Solange: Ich gehöre dazu!

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Klagelieder ohne Bitternis: das dritte Album von Solange Knowles, „A Seat at the Table“.

Anfang September besucht die amerikanische R’n’B-Sängerin Solange Knowles mit ihrer Familie ein Konzert von Kraftwerk in New Orleans. Als sie aufsteht und zu tanzen beginnt, wird sie von vier weißen Frauen, die hinter ihr sitzen, zuerst angeschrien und dann mit Limettenschalen beworfen – vor den Augen ihres elfjährigen Sohns. Dieses Erlebnis steht im Zentrum eines Essays, den sie später unter dem Titel „And Do You Belong? I Do“ auf ihrer Website veröffentlicht. Er liest sich wie der Prolog ihres dritten Albums „A Seat at the Table“, das die Kämpfe, die schwarze Frauen anno 2016 immer noch führen müssen, eindringlich dokumentiert. „I do, I do“, antwortet die jüngere Schwester von Beyoncé auch im Song „Weary“ auf die Frage „Do you belong?“. Ihre Stimme klingt verletzlich, aber auch bestimmt: Ja, sie gehört dazu. Ihr Platz steht ihr zu. Im überwiegend weißen Publikum beim Kraftwerk-Konzert, in der amerikanischen Gesellschaft. Diesen Platz zu verteidigen, ihn immer wieder aufs Neue zu erkämpfen, fordert aber aber auch seinen Tribut: Sie sei „weary“, erschöpft, wie der gedämpfte Puls des Stücks unterstreicht. In den Streichern des darauffolgenden „Cranes in the Sky“ vernimmt man zwar positive, bisweilen zart euphorische Noten, doch der Inhalt wiegt erneut schwer: Sie habe versucht, den Schmerz wegzutrinken, wegzutanzen. Sie habe es mit Sex versucht, mit Arbeit, mit Schlafen. Bis zum Schwindel sei sie im Kreis gelaufen. Doch entfliehen kann sie der Chancenungleichheit, der Ausgrenzung, dem Rassismus nicht. „Away, away, away“, singt sie immer wieder, immer lauter, bis zu einem letzten Aufschrei, der klingt, als ob sie sich zumindest emotional befreien möchte.

Mit „A Seat at the Table“ tritt Solange aus dem Schatten ihrer Schwester.
Mit „A Seat at the Table“ tritt Solange aus dem Schatten ihrer Schwester.(c) Beigestellt

Politisch motiviertes Album. Ihr Wehklagen bettet Solange in sanft fließende Soul- und R’n’B-Songs. Je härter die ­Themen, desto weicher der Sound. Das Album verbindet auf faszinierende Weise sehnsüchtige Streicher wie aus den ­­frühen Siebzigern mit futuristisch ratterndem Funk. Mit „A Seat at the Table“ tritt Solange nicht nur erstmals aus dem übergroßen Schatten ihrer Schwester. Sie reiht sich auch unter jene Künstler wie Kendrick Lamar oder Blood Orange ein, die nach der jüngsten Welle an Polizei­gewalt gegen Schwarze zuletzt politisch motivierte Alben veröffentlichten. Dass sie dabei nie verbittert klingt und immer wieder auch Hoffnungsschimmer zulässt, macht ­dieses große Album zu einem noch stärkeren Statement. (Columbia)

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