„Piano Nights“: Rausch der Langsamkeit

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Bohren & The Club Of Gore: verschlafener Groove.

Das erste Hineinhören ist bereits ein Schock. Da schweben zunächst gefährlich klingende Drones. Erst nach etwa einer halben Minute geruhen erste, bedachtsame Klaviertöne an der Ohrmuschel anzuklopfen. Hörer, die an eine beträchtliche Beats-per-Minute-Rate gewöhnt sind, haben hier gewiss das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen. Langsamkeit ist heutzutage nicht bloß ein rares Gut, sie hat in stressreichen Zeiten tatsächlich subversive Anmutung. Erstaunlich, aber doch irgendwie logisch, dass man just im Wirtschaftswunderland Deutschland, wo der Arbeitseifer besonders hochgehalten wird, die Sehnsucht nach Gebremstheit spürt. Der deutsche Schriftsteller Sten Nadolny hat dieses Phänomen, dass jemand, der den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt, letztlich ganz besonderer Entdeckungen fähig ist, in seinem Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ zelebriert. Ähnliches praktiziert die 1988 in Mühlheim an der Ruhr gegründete Band Bohren & Der Club Of Gore mit ihrer dramatisch verlangsamten Musik. Dass sie zunächst eine Metal-Hardcore-Band war, ist heute nicht mehr zu ahnen. Der Stilwechsel erfolgte 1992. Zunächst köchelte dieses Valiumkollektiv behutsam ein Süppchen aus Ambient, Jazz und Doom Metal. Seit 2000 sind dann auch die Metal-Anteile aus der Musik verschwunden. In Variation des Spruchs der Metalband Manowar „Other bands play, Manowar kill“, sagt Pianist und Organist Morten Gass über seine Kombo: „Other bands play, Bohren bore.“ Dieser Slogan gefiel offenbar auch Mike Patton, der auf ihrem letzten Album „Beileid“ von 2011 mitmischte. Das nun edierte „Piano Nights“ ist in der Diktion der Band eine „Schlagerplatte“. Melodien sind tatsächlich im Ansatz zu erkennen. Und doch geht es hier einmal mehr um gefrorene Atmosphäre, darum, jenen, die sich mit Arbeit und hektischem Herumgetue im Bereich der Social Media betäuben, vorzuführen, wie schmerzhaft-schön sich das Fließen der Zeit anfühlen kann.

Ein Traum in Moll. Dieses Bestreben kann man schon aus den Titeln der Stücke lesen: „Segeln ohne Wind“, „Ganz leise kommt die Nacht“. Das Album ist ein einziger Traum in Moll. Klavier, Orgel, Vibrafon kuscheln sich innig zusammen. Nur ganz selten wird man eines Huschers seitens des Beserlschlagzeugs oder eines Grummeln des Basses gewahr. Wie sagt doch Antoine de Saint-Exupèrys kleiner Prinz? „Du musst nur langsam genug gehen, um immer in der Sonne zu bleiben.“ In diesem Fall ist es selbstverständlich die untergehende Sonne. (Pias)

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