"Seele, vergiss nicht" - ein Weltkriegsmahnmal

(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Daniel Barenboim und die Wiener Philharmoniker wiederholten ein beeindruckendes Programm aus dem Wiener Musikverein mit Staraufputz: Placido Domingo sang erstmals Musik von Max Rege.

Placido Domingo in Salzburg: Demnächst agiert der zum Bariton mutierte Tenor als Graf Luna an der Seite von Anna Netrebko im neuen „Troubadour“. Aber bevor die Proben zur Verdi-Premiere beginnen, war Domingo noch im ersten philharmonischen Konzert des Festspielsommers avisiert: als Solist in Max Regers „Requiem“.

Womit die vermutlich unschlagbar reiche Repertoireliste des Künstlers um ein weiters Stück erweitert wäre. Wohl auch die Repertoireliste der Zuhörer. Regers knapp viertelstündiges Werk zu einem Text von Friedrich Hebbel setzt den Gefallenen des ersten Jahres des Ersten Weltkriegs ein tönendes Denkmal. Reger selbst starb noch vor der Uraufführung, die erst 1916 stattfand.

Die Komposition, basierend auf einem verworfenen Versuch eines lateinischen Requiems, ist eng verwandt mit Brahms'schen Vokalwerken vom Zuschnitt der „Altrhapsodie“ und des „Schicksalslieds“. Sie bietet für den exzellent einstudierten Wiener Singverein und die Philharmoniker unter Daniel Barenboim Gelegenheit, aus dunkel-dräuender Atmosphäre in Regionen schmerzverzerrt-heftiger Expressivität – und wieder zurück – zu gelangen. Domingo war nur aufgetragen, immer eindringlicher die Worte: „Seele, vergiss nicht die Toten“ zu skandieren.

Dem Totengedenken galt bereits der Beginn des pausenlosen Abends: Für Lorin Maazel spielten die Philharmoniker Mozarts „Maurerische Trauermusik“ – und ein beträchtlicher Teil des Auditoriums wollte partout applaudieren, statt sich – wie die Musiker – zur Gedenkminute zu erheben.

Viel Applaus für Bruckners Romantik

Die Applaudierfreude setzte sich zuletzt noch bei Bruckners Vierter fort: Nach beinah jedem Satz klatschte man freudig in die Hände; dafür gab es böse Blicke, als sich nach dem echten Schlussakkord Begeisterung breitmachen wollte. Ein Moment der Besinnung war dann also doch zu verzeichnen.

Offenkundig fungieren die Salzburger Festspiele immer wieder als Stätte der Begegnung; fantastisch, wenn man erste Erfahrungen mit den riesenhaften Formen einer Bruckner-Symphonie unter solchen Umständen sammeln darf. Die Philharmoniker unter Barenboim, das heißt nämlich längst: musizieren bei vollem Einverständnis. Der Maestro baut die von Bruckner selbst so genannte „Romantische“ wie ein souveräner Architekt eine Kathedrale – auch wer sie zum ersten Mal betritt, darf sicher sein, dass alles am rechten Platz sitzt – und dass sogar die Kunstwerke in den Seitenkapellen den ihnen gemäßen Platz zugewiesen bekommen, um sich atmend zu entfalten. Die vielen Soli im symphonischen Gesamtverband atmen also frei; und erfüllen doch ihren Zweck im großen Ganzen.

Daniel Barenboim muss nicht viel zeigen: Kleine Nuancen, ein Ritardando etwa, um der Klarinette Zeit zu geben, eine Sextole im Übergang vom Fortissimo zum Pianissimo ruhig auszukosten, verstehen sich von selbst. Ein behutsamer Fingerzeig hier und da zur dynamischen Kontrolle verhindert, dass die Blechbläser ihre herrlichen Akkord-Säulen zu laut in den Raum pflanzen.

Der Rest wirkt, als ergäbe sich alles von selbst. Festspiele sind wohl dann, wenn man nicht darüber nachdenken muss, dass dem in Wahrheit keineswegs so ist. (sin)

www.Wilhelm Sinkovicz vor Ort bei den Salzburger Festspielen: www.diepresse,com/salzburgerfestspiele

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

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