Neugierig machen!

PK SALZBURGER FESTSPIELE ´YOUNG DIRECTORS PROJECT 2013; CLOSE UP 2013 - DAS NEUES MAGAZIN DES YDP´: BECHTOLF
PK SALZBURGER FESTSPIELE ´YOUNG DIRECTORS PROJECT 2013; CLOSE UP 2013 - DAS NEUES MAGAZIN DES YDP´: BECHTOLF(c) APA (HELMUT FOHRINGER)
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„Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleib im Dunkel unerfahren, mag von Tag zu Tage leben.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

Ein Gymnasiast schreibt in einem Brief von der Front im Jahre 1918: „An ein körperliches Auferstehen kann ich nicht glauben. An das mystische Fortleben eines geistigen Bestandteils von uns kann ich auch nicht glauben – wie soll ich mir das vorstellen? Ich glaube, es ist einer so lange nicht tot, als sein Gedächtnis nicht ausgelöscht ist, so lange er in unserer Erinnerung lebt.“ Vierzehn Tage später fällt er in Frankreich. Wann er vergessen wurde, ist nicht überliefert.

Kaum einer von uns wird der Forderung Goethes genügen – wie wenig wissen wir schon nur von dem Ereignis, das von Historikern zu Recht als die Urkatastrophe der jüngeren Geschichte bezeichnet wird und dessen Anfang gerade einmal 100 Jahre zurückliegt.

Die sinnlosen Opfer von Millionen junger Soldaten, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben ließen, bedeuten uns heute wenig. Außer, dass wir vermeinen zu wissen, sie seien eben sinnlos gewesen. Der Einzelne, so auch der Primaner, der südlich von Soissons fiel, ist angesichts dieser abstrakten und grauen Sinnlosigkeit natürlich längst namenlos geworden. Er hieß zwar Rudolf Steinrück, findet hier aber nur ganz zufällig Erwähnung. Und wo liegt noch einmal Soissons?

Geschichte zu verstehen bedeutet meist, sie zu bewerten. Dieser Bewertungsvorgang verschleiert sie aber leicht dem Verständnis. Der Skandal des Ersten Weltkrieges ist nicht seine Sinnlosigkeit, sondern die Tatsache, dass er den meisten Verantwortlichen als durchaus sinnvoll erschien.

Wenn wir alle Kriege – mit bester Absicht – als sinnlos bezeichnen, glauben wir uns bald vor dem Krieg gefeit. Wenigstens vor einem sinnlosen . . .!

Die profundeste Antwort auf die Frage nach der Beschaffenheit unserer Natur sind unsere Taten. Wer seine Rückschlüsse nur aus denjenigen des vergangenen Jahrhunderts ziehen wollte, könnte leicht geneigt sein, daran zu verzweifeln.

Die Festspielgründer verstanden 1920, zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, die Festspiele als Friedenswerk. Wir wissen, dass der Frieden nur 19 Jahre währte, aber immerhin war es doch wenigstens ein Hoffnungswerk.

Das Schauspielprogramm der Festspiele beschäftigt sich 2014 auch aus diesem Anlass mit dem Ersten Weltkrieg. Um zu erinnern, um zu verstehen – und um der Sinnlosigkeit nicht anheimzufallen.

Den Anfang machen wir mit  „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus.

„Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate“, schreibt Kraus im Vorwort seines ihm selbst – nicht nur aus theaterpraktischen Gründen – unaufführbar scheinenden Werks, das er auch deshalb einem „Marstheater“ widmete. Georg Schmiedleitner und das Ensemble des Burgtheaters werden, in einer Koproduktion mit den Festspielen, dieses extraterrestrische Theater auf der Bühne des Landestheaters  zu errichten suchen.
Wo Karl Kraus mit den Mitteln der Realsatire ätzend und analytisch den Ungeist seiner Epoche entlarvt, erträumt sich Gustav Meyrink einen Einblick in die seelischen Abgründe seiner Zeitgenossen mit seinem als Fortsetzungsroman in den Jahren 1913–1914 entstandenen „Golem“. Die englische Theatergruppe 1927, mit ihrer Regisseurin Suzanne Andrade und dem für preisgekrönte Animationen verantwortlichen Paul Barritt, die im letztjährigen YDP für Aufmerksamkeit gesorgt haben, werden den Homunkulus aus Lehm zu neuem Leben erwecken.

Auf der Perner-Insel zeigt zunächst die englische Regisseurin Katie Mitchell „The Forbidden Zone“, indem sie sich, gemeinsam mit dem Autor Duncan Macmillian, mit dem tragischen Schicksal der Chemikerin Clara Immerwahr und deren Familie auseinandersetzt.

Ebenfalls auf der Perner-Insel wird Ödon von Horvaths „ Don Juan kommt aus dem Krieg“ in einer Inszenierung von Andreas Kriegenburg zu sehen sein.

Mozarts vitalen Verführer und Herzensbrecher lässt Horvath herzkrank und auf der Suche nach einer verlorenen Liebe in einer Welt der Inflation und Nachkriegswirren bleich und irrlichternd wiederauferstehen.

Im YDP, dem Young Directors Project, zeigen wir in einer Koproduktion mit dem Schauspielhaus Düsseldorf „Hinkemann“, das expressionistische Meisterwerk von Ernst Toller in einer Inszenierung des jungen serbischen Regisseurs Miloš Lolić.

Der Salzburger Dichter Walter Kappacher hat uns ein Stück über den Salzburger Dichter Georg Trakl geschrieben. Es heißt „Der Abschied“ und wird  im YDP in der Regie von Nicolas Charaux uraufgeführt.
Mit einem sehr humorvollen „Orpheus“, der Django Reinhardt verblüffend ähnlich sieht, ist das Little Bulb Theatre  in der Regie des Regisseurs Alexander Scott aus London zu sehen. Und in einer Koproduktion mit dem Mozarteum werden die Studenten der Schauspiel-, Bühnenbild- und Regieklassen der Universität Mozarteum unter der Leitung von Hans-Werner Kroesinger auf Spurensuche zwischen 1914 und 1918 gehen. Arbeitstitel: „36566 Tage“.

Natürlich werden wir Ihnen auch Lesungen zum Ersten Weltkrieg anbieten.

Zusätzlich bereichert das Konzert mit einer Reihe von Veranstaltungen unser Thema und selbstverständlich werden wir unseren neuen „Jedermann“ in gleicher Besetzung wie im vergangenen Jahr wieder auf dem Domplatz spielen.

Wir hoffen, Sie mit der Lektüre der nächsten Seiten neugierig zu machen und Sie bald in Salzburg begrüßen zu dürfen! Wir freuen uns auf Sie!

("Die Presse" Kulturmagazin 7.6.2014)

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