King Krule: Diamant im Schlamm

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Dem jungen Briten King Krule ist mit seinem zweiten Album „The Ooz“ ein Meisterwerk geglückt.

Im Zusammenhang mit dem jungen englischen Musiker Archie Marshall dürfen wir uns nicht zu schade sein, ausnahmsweise das zweifelhafte Vokabel „Wunderkind“ zu verwenden. Mit seinem Projekt King Krule glückt dem gerade einmal 22 Jahre alten Marshall eine rätselhafte musikalische Mischung, die komplett aus der Welt und der Zeit gefallen ist und sich um all die Tendenzen und Erwartungshaltungen da draußen gar nicht schert: Mürrische, fragmentarische Protestsongs an der Folk-Gitarre, die im Vergleich Bob Dylan nachgerade als gutgelaunten, überschwänglichen Mann dastehen lassen, verknüpft King Krule mit minimalistischem, vom Dub geküsstem Punkrock im Andenken an The Clash und rudimentärer Schrottplatz-Elektronik. Dazu sprechsingt er mit kaputter, brüchiger Stimme, er murmelt, ächzt und krächzt vom fertigen Leben.

Auf seinem zweiten Album glänzt dieses singuläre Sounddesign in Perfektion. Eine Perfektion aber, die an falschem Prunk und schön schimmernder Oberfläche nicht interessiert ist. „The Ooz“ heißt die Platte. „Ooze“ – das bedeutet im Deutschen soviel wie Schlamm, Schlick, Gatsch. Das ist schon richtig so als Titel. Das ist eine faulige, absolut runtergerockte Platte vom Sperrmüll, vom endgültigen Absturz stets bloß zwei Schritte entfernt. Die Songs sind skizzenhaft, wie in einem genialen Fiebertraum gerade so einfach hingeschmissen, das Schema Strophe/Refrain/Strophe kümmert sie nur kaum. Verbogener Anti-Barjazz und nebulöse Ambient-Passagen überlagern einander, von ganz hinten bläst ein verlorenes Saxofon hinein. Wir sind müde, es dürfte heute kein besonders guter Tag gewesen sein, vielleicht nehmen wir jetzt noch ein Getränk, oder zwei.

„The Ooz“: das zweite Album von Archie Marshall alias King Krule.
„The Ooz“: das zweite Album von Archie Marshall alias King Krule.(c) Beigestellt

Dicker Akzent. Was King Krule auf „The Ooz“ so erzählt und weltvergessen vor sich hin murmelt, ist zunächst schwer zu verstehen. Zu dick ist der Akzent, zu verschleppt die Aussprache. Doch wenn man ein wenig in seinen lyrischen Kosmos vordringt, öffnet sich ein weites Panorama. Er schlägt, ganz beiläufig, die Brücke vom Privaten ins Politische. Er singt von den abgefuckten Typen auf der Straße und vom abgefucktem Selbst. Von den sozialen Schieflagen, von der Liebe und den Unmöglichkeiten der Liebe, von der Selbstzerstörung, von der Rebellion und vom ewigen Brennen in der Seele. „The Ooz“ ist über eine Stunde lang, und das ist auch nicht zu viel. Vieles geschieht, hässliche Visionen erwachen zum Leben, alles hier vibriert und zittert. Dabei ist die Platte nie überladen oder ranschmeißerisch. Beiläufig ist sie, Großes hat King Krule hier in die kleine Form gegossen. Entschlackt, destilliert, ein dunkler Diamant. (XL)

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