Pop

So schön lässt nur Brian Wilson die Sonne untergehen

(c) REUTERS (ALEX GALLARDO)
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„That's Why God Made the Radio“, das neue Album der Beach Boys, ist ein würdiges Spätwerk.

Als Korken, der auf der tobenden See treibt, stellte sich Brian Wilson in „'Til I Die“ vor, dem tiefsten, besten Lied über den Tod, das die Popmusik zustande gebracht hat. Das war 1971, Brian Wilson war noch keine 30 und schwer depressiv, verbrachte die meiste Zeit allein im Zimmer, abseits der Sonne und des Strandes, die er so innig besungen hatte. Heute ist er bald 70 und besser beieinander, der Tod freilich ist näher, hat schon zwei seiner Brüder geholt: Dennis Wilson ist 1983 ertrunken, Carl 1998 dem Lungenkrebs erlegen. Niemand hätte erwartet, dass Brian Wilson den Rest seiner Beach Boys – die er ja 1987 zum zweiten Mal verlassen hatte – wieder versammeln, mit ihnen gar ein neues Album aufnehmen würde.

Er hat's getan, es ist gut geworden, und das berührendste, zugleich kürzeste Stück ist wieder eines über den Tod, darüber, wie man sich vom Leben verabschieden kann. Bei Brian Wilson ist es – nein, nicht das Surfboard, das wäre kindisch, sondern eine andere kalifornische Obsession: eine Fahrt über den „Pacific Coast Highway“, hinein in die untergehende Sonne. Ein aufgeladenes Bild, das Wilson nicht ausmalt, nur knapp vorstellt, denn: „Sunlight's fading and there's not much left to say.“ Kurz begleitet ihn der wunderbare Männergesangsverein, der die Beach Boys noch immer sind, dann ist er wieder allein, bereit für den Westen. Es folgt noch „Summer's Gone“, das letzte Lied des Albums, mit der letzten Zeile: „We live, then die, and dream about our yesterday.“

Ein Paradies im Rückblick

Das Paradies, das die Beach Boys in anderen Songs dieses Spätwerks zeichnen, ist ein Teenage-Paradies. Und damit eine Seligkeit im Rückblick. Es geht um „those nights“ und „those things“, um jenes Radio und jenen Rock'n'Roll, jene Lebensfeier, auf die sich der große Naive Brian Wilson 1963, als sie noch hier und jetzt stattfand, verstand wie kein anderer: Euphorische Superhits wie „I Get Around“ oder „Fun Fun Fun“ sind ja genauso „wertvoll“ wie seine schwermütigeren Werke. Und schon zu Beginn zogen dann und wann, „In My Room“ etwa, die bösen Geister auf.

Heute sind die Beschwörungen der Beach Boys naturgemäß schwer nostalgisch. Dass sie nicht öd oder ranzig klingen, liegt an der großen Kunst Brian Wilsons, der die Stimmen nie zu rein harmonischen Prunkbauten türmt, sondern Dissonanzen setzt, die sich durchaus nicht im selben Takt auflösen: Schatten, die diese Sonnengesänge ambivalent machen. In „Shelter“ sucht Wilson Schutz nicht nur vor dem Sturm, sondern auch vor der Sonne; in „Strange World“ beobachtet er nur die Menschen auf dem „Santa Monica city pier“ – und da sind sie wieder, die Pauken, die seinen Stil auf „Pet Sounds“ prägten und dann auf „Smile“, dem missglückten Magnum Opus.

Nein, ein ganz großes Werk ist „That's Why God Made the Radio“ nicht, aber es steht gut neben durchwachsenen Alben wie „Surf's Up“. Und zumindest „Pacific Coast Highway“ wird bleiben, solange der Highway 1 offen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2012)

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