Rock in Vienna: Blumen, mitten im schweren Altmetall

ROCK IN VIENNA: BESUCHER
ROCK IN VIENNA: BESUCHER(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Die Donauinsel hat die Eignungsprüfung als Festivalgelände wieder einmal bestanden. Das Programm allerdings könnte deutlich besser sein. Am ersten Abend dominierten die Schlachtgesänge von Metallica.

Fade to Black“ heißt ein Metallica-Song. Entsprechend gilt: Ob mit Totenschädel, Drachen oder Bierkrügerl geschmückt (sicher nicht mit Blumen!), ein anständiges Metallergewand ist schwarz, das Tageslicht ist hell genug.

Schon gegen dieses Reinheitsgebot verstießen Faith No More bei ihrem Wien-Auftritt: Sie erschienen – vielleicht, um den vermeintlichen Genius Loci zu ehren – in karierten Hemden und bajuwarophilen Lederhosen auf der über und über mit Blumen dekorierten Bühne, forderten das Publikum zur Meditation auf und benahmen sich auch musikalisch daneben. „You like the heavy stuff?“, gellte Sänger Mike Patton: „Manly? Tough?“ Es folgte kein schweres, hartes, „männliches“ Gitarrenröhren, sondern – eine durchaus beseelte Version von „Easy“ von den Commodores.

Bei Patton, der auch schon Freejazz-Partien mit seinem tendenziell hysterischen Gesang versorgt hat, weiß man seit den späten Achtzigerjahren nicht: Meint er das ernst? Nimmt er den Metal, den seine Faith No More ja auch ziemlich virtuos (und funky) spielen, ernst? Nimmt er überhaupt irgendetwas ernst? Ist er ein geistiger Sohn Frank Zappas? Kann er ironiefrei atmen? Oder trinkt er nur zu viel Kaffee?

Jedenfalls war der Auftritt von Faith No More so neurotisch wie wohltuend geistreich. Das unschöne Wort „motherfucker“ indessen verwendet Patton genauso inflationär wie seine schlichteren Kollegen. Wie der Rapper Ice-T etwa, dessen Metal-Crossover-Band Body Count bereits vor 26 Jahren aktiv war und in ihrer dumpfen Gewaltverherrlichung vielleicht noch dümmlicher wirkt als einst. „Menslaughter“ heißt das neue Album sprechend, und wenn Ice-T ganz jovial zum Publikum sein will, ruft er: „Gibt es Männer in Wien? Ich meine: echte Männer?“

Die Welt von Metallica: Ein Schlachtfeld

Was sie unter echter Männlichkeit verstehen, zeigten Metallica zum Abschluss des ersten Abends von Rock in Vienna ausführlich. Als wollte er an Mike Patton anknüpfen, der sich über die Metallica-Fans subtil mokiert hatte, gab sich der auch schon 51-jährige, eher wie ein gütiger Onkel als wie ein rauer Neffe aussehende Sänger James Hetfield plebiszitär: „You want something heavy? Or rather something light? With flowers?“ Keine Frage, wofür sich das schwarze Volk entschied...

Es hätte sowieso nichts genützt. Von den wenigen Songs abgesehen, in denen sie ein paar Tränen ins Bier tropfen lassen – sehr männliche Tränen, versteht sich! –, ist die Welt von Metallica ein einziges Schlachtfeld, ein „War without end“, wie's in „No Remorse“ heißt, in dem auch die Parole ausgegeben wird: „Only the strong survive, no one to save the weaker race!“ Angespornt wird dieser Kampfesgeist vor allem durch das in den höchsten Geschwindigkeiten noch chirurgisch präzise Schlagzeug Lars Ulrichs, mit dem die beiden Gitarren und der Bass um die Wette knattern. Das hat zumindest für zwei, drei Songs seinen Reiz, wenn man die idiotischen Texte vergessen kann.

Das konnten wohl die meisten der rund 30.000 Menschen auf der sommerlichen Donauinsel. Die sich wieder einmal als bestens geeignet für ein großes Festival erwies – mit einem gravierenden Nachteil für Wiener Teenager: Sie müssen nach den Konzerten meist heim, im Gegensatz zu ländlichen Festivals, deren nicht geringster Reiz darin liegt, dass man ein exzessives Wochenende abseits der elterlichen Augen verbringen kann. Das erklärt wohl, warum das Publikum bei Rock in Vienna deutlich älter war als etwa bei Nova Rock oder Frequency. Vielleicht auch, dass die Dichte an betont originellen Kopfbedeckungen und lustigen T-Shirt-Slogans ungewohnt niedrig war. (Den Spruch „Bier formte diesen schönen Körper“ liest man etwa kaum mehr, obwohl er auf so manchen Leib passen würde.)

Am Programm kann's nicht liegen. Das ist so originell wie ein Billy-Regal (aber weniger geschmackssicher), es bietet die gewohnte Mischung aus Alle-Jahre-wieder-Headlinern, deren Mitglieder die Lebensmitte meist längst überschritten haben, und jüngeren Bands, die man am besten schnell wieder vergisst. Die Broilers aus Düsseldorf etwa: Schunkeliger, gröliger, bierzeltiger kann Fun-Punk nicht mehr werden. Hoffentlich.

Der größte Reiz der Donauinsel ist natürlich, dass man zwischen den Konzerten baden gehen kann. Wobei durch die zwei nebeneinanderliegenden Bühnen, die abwechselnd bespielt werden, die Pausen grausam kurz sind. Immerhin haben sich die Organisatoren von Rock in Vienna dankenswerterweise dazu entschlossen, nicht auf mehreren Bühnen parallel musizieren zu lassen (ein Brauch, der die Inflation der Rockmusik weiter vorantreibt). Jetzt müssen sie nur noch das nächste Mal ein Programm zusammenstellen, statt einfach ein Festivalpaket zu übernehmen; dann haben wir es, das gute Wiener Rockfest, an der blauen Donau, mitten im Grünen, in schwarzen T-Shirts, wenn's denn sein muss.

WAS NOCH KOMMT

Bei Rock in Vienna auf der Donauinsel treten heute, Samstag, noch auf: Kiss, Limp Bizkit, Babymetal, Sabaton, Airbourne, Heaven Shall Burn, Opeth, Coal Chamber, Schirenc plays Pungent Stench, Hellyeah, The Dead Daisies, Boon.

Bei Nova Rock in Nickelsdorf (Burgenland) treten am nächsten Wochenende (12. bis 14.Juni) auf: Mötley Crüe, Die Toten Hosen, Slipknot, Motörhead, Deichkind, Die Fantastischen Vier, Beatsteaks, Farin Urlaub Racing Team, Wolfgang Ambros u.v.a.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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