PJ Harvey: Ich, wir und das Elend

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Faszinierend, verstörend: das neunte Album von PJ Harvey.

H ere’s the highway to death and destruction, South Capitol is its name“, singt PJ Harvey mit frischer, heller, fast euphorischer Stimme zu einem Rhythmus, der nach Aufbruch klingt. Der Chor antwortet ihr mit einem Slogan: „The Community of Hope!“; und dann skandiert er: „They’re gonna put a Walmart here.“ Ist es für ein Großstadtviertel ein gutes Zeichen, wenn sich eine Filiale der größten Supermarktkette dort ansiedelt? Oder ist es ein Vorbote dafür, dass das Wohnen bald unerschwinglich wird? PJ Harvey, die sich auf ihrem letzten Album „Let England Shake“ mit den Schrecken des Kriegs befasst hat, hat sich für „The Hope Six Demolition Project“ auf Recherche begeben  – nach Afghanistan, in den Kosovo und eben in ein heruntergekommenes Viertel von Washington D. C., wo das Hope-VI-Projekt aktiv ist, das urbane Regionen aufwerten soll. Mit ambivalenten Ergebnissen. In dem Song, der aus ihrer Inspektion entstanden ist, wertet PJ Harvey nicht, sondern blickt geradezu ungerührt auf die Zustände: „Okay, now this is just drug town, just zombies, but that’s just life.“ Der kalte Blick wirkt verstörend, wie die musikalische Euphorie, die fast das ganze Album durchzieht und die bitteren Eindrücke konterkariert, die aber meist wirken wie Schnappschüsse in der Ferne, die man sich daheim nicht erklären kann. Was ist mit der Indianerin im Rollstuhl? Was tut der Mann mit dem Mistkübel? Was sagen uns die Kinderfotos an der Wand? Und: Was können wir dafür? „We got things wrong, but I believe we also did some good“, singt PJ Harvey zu rasantem Marschrhythmus in „A Line in the Sand“, das offenbar eine Zeltstadt von Kriegsflüchtlingen beschreibt. Fast unisono folgt ihr der Chor, der das ganze Album prägt: die Wir-Menge, die das erzählende Ich sekundiert, die stoisch kommentiert, was dieses sieht. „I heard it was 28.000“, antwortet der Chor in „The Wheel“ auf Harveys Ruf: „Little children, don‘t disappear!“

Für „The Hope Six  Demolition Project“ ist PJ Harvey viel gereist.
Für „The Hope Six Demolition Project“ ist PJ Harvey viel gereist.(c) Beigestellt

Zornige Hörner. Zwischen uns und ihnen ist Glas: in „Dollar, Dollar“ die Scheibe, auf die der bettelnde Bub klopft, in „The Ministry of Social Affairs“ die Wand, hinter der die „money-changers“ sitzen. Sie zeige zu wenig Entrüstung, ihr Engagement sei halbherzig, sie sei zu distanziert, hat man PJ Harvey vorgeworfen. Sie weiß das selbst, sie verbirgt das nicht, sie
heuchelt keine Betroffenheit, und das ist gut so. Die Empörung kommt aus einem Instrument, das wie kein anderes dafür geeignet ist: dem Saxofon, teils von Harvey selbst, teils von Terry Edwards gespielt. Schon lang hat man keine so wilden, zornigen Hörner gehört. (Island)

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