Festspiele: „Die Sommerkrise 1914 ist uns nah“

SALZBURGER FESTSPIELE 2014: EROeFFNUNG / M. CLARK
SALZBURGER FESTSPIELE 2014: EROeFFNUNG / M. CLARKAPA/LMZ/NEUMAYR/MMV
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Historiker Christopher Clark warnte in seiner Rede davor, dass die Weltmächte in dieselbe Falle wie 1914 tappen. Obonya und Bechtolf lasen Kraus und Zweig.

So wie 1914 der schönste Juli war, dessen ich mich in Österreich erinnern kann...“. Stefan Zweig hat diesen Satz in seiner „Welt von gestern“ geschrieben – nun ziert er mit vielen anderen Sätzen und von der Künstlerin Nives Widauer auf alte Tapetenmuster drapiert das Foyer des Großen Festspielhauses in Salzburg. Die Festspiele sind heuer also von der Eröffnung bis zur Schauspiel-Premiere („Die letzten Tage der Menschheit“, 29.7.), von der Foyertapete bis zum Bühnenbild auf den Ersten Weltkrieg eingestellt.

Daher war auch der Redner für die offizielle Eröffnung am Sonntagnachmittag so klug und passend gewählt wie schon lang nicht. Der australisch-britische Historiker Christopher Clark verfasste im Vorjahr mit seinem Buch „Die Schlafwandler“ („The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914“) eines der wichtigsten, wenngleich auch umstrittensten Bücher zum 100-jährigen Gedenken an den Ersten Weltkrieg 1914. Er vertrat darin die These, dass der Krieg keineswegs unausweichlich war, die Deutschen nicht die Hauptschuld getroffen habe.

Nun also Salzburg, am Vorabend jenes 28. Juli, an dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100.Mal jährt. Christopher Clark erinnerte in seiner Rede daran, dass Kaiser Franz Joseph am Vormittag des 28.Juli 1914 unweit von Salzburg, in seinem kaiserlichen Sommersitz in Bad Ischl, die Kriegserklärung an Serbien unterschrieben hatte – und „genau eine Woche später befand sich Europa im Krieg.“ Dieser Krieg sei im Laufe des vergangenen Jahrhunderts sehr unterschiedlich betrachtet worden. Noch in den 1970er-Jahren habe man verklärt zurückgeblickt und die damals Verantwortlichen als „gestrige Menschen“ abgetan, die mit der heutigen Welt wenig gemein gehabt hätten.

Multipolare Welt, regionale Krisen

In der Zwischenzeit aber mute das Geschehen im Sommer 1914 so aktuell und modern an: „Die Sommerkrise des Jahres 1914 mag in einer größeren zeitlichen Entfernung von uns stehen, sie ist uns aber heute paradoxerweise näher als vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren“, so Clark. „Wir befinden uns – wie die Zeitgenossen vom Jahr 1914 – in einer zunehmend gefährlichen, multipolaren Welt, gekennzeichnet durch regionale Krisen, in denen zum Teil Großmachtinteressen verstrickt sind. Es gibt ein Neben- und Gegeneinander eines ermüdenden und vermeintlich im Niedergang begriffenen Weltreichs und einer emporstrebenden Weltmacht, die mit ihrem ungestümen Rütteln am globalen Machtgefüge in manchen Hauptstädten für Unruhe sorgt.“ Clark nannte einige der aktuellen Krisenherde beim Namen und stellte die kühne These auf, dass der Ukraine-Konflikt zwar ein Mahnmal dafür sei, wie schnell die Ereignisse auch die sorgfältigsten Pläne überrollen können, er aber dennoch eine vergleichsweise geringe Bedrohung für den Weltfrieden bedeuten würde. Die Sicherheitsarchitektur sei dank OSZE, G8 und dem Europäischen Rat gegeben.

Glühende Verteidigung der EU

Ganz anders sei das in Asien und zwischen den Nuklearmächten Russland, China, Nordkorea, Pakistan und Indien, wo es eine Vielzahl an ungelösten territorialen Streitigkeiten gebe – und „keine regionalen oder globalen Mechanismen, die in eventuellen Konflikten effektiv vermitteln könnten“.

Clark sieht uns heute „nicht unbedingt klüger oder weiser als unsere Vorfahren“, setzt aber große Hoffnungen in die Europäische Union. Er schloss seine Rede mit einer glühenden Verteidigung der EU, weil dank ihr ein Krieg zwischen den Staaten Europas unvorstellbar sei. Die EU habe innerhalb Europas eine schlechte Presse. „Aber wer sie wie ich von außerhalb betrachtet, sieht in ihr einen Akt transnationalen politischen Willens, der zu den größten Errungenschaften der Geschichte der Menschheit gehört.“

Mahnende Worte kamen auch von der Politik: Für Bundespräsident Heinz Fischer ist eine der wichtigsten Lehren aus der Geschichte die Absage an einen aggressiven Nationalismus. Auch Kulturminister Josef Ostermayer las seinen Zweig, den er zitierte, er erinnerte aber auch an Bertha von Suttner und betonte, Kunst könne Mittel „gegen Verallgemeinerung und Vorurteil, Rassismus, Hetze und Antisemitismus“ sein. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer verglich die „Hassliebe zwischen Kunst und Staat“ mit jener zwischen einem „lang verheirateten Ehepaar“, das nicht ohne einander leben könne, sich aber bis zur Weißglut reize.

Abgerundet wurde die Eröffnungszeremonie von Cornelius „Jedermann“ Obonya und Schauspiel-Chef Sven-Eric Bechtolf, die aus Werken von Karl Kraus und Stefan Zweig lasen. Kraus, Zweig und der Weltkrieg – auf der Tapete, auf der Bühne. (awa)

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Die Reden im Volltext:www.diepresse.com/kultur

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2014)

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