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Campino: "Weil wir Sport-Nerds sind"

Fußball und Punk. Campino, Sänger der "Toten Hosen", am Samstag bei Nova Rock im Programm, sprach mit der "Presse am Sonntag" über Touren, Tore und Hassliebe zu den Bayern.

Es muss ein Erfolgsjahr für Sie sein: Ihre Band feiert 30-jähriges Jubiläum, Ihr Lieblingsklub Fortuna Düsseldorf ist aufgestiegen, und Bayern München hat keinen Titel gewonnen. Ist das nicht zu viel des Guten?

Campino: Zuerst muss ich sagen, dass der Misserfolg der Bayern bei mir nicht so eine große Rolle spielt wie der Erfolg der Fortuna. Die Geschichte aber, dass wir so einen tollen Geburtstag feiern, weiterhin den Zuspruch der Fans bekommen, der Klub aufsteigt und unserer Song „Tage wie dieser“ durch das ganze Stadion gebrüllt wird, hat für mich Soap-Opera-Charakter. Wenn ich das als Drehbuch einreichen würde, würde die Filmförderung sagen: „Junge, kitschiger geht's wirklich nicht mehr!“

Woher rührt diese Hassliebe zu den Bayern? Aus ihr entstand ja auch Ihr böser „Bayern“-Song...

Die Bayern-Thematik zieht sich schon über viele Jahre. Als Fans eines Viertliga-Vereins haben wir uns damals verhalten wie Hunde, die den Mond anbellen. Vielleicht hätten wir das Lied anders gebracht, wenn Fortuna ein Gegner auf Augenhöhe gewesen wäre. It was a dirty job, but someone had to do it! Ich habe mich beim Champions-League-Finale für Chelsea gefreut, aber auch für einzelne Bayern-Spieler Mitleid empfunden. Etwa für Schweinsteiger: Dem hat man ja angesehen, dass er Mühe hatte, überhaupt vernünftig über den Platz zu laufen. Beim DFB-Pokalfinale war alles ganz anders: Chapeau, Dortmund! Gott sei Dank muss Bayern nicht immer als Sieger dieser Duelle hervorgehen.

Guantanamera, Che Sera, You'll never walk alone, Bayern – wieso finden manche Songs den Weg ins Fußballstadion?

Ich glaube, dass Musik alle Lebenslagen untermalt. Sie kann Stimmung vertiefen, Euphorie vermitteln oder Trauer ausdrücken. „Steh auf, wenn du am Boden bist“, „Auswärtsspiel“ oder „Tage wie dieser“ bringen Metaphern auf den Tisch, die im Sport verwendet werden. Wahrscheinlich haben wir solche Themen im Kopf, weil wir Sport-Nerds sind. Ob Eishockey, Fußball oder Skifahren, wir haben ständig einen Wettbewerb. Wir machen auch Spielchen im Tourbus. Und da ist Musik immer dabei. Wegen dieser Denkweise kommt unsere Musik wohl gut an, weil viele Menschen da ähnlich ticken wie wir.

Und, wie „ticken“ Sie? Wie sehr hat sich die Band in 30 Jahren verändert?

Wir haben damals die Toten Hosen gegründet, um mit ein paar Freunden Spaß zu haben und im besten Fall dem Alltag zu entkommen. Helden für eine Nacht und dann zurück ins normale Leben, das war's. Im Lauf der Jahre hat sich das komplett gedreht, wobei uns nie der Werdegang bewusst und klar war. Es war keine Jagd nach Karriere und Erfolg. Wir konnten uns gar nicht vorstellen, dass wir irgendwann davon leben könnten. Uns fällt der Rückblick auch leicht, weil wir ja von den Fans bestätigt wurden. Sie finden auch unsere neuen Lieder okay! Und deshalb gehst du immer noch gern auf die Bühne und spielst „Alex“ oder „Bommerlunder“. Wenn du über deine eigene Vergangenheit lachen kannst und nicht Gefahr läufst, zum Oldie-Abend zu werden, weil gleich danach Smokie und Suzi Quatro spielen...

Können Sie Ihre Hits nach all den Jahren selbst eigentlich noch hören?

Es ist in der Tat so, dass du dir die Fähigkeit erhalten musst, den Zugang zu deinen Liedern zu finden. Man darf seine Sachen nicht nur verwalten, abspielen oder runterlullern. Das hat ein Song wie „Alex“ auch nicht verdient. Wenn man den raushaut, muss das so sein wie beim ersten Mal. Das geht mit diesem Lied ganz gut, die Fans sind mit Leidenschaft dabei, dann brennt der Saal – genau wie damals. Und dann brennt es auch in dir selbst. Lieder, die das nicht geschafft haben, fallen raus, werden nicht erwähnt und auch nicht vermisst. Von niemandem.

Wie erleben Sie ein Konzert? Mit einem Bürojob ist es ja eher nicht vergleichbar.

Da muss ein Unterschied sein! Es sind unterschiedliche Berufe, die ich in ihrer Wertigkeit nicht beurteilen will. Im Büro brauchst du andere Qualitäten als wenn du auf Performance achten musst. Wir haben zwei Jahre lang keine Konzerte gegeben, um wieder hungrig zu sein. Ich gebe zu, es ist ein Rezept: Man darf sich nicht überspielen und es so empfinden, als ginge man ins Büro. Dann ist es uninteressant. Die Leute kriegen es ja mit, ob du alles nur abspielst oder ob du dich reinhaust.

Kennen Musiker die Gefahr der Routine?

Ja, du musst dich dosieren. Und der eigenen Routine ein Schnippchen schlagen. Das Wort Routine sollte man aber nicht immer so niedermachen. In einer Saison sind die ersten Konzerte nie die besten. Erst wenn du eine gewisse Routine, dieses Leck-mich-Gefühl hast, wird's richtig gut. Die gleiche Antwort würde dir auch ein Fußballspieler geben. Nach vier WM- oder EM-Spielen ist es genauso.

Fußballerkarrieren sind durch das Altern begrenzt, Rocker spielen doch ewig...

Halt, da ist ein Unterschied! Wir können uns das Ende selbst setzen und die Vertragsverlängerung mit uns selbst aushandeln. Letztlich gibt es aber einen übergeordneten Vorgesetzten: das Publikum. Du musst immer drauf schauen, dass du die Tore machst.

Stichwort Tore: Wer wird Europameister?

Ich will mich nicht entwinden, aber es kommt mir vor, als wäre es schwieriger denn je. Alle reden von Deutschland, die können aber auch in der Vorrunde scheitern. England, da redet niemand drüber, nicht einmal die Engländer selbst, dabei haben die sonst das größte Mundwerk von allen. Das könnte die üblichen Gehirnlasten von ihnen nehmen, und sie spielen befreit auf.

Die Engländer scheitern doch immer beim Elfmeterschießen...

...ich will das nicht durch ein weiteres Mantra vertiefen. Ich bin so dermaßen enttäuscht von den vergangenen zwei Turnieren. Und dann wird auch noch Roy Hodgson Trainer...

... er wäre fast auch einmal Österreichs Teamchef geworden.

Na, da habt ihr Österreicher mit der Verhinderung doch einmal etwas richtig gemacht.

Aber die EM-Chance lebt doch, oder?

Ja, und ich bin der Erste, der dir, wenn sie es mit dieser Mannschaft ins Finale schaffen, eine Pulle Schampus ausgibt.

Wenn wir von Alkohol sprechen. Gibt es Sex, Drugs und Rock'n Roll noch?

Auf keinen Fall. Wenn du 30 oder 50 Konzerte spielst innerhalb von zwei Monaten, dann ist da nichts mit Party. Dann gehst du nachher ganz schnell nach Hause. Ich habe mir aber immer das Ziel gesetzt: Wenn du alles geschafft hast, schießt du dich richtig ab. Früher war der Anspruch allerdings anders. Da kosteten Tickets zehn Euro, und es war egal, ob einer wegkippt oder einpennt. Das geht heute, bei den Preisen, alles nicht mehr.

Wie sehr hat sich das Privatleben verändert? Ist der Preis des Ruhmes zu hoch, wenn man überall erkannt wird?

Das ist ein ambivalentes Ding. Es hat Vorteile und Nachteile. Wenn ich zum Italiener gehe und jeder Platz ist besetzt, baut er mir plötzlich einen eigenen Tisch auf. Das ist im Grund genommen natürlich Promi-Scheiße, aber da fragst du nicht zweimal nach. Und dann gibt's Momente, wenn du dein Auto betanken willst und fünf Skinheads kaufen sich eine Kiste Bier und wollen Ärger. Die Mehrheit der Leute geht aber respektvoll mit uns um. Ich habe es niemals als Last empfunden.

Solange es so bleibt, können die Toten Hosen ja weiterspielen.

Was bleibt uns denn anderes übrig, wir haben ja nichts Ordentliches gelernt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2012)

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