkt. Wie unterscheiden sich diese Festivals?

Donaueschingen ist ein Uraufführungsfestival, dort kommen die schwarz gekleideten Kritiker und Künstler, das ist eine Situation, die man mit nichts vergleichen kann. Wien Modern hingegen ist deshalb so attraktiv, weil es ganz unterschiedliche Leute anzieht, neben den klassisch Interessierten auch Architekten, Maler, Menschen, die sich allgemein für neue Kunst interessieren. Nur bei solchen Festivals kann man in der Neuen Musik noch frei komponieren, sagen und schreiben, was man denkt. Sonst wäre es vorbei mit dem Vorantreiben von Techniken, dem Erfinden von neuen Kompositionsweisen – um eben ein Stück zu erhalten, das in gewissen Teilen zumindest so klingt, wie es noch nie zu hören war. Das wäre am schönsten, da wäre ich am liebsten zu Hause. Und dabei hilft natürlich die Elektronik. Weil sich der Instrumentenbau nicht mehr verändert, kann man mit der Elektronik veränderte, ungehörte Klangwelten zeigen.

Wie stark entwickelt sich die Elektronik heute noch weiter?

Sie ist jedenfalls allgegenwärtig und wird noch zunehmen. Schon heute bestehen 90 Prozent der Musik aus Elektronik, da muss man nur Radio oder Fernsehen aufdrehen. Da ist alles elektronisch erzeugt oder bearbeitet. Die wichtigsten Entwicklungsschritte sind sicher schon getan. Epochale Erfindungen wie Sampling und Keyboardspielen wird es mit der heutigen Datenmenge so schnell nicht mehr geben. Da sind eben die Komponisten gefordert, neue Klänge zu finden, neue Mischungen – dem ist kein Ende gesetzt. Natürlich, wenn jemand nur mit elektronischen Fabriksounds arbeitet und nicht die Klänge selbst formt, moduliert und prozessiert, dann wird auch das langweilig.

Hingegen arbeiten Sie ja seit Jahren an einem Riesenfundus von Samples weiter...

... die sich mit neuen Softwaretools immer weiter prozessieren. Aber das Wichtigste ist nach wie vor das Mischen, Filtern, Abstimmen. So kann ich auch auf das, was die Musiker live spielen, elektronisch reagieren. Ich vergleiche es gerne mit Malerei: Begriffe wie „aus dem Vollen schöpfen“ oder „Farbe kübelweise an die Wand werfen“ kann man mit Elektronik direkt musikalisch umsetzen. Trotzdem: Jeder Saal ist anders, jedes Orchester, jede Orgel. Gerne produziere ich eine dicke Partitur mit allem elektronischen Drum und Dran – streng und genau festgelegt –, gehe dann aber noch selbst mit auf die Bühne, um das Ganze live umzuformen.

Lebendige Musiker sind also weiter unerlässlich?

Auf die werden wir nie verzichten können, es geht ja beim Musikmachen vor allem um ein unaussprechbares Vokabular, zum Beispiel eine transzendente Verbindung zwischen den Köpfen. Es geht ja nicht darum, irgendwelche Töne zu installieren, sondern um gedankliche Kollisionen oder Kulminationen, darum, dass man plötzlich aufspringt und tanzen will: Das ist Musik. Dass fast alle traurig werden an einer Stelle. Oder vielleicht, so wie ich, grimmig schauen.

Zur Person

Wolfgang Mitterer, geboren 1958 in Lienz, Osttirol, studierte Orgel und Komposition. Er gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen österreichischen Komponisten und Pionier auf dem Gebiet der Elektroakustischen Musik. Sein Œuvre ist breit, es reicht von elektronischen Collagen über Kammermusik bis zu Oper und Orgelkonzert.

Wien Modern widmet Mitterer einen Schwerpunkt, bei dem u.a. seine Comic-Opera „Baron Münchhausen“ aufgeführt wird: www.wienmodern.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2011)

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