Zhenya Strigalev: Melancholie à la russe

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Zhenya Strigalev – zwischen Lieblichkeit und Verstörung.

Der Mann, der einst direkt aus der
St. Petersburger Militärmusikkapelle in die Royal Academy of Music wechselte, zählt mittlerweile zum Besten, was der britische Jazz zu bieten hat. Wenn Zhenya Strigalev mit heißem Atem sein Altsaxofon anwirft, kann man sicher sein, dass daraus Musik ohne künstliche Aroma- und Farbstoffe ­entweicht. Der gebürtige Russe, der mittlerweile auch einen britischen Pass hat, ist ein Meister der harschen Klänge. Er verbindet sehr alte Traditionen mit frischem Fusionsgeist und (fast) vergessenen Tugenden.

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Begleitet von namhaften Kollegen. In der heutigen Jazzszene findet man kaum jemanden, der sich so konsequent vom „guten Leben“ abwendet und seiner Musik einfach alles opfert. Ein Zhenya Strigalev macht nicht so nebenbei einen kleinen Kommerzjob, um sich ein Paul-Smith-Hemd kaufen zu können: Er möchte dem zeitgenössischen Jazz wieder so etwas wie Wahrhaftigkeit verleihen. Diesen ungeheuren Ernst ­Strigalevs schätzen jene viel namhafteren Kollegen, die ihn auf seinem Projekt „Smiling Organizm“ begleiten. „Robin Goodie“, ein sprachlicher Zwitter aus „Robin Hood“ und „Boogie Woogie“, ist Strigalevs zweites Album in dieser Serie. Statt Liam Noble drückt nun der amerikanische Neobop-Pianist Taylor Eigsti die Tasten. Der afroamerikanische Wundertrompeter Ambrose Akinmusire, der Bassist Tim Lefebvre und der Drummer Eric Harland, die sonst Granden wie Brad Mehldau oder Charles Lloyd begleiten, blieben an Bord des ehrgeizigen Unternehmens. Schon das Eröffnungsstück „Kuku“ erfreut mit spannungsgeladenen Kontrasten zwischen delikaten Fusionsrhythmen und krass verlangsamter Bebop-Melodik. Im verführerisch dahinfließenden „Horizontal Appreciation“ wechseln diese Topinstrumentalisten anstrengungslos zwischen Lieblichkeit und Drastik. In „Sharp Night“, einem profunden Straight-Ahead-Stück, gemahnt Strigalevs klobige Spielweise an alte Meister wie Sonny Stitt und Charlie Parker. Die Art, wie bei ihm das Plötzliche mit dem Kontinuierlichen ringt, hat etwas Verstörendes. Die Zyniker unter den britischen Jazzjournalisten, die früher gern etwas von „byzantinischer Melodiegebung“ faselten, sind längst verstummt. Strigalev ist eine ganz eigene Entität. Allein, dass er gleichzeitig Kontrabass und elektrischen Bass spielen lässt, zeugt von der Kraft seiner individuellen Vision. Als Komponist ist Strigalev hörbar gereift. Melancholische Einkehr kann da innerhalb eines Stücks auf glühende Apokalyptik treffen, ohne dass der Flow verloren geht. Am 14. 2. ist Zhenya Strigalev live im Wiener Porgy & Bess zu sehen.
(Whirlwind Recordings)

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