Salzburger Festspiele: Mozarts Spiel mit den Grenzen

Salzburger Festspiele Mozarts Spiel
Salzburger Festspiele Mozarts Spiel(c) Matthias Baus
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"Lucio Silla"unter Marc Minkowski: Virtuosität und teilweise überbordende Expression in klassischem Rahmen.

Ich kan ohnmöglich viell schreiben, dan ich weiß nichts, und zweitens weiß ich nicht waß ich schreibe, indem ich nun immer die gedancken bey meiner opera habe, und gefahr lauffe, dir, anstatt worte eine ganze Aria herzuschreiben.“ So aufgekratzt meldete sich der noch nicht 17-jährige Wolfgang Amadé Mozart aus Mailand bei seiner Schwester Nannerl. 1772 schuf er dort in kürzester Zeit und unter zum Teil widrigen Umständen seine Opera seria „Lucio Silla“, die jenen faszinierenden Punkt in seiner Entwicklung markiert, an dem sich das Wunderkind zum reifen Komponisten wandelt.

Dennoch sind Aufführungen traditionell selten. Einen weiteren Versuch, das Werk aus dem Schatten der sieben großen Bühnenwerke zu holen, die Mozart mit seinem „Idomeneo“ eröffnen sollte, unternahm die Salzburger Mozartwoche im Jänner 2013 – ein Symposion der Stiftung Mozarteum begleitete die Unternehmung, dessen für Fachleute wie für Laien lesenswerte Ergebnisse mittlerweile in Buchform vorliegen (Verlag Anton Pustet). Und auch bei der nun erfolgten Übernahme dieser Produktion in den Sommerfestspielplan erwies sich deren Zugkraft durch lautstarke Publikumsbegeisterung.

Das Spiel mit Grenzen prägt den ganzen Abend. Sie einerseits zu wahren, um sie an ausgewählten Stellen dann lustvoll überschreiten zu können, kennzeichnet schon die Partitur, die Marc Minkowski übrigens auf teilweise radikal erscheinende, aber doch kluge Weise gekürzt hat. So fällt etwa die ganze Partie von Lucio Sillas Vertrautem Aufido weg, wodurch sich in der Titelfigur die antagonistischen Kräfte noch mehr konzentrieren. Musikalisch aber überrascht immer wieder, welch enorm ausgedehnte, immer wieder hochvirtuose Arien Mozart schreibt, welche harmonischen Volten er einbaut, wie reich die Accompagnati gestaltet sind: Hier ist tatsächlich schon vieles gesät, was er im „Idomeneo“ dann nur noch zu ernten brauchte. Minkowski und seine Musiciens du Louvre Grenoble kosten dies mit Spannkraft und satten Instrumentalfarben aus; die Sänger dürfen ihre emotionalen Anliegen in ausgedehnten Kadenzen untermauern.

Gediegene Inszenierung

Für Marshall Pynkoski bilden die Möglichkeiten des Barocktheaters jenen Rahmen, den er in seiner gediegenen Inszenierung mit einigen Elementen bewusst durchbricht. Da verbinden sich in Antoine Fontaines Bühnenbild also eine antike Marmorarchitektur (die sichtbar auf dem Holzweg nachempfunden wird) mit Opulenz andeutenden Prospekten, die zum Teil transparent werden; die vielen, stets offenen Verwandlungen bieten zusätzlichen Reiz. Darin tummeln sich nicht nur Tänzer in klassischen Choreografien und ästhetisch aufbereiteten Kampfszenen (im wunderbaren Terzett des zweiten Akts) sowie der Salzburger Bach-Chor für seine wenigen, aber markanten Auftritte, sondern vor allem die Protagonisten in üppigen Kostümen der Mozart-Zeit: Unter ihnen gebührt wohl Olga Peretyatko die Krone, die sich furios gegen die Avancen Sillas wehrt und schließlich in die Arme ihres Cecilio finden darf, dem Marianne Crebassa kaum minder eindringliches Profil verleiht.

Grenzen überschreitet allerdings auch, bewusst oder unbewusst, mit Bedacht ebenso wie aus purer Not, Rolando Villazón als im Cäsarenwahn über die Bühne fegender, der Geschwisterliebe nicht abgeneigter Diktator Lucio Silla: szenisch, da er neben den eher klassisch-formalen Gesten seiner Partner mit rasender Exaltiertheit wirkt, als sei er einem Stummfilm entsprungen, und sängerisch überhaupt. Gerade in der herrlichen, aus Johann Christian Bachs Vertonung desselben Librettos übernommenen Arie mit obligaten Instrumenten wird deutlich, dass er Mozart nicht stimmschonend auffasst: Im Dienste einer tendenziell veristisch zu nennenden, rückhaltlosen Expression gehen Klangqualität und Intonationssicherheit leicht über Bord. Das schmerzt – findet aber nach wie vor großen Anklang bei den Fans.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2013)

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