Blood Orange: Identitätssuche

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Blood Orange findet seinen Sound in den 1980er-Jahren.

„Don’t shoot! Don’t shoot!“ Spätestens wenn dieses Sample eines Black-Lives-Matter-Slogans den Song „Hands up“ beschließt, ist klar, dass das „Hände hoch“ in diesem Stück nicht nur ein Aufruf zum Jubeln und zum Sichtbarmachen der ­Marginalisierten ist. Im Falsett singt Dev Haynes immer wieder „Hands up, get up“ zu schwebenden Synthesizerklängen. Er meint damit den Befehl der US-Polizei, der Verdächtige zur Kapitulation bringen soll. „Keep your hood off when you’re walking“, warnt der Brite Haynes. Lass deine Kapuze unten! Diese in einem so leichtfüßigen Sound gehüllte Kritik an der Polizeigewalt gegen Schwarze ist einer der zentralen Songs auf „Freetown Sound“, seinem dritten und bisher besten Album als Blood Orange. Traurige Aktualität erfuhr er, als nur wenige Tage nach der Veröffentlichung erneut Afroamerikaner von weißen Polizeibeamten erschossen wurden. Haynes’ Reflexionen über Rassismus, Migration, Religion und Identität beginnen in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone, wo sein Vater geboren ist. Und führen ihn in seine derzeitige Wahlheimat New York, in die er mit 21 Jahren gezogen ist. „My father was a young man, my mother off the boat“, flüstert er in der ersten Single „Augustine“ zu tuckerndem Beat und verhuschtem Piano: „My eyes were fresh at 21, ­bruised but still afloat.“ Elegant verknüpft Haynes die Reise seiner Eltern nach London (seine Mutter stammt aus Guyana) mit eigenen Migrationserfahrungen. Und bringt eine zentrale Frage des Albums auf den Punkt: Was bedeutet es, als Schwarzer in einer dezidiert weißen Welt zu leben?

„Freetown Sound“ ist das bisher beste Album von Blood Orange.
„Freetown Sound“ ist das bisher beste Album von Blood Orange.(c) Beigestellt

Klänge aus Guyana. „All I ever wanted was a chance for myself“, singt er in der betrübten Ballade „Chance“, in der ein Saxofon schwer seufzt wie in den 1980er-Jahren.
Es ist dieses Jahrzehnt, das „Freetown Sound“ musikalisch am stärksten prägt: Haynes verbindet die Coolness von New Wave mit Funk, Dance-Pop und R’n’B zu luxuriös klingenden, zumeist lebensbejahenden Songs, die von all der inhaltlichen Schwere nie erdrückt werden. Highlights wie „Best to You“ und „Desirée“ sind mit prägnant hüpfendem Bass regelrecht tanzbar. Dass sich viele der Referenzen (Samples von Spoken-Word-Performances und Filmen, Klänge aus der Heimat seiner Mutter etc.) nicht sofort erschließen, ist verkraftbar. „Freetown Sound“ ist nicht nur inhaltlich ein kraftvolles, wichtiges Statement, das viele bereits in einem Atemzug mit den letzten Werken von ­Kendrick Lamar oder D’Angelo nennen. Auch ­musikalisch überzeugt es uneingeschränkt. (Domino)

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