Berlioz, japanisch? Leidenschaften aller Art in Salzburg

Charles Dutoit
Charles Dutoit(c) EPA
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Das NHK-Orchester aus Tokio feierte unter Charles Dutoit einen „fantastischen“ Salzburger Festspiel-Einstand.

Ein Orchester in Hochstimmung: Das NHK Symphony Orchestra tourte zuletzt vor zehn Jahren durch Europa. Jetzt war man erstmals zu Gast bei den Salzburger Festspielen, um in der Felsenreitschule ein neues Werk aus der Feder des wichtigsten japanischen Komponisten der Gegenwart, Toshio Hosokawa, aus der Taufe zu heben.

Schon anlässlich der „Ouverture spirituelle“ konnte man sich heuer über japanische Sakralmusik informieren. Bei den zeitgenössischen Schwerpunkten in den Konzertprogrammen trifft man immer wieder auf Hosokawa und den hierzulande bekannteren, 1996 verstorbenen Tôru Takemitsu. Mit dessen „November Stepa“ eröffnete das Orchester sein spätes Debüt.

Ein von Seiji Ozawa angeregtes, von Leonard Bernstein zum 125-Jahr-Jubiläum der New Yorker Philharmoniker bestelltes Stück, in dem der Komponist auszuloten versucht, wie sich westliche mit fernöstlicher Musik versteht. Zwei klassische japanische Instrumente, die Bambuslängsflöte Shakuhachi und die Laute Biwa, stehen dem konventionellen Orchester gegenüber. Dieses bildet mit Einleitung, kurzen Intermezzi und Finale den Rahmen für die beiden Solisten – in Salzburg durften sich Kakujo Nakamura und Kaoru Kakizakai in langen Kadenzen austoben.

Musik im Gedenken an die Tsunami-Opfer

Als Hosokawa seinen Salzburger Kompositionsauftrag erhielt, dachte er gerade über ein Werk nach, in dem er, angeregt durch die Ereignisse des Tsunamis 2011, der Trauer einer Mutter, die dabei ihr Kind im Meer verliert, ein Denkmal setzen wollte. Bei der Konzeption seines Orchesterstücks stieß er zusätzlich auf Verse und Briefzitate von Georg Trakl, aus denen bis zur Ekstase reichende persönliche Erschütterung spricht. Von Sprechgesang bis zu nachgerade hysterischer Gestik reichen die Anforderungen an die Solistin. Anna Prohaska löste die Aufgabe atemberaubend souverän.

Mit einer sehr detailorientierten, akribisch ausgefeilten Darstellung von Hector Berlioz' „Symphonie fantastique“ zeigten die japanischen Musiker nach der Pause, dass sie den Vergleich mit anderen großen Klangkörpern nicht scheuen müssen. Auch wenn sie ihr einstiger Musikdirektor, Charles Dutoit, hier besonders an die Kandare nahm und mehr auf Präzision und differenzierte Dynamik als auf erfrischende Spontaneität und mitreißenden Schwung setzte.   dob

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2013)

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