Salzburger Festspiele: Sir Simon entfesselt Urgewalten

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Berliner Philharmoniker mit Strawinskys „Sacre du printemps“: Eine Demonstration rhythmischer und melodischer Finessen.

Auch die besten Musiker können nicht jedes Konzert so spielen, als wäre es ihr letztes. Aber eine Ahnung von der Kostbarkeit des Augenblicks und von der spontanen Hingabe an große Musik jenseits aller Routine war schon zu spüren, als die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle im großen Festspielhaus Igor Strawinskys „Sacre du printemps“ mit Liebe zum Detail und souveräner Verve gleichermaßen erfüllten.

2018 will Rattle nach 16 Jahren als Chefdirigent den Hut nehmen. Befördert das Wissen um den festgesetzten Abschied die Intensität des Musizierens? Diesmal schien es so. Mit seinen Interpretationen von Werken des sogenannten Kernrepertoires von Mozart bis Wagner hat der britische Dirigent an der Spitze des deutschen Eliteorchesters ja bedeutend weniger Eindruck hinterlassen können als mit Musik des 20. und 21. Jahrhunderts: unvergessen etwa eine fulminant dichte Deutung von Orchesterstücken Schönbergs, Bergs und Weberns im Sommer 2010.

Diesmal gab es neben der Wiener Schule auch Strawinsky zu hören: Seit dem großartigen Berliner Jugendtanzprojekt mit „Sacre“, 2004, hat sich Sir Simons Interpretation noch vertieft und verfeinert. Erstaunlich, wie schlüssig es ihm gelingt, sowohl der eruptiven Urgewalt als auch den melodischen Qualitäten der komplexen Partitur zu ihrem Recht zu verhelfen, die er nachweislich genauer liest als manche Kollegen. Mit natürlich anmutender Entdeckerfreude werden da herrliche Details hörbar gemacht, und die Berliner begnügen sich nicht mit glatter Oberflächenpolitur, sondern schürfen mit spieltechnischer Meisterschaft zumindest in der finalen „Danse sacrale“ wirklich bis in existenzielle Tiefen.

Dynamisch hoch differenziert und von glühender Intensität fernab jeder Süßlichkeit war zum Auftakt Schönbergs „Verklärte Nacht“ erklungen; weniger geglückt dagegen Bergs „Wozzeck“-Bruchstücke, obwohl Rattle auch hier einem subtilen Ausgleich zwischen impressionistischen Valeurs und Katastrophenklängen auf der Spur war. Doch kamen manche Soli zu direkt und selbstbewusst, und die stimmlich untadelige Barbara Hannigan verfiel teilweise in mondänen Diseusentonfall, statt den nötigen Ausdruck im Einfachen zu suchen. wawe

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2013)

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