Iggy Pop: Der alte Punk wütet gegen den Tod

„Rage, rage against the dying of the light“: Dylan Thomas sprach mit diesen Gedichtzeilen seinen Vater an, Iggy Pop rezitiert es zu düsteren Klängen auf seinem Album „Free“, über das er selbst sagt: „I like to wear shades when I think about this music. When I listen to it, too.“
„Rage, rage against the dying of the light“: Dylan Thomas sprach mit diesen Gedichtzeilen seinen Vater an, Iggy Pop rezitiert es zu düsteren Klängen auf seinem Album „Free“, über das er selbst sagt: „I like to wear shades when I think about this music. When I listen to it, too.“(c) Universal/Rob Baker Ashton
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Cool. Mit 72 erweitert Iggy Pop noch einmal sein Spektrum: Auf „Free“ lässt er sich von harschem Jazz begleiten – und spricht ein Gedicht von Dylan Thomas.

Wenn man die Haltung des Punk als unversöhnliches Aufbegehren beschreiben kann, dann ist die ultimative Pose des alten Punk das Aufbegehren gegen den Tod. Der ist nämlich kein Spaß. „No fun“, wie Jim Osterberg vulgo Iggy Pop 1969 mit seinen Stooges über das Leben befand: Punk avant la lettre war das, unkompromittierbar. 21 war Iggy Pop damals, jung und angeödet und angefressen und bereit, das zu bekennen.

Heute ist er 72, die Hüften tun ihm weh, doch er liebt das Leben, sagt er, und er ist einer der wenigen alten Männer der Popmusik, die einen Altersstil gefunden haben: unversöhnliches Aufbegehren, wie gesagt, auch und vor allem gegen die Endlichkeit.

„Old age should burn“

Wie der walisische Dichter Dylan Thomas schrieb: „Do not go gentle into that good night; Old age should burn and rave at close of day; Rage, rage against the dying of the light.“ Thomas, der selbst schon mit 39 seinem Alkoholismus erliegen sollte, schrieb dieses Gedicht für seinen Vater. Iggy Pop hat keinen Vater mehr, er spricht das Dylan-Thomas-Gedicht für sich selbst, als vorletzten Track seines neuen Albums „Free“.

Das Thema Tod hat Iggy Pop schon länger verfolgt, besonders intensiv auf „Post Pop Depression“ (2016): In „Vulture“ starrte er auf einen fetten schwarzen Geier am Rand der Straße, und in „Valhalla“ konstatierte er: „Death is the pill that is hard to swallow.“ Dieses Album hatte er mit dem Stoner-Rock-Gitarristen Josh Homme gemacht, und so klang es auch: schwerer, düsterer, man möchte fast sagen: lebensmüder Rock.

Diesmal überließ er die musikalische Leitung dem Jazztrompeter Leron Thomas, assistiert von Sarah Lipstate vulgo Leveller, deren Gitarren erfreulich wenig nach Leder, Schweiß und Tabak klingen. Zu Jazz hat Iggy Pop ja seit einem halben Jahrhundert eine schlampige Beziehung: Schon auf dem zweiten Stooges-Album „Funhouse“ (1970) konterkarierte ein genervtes Saxofon den gelangweilten Gesang und das unwillige Genudel der Gitarren, nein, lustig klang das nicht, damit kann man heute noch jede Party entspaßen. Lustig klingt der Jazz, dem er sich jetzt verschrieben hat, auch nicht: Wenn das Fahrstuhl-Musik sein soll, wie ein Kritikerkollege skurrilerweise andeutete, dann nur in dem Sinn des Films, zu dem Miles Davis 1958 den Soundtrack komponiert hat: „Fahrstuhl zum Schafott“ hieß er.

Assoziationen mit Miles Davis liegen bei Leron Thomas' Spiel oft nahe: Die Eröffnungsnummer „Free“, mit einer gedämpften und einer durch den Nebel strahlenden Trompete, erinnert atmosphärisch an „In A Silent Way“, das altersschmutzige „Dirty Sanchez“ beginnt mit einem Bläsersatz in der Tradition von „Birth Of The Cool“. In „Sonali“, wo das Leben mit der Suche nach einem Parkplatz verglichen wird, zittert und schwankt der Rhythmus wie auf „Blackstar“, dem letzten Meisterwerk von David Bowie, mit dem Iggy Pop viel gemeinsam erlebt hat und dessen Tod ihn sehr getroffen hat.

Ein frühes Gedicht von Lou Reed

Einem anderen bereits toten Großen leiht er in „We Are The People“ seine Stimme: Lou Reed hat dieses juvenil apokalyptische Gedicht über eine entwurzelte Zivilisation („We are the insects of someone else's thought“) 1970 geschrieben. Danach kommt auf „Free“ das geschilderte Dylan-Thomas-Gedicht, schließlich „The Dawn“: Zu tiefem Pochen, vor einer gefrorenen Klanglandschaft zieht Iggy Pop noch einmal Bilanz: „If all else fails, it's good to smile in the dark. Love and sex are gonna occur to you, and neither one will solve the darkness.“ Kein Spaß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2019)

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