Saalfelden: Schmerz an der Heimat, Störung der Jazz-Idylle

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Melodiöse Schönheit will die Jazz-Avantgarde noch immer nicht ertragen. So ironisierte das Quartett Mostly Other People Do the Killing die Gefühle, das Budapester Trio JÜ konfrontierte sie mit Lärm.

Lang ist's her, dass beim Jazzfestival Saalfelden Anzüge und Krawatten auf der Bühne gesehen wurden. Nur altgediente Jazzfreaks erinnern sich noch an Michael Breckers schlammfarbenes Börsianer-Outfit, mit dem er 1999 seine flamboyanten Soli spazieren führte. Samstagnacht feierte der bürgerliche Habitus eine unerwartete Renaissance, beim leicht surreal anmutenden Quartett Mostly Other People Do the Killing.

Das freilich gar nicht bieder sein will. Geleitet vom exzentrischen Bassisten Moppa Elliott, schwärmte es wohlgemut auf die Blumenwiesen der Improvisation aus. Latineske Rhythmuskaskaden, abgehetzte Beboplinien, entspanntes Beserlschlagzeug und ein herrlich luzide gespielter Flügel machten gleich klar, dass Jazz ein Aufeinandertreffen von betont individuellen Musikern ist. Jeder spielte in eine andere Richtung, und es klang doch nach einer Art Plan. Swing, Free Jazz, Avantgarde, Bossa nova, Doo Wop, alles wurde hier an- und niedergerissen. Das herrlich wirre Stück „Round Bottom, Square Top“ beruht auf einem Herz-Schmerz-Song aus dem New York von 1965. „Das war ein schöner Doo-Wop-Hit, bis ich ihn zerstört habe“, sagte Leader Elliott maliziös.

Darf man Miles Davis kopieren?

Ein Problem der Avantgarde war immer schon, dass melodiöse Schönheit sie verlässlich in Verlegenheit bringt. Mostly Other People Do the Killing wissen darum, konfrontieren sich bewusst damit. Sie staunen mit heißem Atem die Makellosigkeit an, werfen ihr Bilder der eigenen Beschädigung entgegen. Nicht einmal vor dem Miles-Davis-Werk „Kind of Blue“ schreckten sie zurück. Im Vorjahr spielten sie das sakrosankte Opus als ziemlich exakte Kopie ein, stellten damit Fragen nach dem Wert eines Originals im Zeitalter der digitalen Reproduktionsmöglichkeiten. Leider spielten sie in Saalfelden nichts daraus. Irren Groove entwickelten sie dennoch. Mit gewagten Bossa-nova-Beats ironisierten sie souverän die herkömmliche Reizgestaltung südamerikanischer Musik. „Moosic“ – statt „Music“ – heißt eines ihrer Stücke programmatisch. Seltsame Metren sind ihnen dabei ideale Komplizen. Bei epischen Stücken wie „Effort, Patience & Dilligence“ und „Townville“ hätte man beinahe geglaubt, hier würden echte Emotionen geschildert. Mitnichten: Diese Band verlacht mit Esprit alle, die auf ihre Inszenierungen hereinfallen.

Ganz anders das Budapester Noise-Trio JÜ, das mit dem norwegischen Saxofonisten Kjetil Moster in geräuschvollen Dialog trat. Gitarrist Adam Meszaros behüpfte seine Wah-Wah-Pedale mit Rockstar-Posen. Elegie und böses Geräusch brauchen einander in dieser Musik. Hier wird mit klassischem Jazzer-Gestus der Wohlklangsideologie die lange Nase gezeigt. Doch diese Musiker verzichten am Ende nicht auf eigene, wenn auch gut getarnte Gefühle. Die gelebte Antithese zum Bürgerlichen hat eben ihre Grenzen.

Furios: Pianist Matthew Shipp

Am Sonntag faszinierte das furiose Solokonzert des körperlich schmächtigen, künstlerisch aber schwergewichtigen Pianisten Matthew Shipp. Der ehemalige Begleiter von Kapazitäten wie David S. Ware und Pharoah Sanders hat sich längst eigene Welten der freien Improvisation erspielt.

Delikat war auch die Performance von Christian Muthspiel. Mit Vibrafonist Franck Tortiller und Bassist Jerome Harris zelebrierte er den 75. Geburtstag des legendären Tiroler Komponisten Werner Pirchner (1940–2001). Und gedachte auch des 2005 gestorbenen Gitarristen Harry Pepl, der mit Pirchner das Jazzzwio bildete, dessen raffinierte Formensprache auch international gerühmt wurde.

Wie Pirchner Heimweh verstand

Gleich zu Beginn gab das formidable Trio Homesick ein nachdenkliches Stück, in dem Heimweh als Schmerz an und nicht nach der Heimat definiert wird. Ein schönes Beispiel dafür, wie Pirchner seine Hörer aus falschen Paradiesen scheuchen wollte. Mit elegischem Posaunenspiel heftete sich Muthspiel auf die Fersen der unvergessenen Exzentriker. Innige Lesarten von Pepls Paradestücken „Against the Wind“ und „Air, Love & Vitamins“ sowie Pirchners „Hosent' Raga“ erfreuten nicht nur die Altvorderen.

Das Finale gehörte dem James Blood Ulmer Oktett. Eine fantastische Rhythmussektion zwischen Funk und Rock stieß auf drei geeichte Saxofonisten: Hamiet Bluiett (Bariton), Oliver Lake (Alt) und David Murray (Tenor) erzeugten schärfste Freejazz-Winde. Die einzige Schwachstelle war James Blood Ulmer selbst. Während der ersten beiden, ziemlich giftigen Stücke wirkte er wie scheintot. Erst als er seinen Golden Oldie „Jazz Is the Teacher, Funk Is the Preacher“ zu singen hatte, erwachte er aus seiner Agonie. Ab da griff er agiler in die Saiten und sorgte so für einen soliden Ausklang des avancierten Festivals, das ab Jänner 2016 einen winterlichen Appendix namens „3 Tage Jazz“ bekommen wird. In Saalfelden strahlt der Jazz noch, ob mit Krawatte oder ohne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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