Selbstvergessenheit, Hingabe, Bescheidenheit

Spanish tenor and conductor Placido Domingo poses for a portrait at the Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles
Spanish tenor and conductor Placido Domingo poses for a portrait at the Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles(c) REUTERS (MARIO ANZUONI)
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Plácido Domingo und Valentina Naforniţă bei den Salzburger Festspielen. Er singt den Conte di Luna in Verdis „Il Trovatore“, sie gibt die Zerlina in Mozarts „Don Giovanni“.

Plácido Domingo und die junge Sopranistin Valentina Naforniţă im Doppelinterview über das Singen als Beruf, Wettbewerbe, den Wandel der Zeit, ihre aktuellen Rollen bei den Salzburger Festspielen und Karaoke.

Welche Erinnerungen und Erwartungen wecken die Salzburger Festspiele bei Ihnen?

Domingo: Es gibt so viele Erinnerungen! Ich gab mein Festspieldebüt 1975 in „Don Carlo“ mit Karajan, Mirella Freni, Christa Ludwig, Piero Cappuccilli und Nicolai Ghiaurov. Es war ein unvergessliches Erlebnis wie so viele Salzburg-Erfahrungen danach – die „Hoffmann“-Produktion mit James Levine und Jean-Pierre Ponnelle im Jahr 1980 war so erfolgreich, dass sie drei Sommer in Folge gespielt wurde!

Naforniţă: Für mich wird es ein dreifaches Debüt sein und ich freue mich riesig. Ich besuche die Stadt Salzburg zum ersten Mal in meinem Leben, bin zum ersten Mal bei den Salzburger Festspielen dabei und singe zum ersten Mal die Rolle der Zerlina in Mozarts „Don Giovanni“. Ich glaube, es wird ganz fantastisch sein, sich nur auf diese eine Sache zu konzentrieren, so viel Zeit für Proben zu haben, sich langsam auf die Rolle und die Bühne einzustellen — das ist eine Möglichkeit, die man nicht oft erhält. Meist steht man unter viel größerem Zeitdruck. Ich freue mich auch sehr über die Besetzung, weil ich fast alle schon von früheren Produktionen aus Wien kenne und wir uns sehr gut verstanden haben.

Domingo: Ich freue mich wie immer auch dieses Jahr sehr auf die Festspiele und auch darauf, mit Regisseur Alvis Hermanis zu arbeiten und von neuen Ideen und Interpretationen angeregt zu werden.

Wie fühlen Sie sich mit Ihren Rollen?

Domingo: Der Conte di Luna ist natürlich der Bad Guy in dieser Oper, aber er hat auch versöhnliche Eigenschaften. Er weiß nicht, dass Manrico der lang gesuchte Bruder ist und seine schlechten Taten sind als Resultat der unerwiderten Liebe zu Leonora zu sehen. Ich mag Rollen nicht, die nur einseitig böse gezeichnet sind und ich denke, dass der Conte das nicht ist.

Naforniţă: Mir liegt Zerlina sehr — sie ist eine junge Frau, die nicht in Extremen lebt, und das gefällt mir. Außerdem ist Mozart einer meiner Liebligskomponisten.
Herr Domingo, Sie haben in der letzten Zeit einige Baritonrollen gesungen, gibt es dabei neue Herangehensweisen oder Herausforderungen für Sie?

Domingo: Ich habe im Jahr 2009 begonnen, Baritonrollen zu singen — zuerst Simon Boccanegra, dann Rigoletto und Schritt für Schritt sind dann immer mehr dazugekommen. Mein Zugang zu den Baritonrollen ist der gleiche wie der zu den Tenorrollen: Ich versuche so tief wie möglich zum Charakter der Personen, die ich darstelle, vorzudringen und jede Rolle so gut und kommunikativ zu singen, wie es nur irgend möglich ist. Was die Tessitur in der Baritonrolle des Conte di Luna anlangt, fühle ich mich wohl, sonst würde ich mich nicht daran versuchen.

Frau Naforniţă, wie gehen Sie an die verschiedenen Rollen heran − versuchen Sie sich mit allen möglichst zu identifizieren, oder können Sie auch einfach nur „der Musik folgen“ und den Charakter außer Acht lassen, wie es Anna Netrebko vor Kurzem über ihre „unzeitgemäße Rolle“ als Leonora in „Il Trovatore“ gesagt hat?

Naforniţă: Im Zweifelsfall der Musik zu folgen ist die professionellste Einstellung, die man in diesem Bereich haben kann, und ich denke grundsätzlich auch so. Man kann nicht alle Charaktere, die man spielt, mögen, sich nicht mit allen identifizieren, aber ich habe da auch einen eigenen Zugang: Für mich ist in dem Moment, in dem ich auf der Bühne stehe, genau diese eine Rolle die wichtigste und beste auf der ganzen Welt. Und auch wenn ich selbst nicht so handeln würde wie manche Opernprotagonistinnen vergesse ich mich selbst, alles Eigene verschwindet aus meinem Kopf — so kann ich auch gesanglich mein Bestes geben.

Sie haben bei mehreren internationalen Wettbewerben schon Ihr Bestes gegeben und viele Preise gewonnen, waren auch „Youngest ever Winner“ in der „BBC Cardiff Singer of the World Competition“ — mögen Sie Wettbewerbe oder ist es für Sie eher ein notwendiges Übel?

Naforniţă: Ich weiß nicht, ob es Sänger gibt, die Wettbewerbe wirklich mögen. Natürlich ist es sehr hilfreich für die Karriere, und auch ich habe als Studentin an einigen Wettbewerben teilgenommen. Es geht hauptsächlich darum, dass einen Leute vom Fach sehen und man bekannt wird. Man gewinnt jedenfalls an Erfahrung, ob man gute oder schlechte macht, ist nicht so wichtig — es ist Erfahrung. Auch Plácido Domingo fragte mich, ob ich an dem von ihm ins Leben gerufenen Wettbewerb „Operalia“ teilnehmen möchte, aber ich hatte schon damals nur sehr wenig Zeit für diese Dinge und habe Nein gesagt.

Herr Domingo, haben Sie selbst auch einmal an einem Wettbewerb teilgenommen?

Domingo: Nein, ich habe nie an einem Wettbewerb teilgenommen – meine Opernkarriere begann sehr früh. Ich habe bereits mit
18 Jahren kleinere Rollen und als Zwanzigjähriger schon Hauptrollen gesungen. Der Sinn von „Operalia“ ist aber nicht nur zu entdecken, sondern auch zu fördern, sodass junge Sänger und Sängerinnen in den frühen Phasen ihrer Karriere die Welt der Oper betreten können, ohne Entscheidungen zu treffen, die ihnen schaden.

Entscheidungen, die zur Folge haben, dass es junge Sänger und Sängerinnen gibt, die nur kurze Zeit bei guter Stimme sind, früh ausbrennen? Welche Ratschläge würden Sie etwa Valentina Naforniţá geben, für die Stimme und eine gute Karriere?

Domingo: Die Stimme und die Karriere sind untrennbar. Wenn man eine lange Karriere will, muss man sehr auf seine Stimme aufpassen. Man darf nicht jedes Angebot annehmen, muss alle Rollenentscheidungen gut abwägen und darf sich dabei nicht zu sehr in Versuchung führen lassen. Andererseits gab es Sänger, die sehr intelligente Karriereentscheidungen getroffen haben, aber keinen lang andauernden Erfolg hatten. Ich denke, es ist eine Kombination aus guten Instinkten, Intelligenz und Glück. Das sind auch die Faktoren, die ein frühes Burn-out verhindern. Manches davon kann man beeinflussen, aber manches ist wie der alte Witz, dass man sich seine Eltern sorgsam auswählen soll, wenn man im Leben erfolgreich sein will. Dass ich gute Instinkte, eine sehr starke Grundkonstitution, gute Gesundheit und genügend Intelligenz besitze, um den richtigen Weg zu gehen, war mein Glück. Ich habe aber meine Rollen vor allem zu Beginn meiner Karriere sehr sorgfältig ausgesucht. In meinem Alter könnte meine Stimme natürlich jederzeit aufgeben und ich denke, dass Gott bereits mehr als fair zu mir gewesen ist.

Naforniţá: Ich glaube, dass es heutzutage wirklich sehr schwierig ist durchzuhalten und immer in der bestmöglichen Verfassung zu sein. Man muss sehr aufpassen und über alles viel nachdenken: Was wollen wir und wie lange? Wir machen alle Fehler und lassen uns einreden, dass wir dieses oder jenes noch zusätzlich tun können und tun es auch manchmal, aber oft nur, weil es andere wollen und manchmal ist es zu viel. Manche Sänger machen den Fehler, dass sie mit zu großen Rollen beginnen, für die sie noch nicht reif sind – ich habe mit Papagena angefangen (lacht).

Was tun Sie für Ihre Stimme — Körper und Geist betreffend?

Naforniţă: Es ist sehr schwierig, die Stimme in perfekter Form zu halten – es gibt diese ja auch gar nicht, aber man will so nahe dorthin wie möglich. Für mich ist es wichtig, dass ich Pausen habe, in denen alles, was mit Singen und Oper zu tun hat, aus meinem Kopf verschwindet. Das geht ab und zu mitten am Tag oder auch am Wochenende, wenn ich laufen gehe, Filme schaue und lese, ich habe aber in den letzten drei Jahren immer nur ein paar Tage hintereinander frei gehabt und würde gern einmal für mindestens drei Wochen verreisen und die restliche Welt ganz vergessen. Für die Seele ist es wichtig, dass ich liebe, was ich mache, dass ich mit Leidenschaft dabei bin – das tut auch der Stimme gut.

Herr Domingo, was hat sich seit der Zeit, als Sie Ihre Karriere begonnen haben, am Beruf des Opernsängers geändert? Gibt es Unterschiede in der Art, wie die Stimmen klingen sollen?

Domingo: Man ist geboren mit der Stimme, die man hat. Man kann sie gut oder schlecht oder auch gar nicht entwickeln, aber die Stimme ist individuell. Ein Tenor kann nicht sagen „Oh, ich möchte klingen wie Caruso oder Bjoerling“ und sich dann diesen Klang antrainieren. Jeder hat seinen eigenen Klang. Der größte Unterschied zu den 1960er-Jahren ist, dass man nicht nur auf der Bühne stehen und schön singen, sondern auch ein überzeugender Schauspieler sein muss. Der Gesang ist zwar noch vorrangig, aber man darf sich in Zeiten von HD-Übertragungen und Aufführungen für das Fernsehen keine große Karriere erwarten, wenn man nicht auch schauspielen kann. Ich denke, dass es der Oper guttut, da sie genauso Theater ist.

Frau Naforniţá, auch im Pop wird viel „inszeniert“ – bevor Sie eine Opernkarriere begannen, wollten Sie Popsängerin werden. Sind Sie immer noch an Pop interessiert, oder hat Sie die Oper völlig davon abgebracht?

Ich schränke mich musikalisch nicht ein, höre auch andere Musik als Oper und singe auch zum Spaß im Auto oder zu Hause mit dem Radio mit. Ich habe bis etwa 16 Jahre Popmusik gesungen, würde mich bei wirklich schönen Liedern auch jetzt noch engagieren lassen − allerdings nur, wenn es mich gut repräsentiert und ich mit meiner Opernstimme singen kann, was aus meiner Erfahrung mit Karaoke nicht immer bei allen Menschen gut ankommt – und ich ärgere mich sehr, wenn ich nicht die maximale Punkteanzahl beim Karaokesingen bekomme (lacht).

Herr Domingo, zwei Opern, „Goya“ und „Il Postino“ wurden schon speziell für Sie in der Titelrolle geschrieben: Gibt es weitere Pläne für eine Oper, die für Sie geschrieben wird, vielleicht sogar über einen berühmten Sänger namens Domingo?

Domingo: Ich bin ein interpretierender Künstler und wäre sehr verlegen, wenn man mich auf die gleiche Ebene mit einem kreativen Künstler wie Goya oder Neruda stellen würde. Ich bin immer interessiert an neuen Opern und daran, dass diese Kunstform, die nun 400 Jahre existiert, zumindest weitere 400 Jahre erlebt, aber ich würde niemals in einer Oper über mich selbst singen! Eine der schönsten Erfahrungen, die eine Karriere auf der Bühne mit sich bringt, ist es ja, dass man sich selbst vergessen kann, während man andere Menschen darstellt.

("Die Presse" Kulturmagazin 7.6.2014)

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