Salzburg: „Das bisschen Stadt ums Festspielhaus“

(c) Christine Pichler
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Zu Gast in Salzburg: Das „Schaufenster“ bat zu einem thematisch passenden Salongespräch.

Wenn andere Städte sich auf die etwas gemächlichere Sommerzeit einstellen, wird es in Salzburg erst so richtig geschäftig. Kurz bevor die berüchtigten sechs Wochen Festspielzeit einsetzen, stellen sich die Menschen vor Ort auf die beschleunigte Gangart dieser „Kulturhauptstadt der Welt“ ein. Das „Schaufenster“ begab sich in dieser Zeit an die Salzach und bat vier Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zu einem Salongespräch ins Hotel Sacher Salzburg: Kostümbildnerin Marianne Glittenberg, Museumsdirektorin Sabine Breitwieser, Industriedesigner Gerald Kiska und Modeunternehmer Sebastian Rabl unterhielten sich über Besonderheiten des Salzburger Selbstverständnisses und wagten auch Ausblicke in die Zukunft.

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Max Reinhardt soll gesagt haben: „Ganz Salzburg ist eine Bühne.“ Ist die Stadt selbst konfiguriert wie eine Bühne, oder treten die Besucher hier automatisch ins Rampenlicht?

Marianne Glittenberg: Ich kenne die Stadt hauptsächlich während der Festspielzeit, habe aber das Glück, für die Vorbereitungen immer wieder zwischendurch anzureisen. Da erinnere ich mich an einen Moment letzten Winter, als ich nachts ankam und die Stadt ohne jede Verkehrsspur im Schnee dalag: Das hatte etwas Stilles, Unreales, Vergangenes – und war von großer Bildhaftigkeit. Das mit der Bühne empfinde ich als passionierte Großstädterin im Sommer tatsächlich stark. Da gibt es ja ganze Straßenzüge, die der Natur sozusagen abgerungen sind, wo die Häuser buchstäblich in den Felsen gehauen wurden. Auch wenn das der Stadt eine gewisse Enge gibt, ist es schon etwas sehr Besonderes, fast Ereignishaftes, das Salzburg tatsächlich einen gewissen Bühnencharakter verleiht.

Gerald Kiska: Wenn man, wie ich, schon seit 25 Jahren hier lebt, aber kein Salzburger ist, kann man schon manchmal den Eindruck bekommen, die Salzburger verwechseln Bühne, konkret die Bühne der Festspiele, mit Leben. Die verbleibenden 46 Wochen im Jahr werden oft ausgeklammert, verlieren an Bedeutung. Insofern ist eine Fahrt in den Ortskern aus Anif, wo meine Firma sitzt, fast wie eine Fahrt in die Vergangenheit oder zumindest in einen Mikrokosmos, der fast zur Gänze mit sich selbst beschäftigt, nicht ganz real ist.

Herr Rabl, unter den Anwesenden sind Sie der einzige gebürtige Salzburger: Führt man hier ein bühnenreifes Leben?

Sebastian Rabl: Es stimmt natürlich, dass die Salzburger sehr zufrieden mit sich und mit ihrer Stadt sind. Anderswo, auch im Ausland, kennt ja jeder Salzburg, und wir bekommen auch immer zu hören, dass wir in einer der schönsten Städte der Welt leben. Dieser Ruf söhnt uns natürlich mit unserer Heimatstadt bis zu einem gewissen Grad aus. Und Salzburg ist ja aus vielerlei Gründen tatsächlich eine schöne Stadt. Eine andere Frage ist, ob eine schöne Stadt auch automatisch eine lebenswerte Stadt ist – das finde ich nicht unbedingt. Wenn man gern am See ist, segelt, mit dem Auto einmal schnell nach München fährt, passt alles. Wenn man, wie ich, lieber zu Fuß geht, gern gut essen geht, wird es schon wieder schwierig. Und selbst wenn das kulturelle Angebot wächst und die verbleibenden 46 Wochen immer mehr zu bieten haben, bleibt es doch im Wesentlichen die Festspielzeit, die die Stadt prägt.

Sabine Breitwieser: Ich frage mich, warum Salzburg so oft als Ausnahme betrachtet wird. Gibt es nicht viele Städte, die für einen bestimmten Wirtschaftszweig, in diesem Fall den Kulturtourismus, „aufbereitet“ werden? Das ist doch mittlerweile ein gängiges Modell. Ich denke, die eigentliche Frage ist, was kann so eine Stadt einem modernen und zeitgemäß lebenden Menschen bieten? Übrigens machen wir nächstes Jahr eine ortsspezifische Ausstellung über Bauten, die von Architekten für Salzburg geplant und nicht realisiert wurden. Da wird man sich ein Bild davon machen können, wie es hier auch aussehen könnte. Es geht ja auch darum, attraktiv zu sein für eine Vielzahl von Menschen, von qualifizierten, die sich hier ansiedeln und die Wirtschaft mit Impulsen beleben, bis zu jenen, die aus einer Notsituation hier landen.

Kiska: Auf Ihre Frage, ob in Salzburg etwas anders ist als in anderen Städten, würde ich sagen: Anders ist hier das völlige Fehlen jeglicher Industrie. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu vielen anderen Städten, und das ist übrigens auch der Grund, warum Salzburg im Zweiten Weltkrieg nicht angegriffen wurde. Diese Mischung aus verschiedenen Bereichen fehlt der Stadt, und zwar sowohl im gesellschaftlichen Kontext oder auch baulich, es gibt keine postindus-trielle Architektur. Für die Salzburger befinden wir uns in der Kulturhauptstadt der Welt, und das muss reichen.

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Andere sogenannte Second Cities in Österreich, Graz und Linz, haben sich etwa als europäische Kulturhauptstädte positioniert. Für Salzburg scheint diese Notwendigkeit nicht zu bestehen – muss das Image als Kulturmetropole nicht mehr geschärft werden?

Glittenberg: Aus meiner Erfahrung habe ich ganz stark das Gefühl: Das Festspielhaus ist der Nabel der Salzburger Welt, und die Festspiele und ihr Publikum sind auch in aller Munde. Wenn ich mit dem Taxi fahre, erzählt mir der Chauffeur schon einmal, dass er schon Cecilia Bartoli gefahren hat, und die meisten wissen auch Bescheid, wer in der Stadt ist, welche Produktionen laufen. Auch ich selbst werde in Geschäften äußerst liebenswürdig bedient, sobald man bemerkt, dass ich etwas für die Ausstattung einer Festspielproduktion suche, oder ich bekomme bei Ärzten auch zu den schwierigsten Zeiten fast umgehend einen Termin. Mir stellt sich das so dar, als würden die Menschen in der Stadt nicht nur von, sondern auch für die Festspiele leben. Ich sage das jetzt überspitzt, aber für mich, die ich sehr viel Zeit im Festpielhaus mit der Vorbereitung von Produktionen verbringe, fühlt es sich wie das Festspielhaus mit ein bisschen Stadt drumherum an.

Kiska: Im Sinn der Markenbildung ist das ja auch sinnvoll. Also genau diesen Aspekt von Salzburg zu stärken und zu pflegen, für den die Stadt weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt ist. Andere Städte haben es wiederum in der Hinsicht einfacher, dass sie noch andere Aspekte haben, auf die sie stolz sein und die sie hochhalten können.

Rabl: Ich sehe das ein bisschen anders. In Wien hatte ich stets den Eindruck, die Wiener begegnen etwa dem Burgtheater mit fast ungeteilter Zustimmung. Nicht dass sie jede einzelne Produktion gutheißen würden oder jeden Direktor, aber die Institution an sich ist etwas, was, so habe ich das erlebt, von den Wienern sehr hochgehalten wird. Und ich bin mir nicht sicher, ob es den Salzburgern mit den Festspielen wirklich gleich geht. Auf der einen Seite sind zwar fast alle stolz auf Salzburg an und für sich, aber ich glaube nicht, dass es wirklich ein Bewusstsein dafür gibt, dass es mit den Festspielen hier etwas gibt, was weltweit nahezu unerreicht ist.

Glittenberg: In einer Zeit, in der in New York, Wien oder London alle großen Stars genauso zu Hause sind wie in Salzburg, muss man aber mehr als früher an seiner Besonderheit und Unverwechselbarkeit arbeiten, um nicht nur durch die „Kulisse Salzburg“ ein Weltrangfestival zu bleiben. 

Breitwieser: Dennoch ist es so, dass darstellende Kunstformen wie Theater und Oper von der österreichischen Kulturpolitik mit Abstand die meisten finanziellen Förderungen erhalten, es ist daher kein Zufall, dass diese auch die größte Aufmerksamkeit genießen. Mit den Museen ist das anders, und es stellt schon eine Herausforderung dar, ein Haus wie etwa das Museum der Moderne Salzburg mit den vorhandenen Ressourcen innerhalb einer Riege der international relevanten Häuser und eben nicht als provinzielles Museum zu positionieren. Wenn ich mir Salzburg anschaue, denke ich, dass es jetzt besonders wichtig wäre, nicht nur an dem festzuhalten, was bisher auf seine Art und Weise funktioniert, sondern zukunftsweisende Visionen in der Planung von Kulturprojekten zu entwickeln.

Kiska: Wie Herr Rabl schon gesagt hat: Das Verhältnis der Allgemeinheit zu den Festspielen, und das ist nun einmal das Zugpferd der Salzburger Kulturszene, ist ambivalent. Auf der einen Seite nimmt man nicht ganz wahr, auf welchem Level sich das abspielt, auf der anderen Seite nimmt man es als gottgegeben. Das heißt aber fatalerweise, dass es wenig Gespür dafür gibt, wie wichtig es wäre, Visionen für die Zukunft zu entwickeln, die über das, was es derzeit gibt, hinausgehen. Um den Vorsprung zu halten, den es dank der Leistungen in der
Vergangenheit gibt, braucht es weiterhin Einsatz und Engagement.

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Eine der Fragen, die sich in und für Salzburg wahrscheinlich stellen, ist: Wie kann es zu einem Imagetransfer aus Bereichen, für die die Stadt weltbekannt ist, in andere Domänen kommen . . .?

Kiska: Meine Firma könnte ebenso gut bei München oder Frankfurt sitzen, für meine Arbeit oder dafür, qualifizierte Mitarbeiter zu finden, ist der Ruf der Stadt belanglos. Was an Salzburg jedoch praktisch ist: Ich muss es nie erklären, weil jeder potenzielle Mitarbeiter und jeder Kunde im Ausland die Stadt kennt. Dementsprechend leicht tue ich mir auch damit, einen Kunden in die Stadt zu holen, der über ein verlängertes Wochenende bleibt. Beim Rekrutieren von Mitarbeitern ist mir, wie gesagt, nicht geholfen, weil sehr zukunftsorientierte Leute, wie es Designer nun einmal im Regelfall sind, nicht unbedingt wissen, was sie mit sich hier anstellen sollen. 

Als Sie, Frau Breitwieser, aus New York nach Salzburg gegangen sind, hat Sie wahrscheinlich auch niemand gefragt, wo das ist. Aber hat man Sie gefragt, warum Sie für einen Job in der Kunst nach Salzburg gezogen sind?

Breitwieser: Tatsächlich wurde ich nicht nach der Stadt gefragt, in die ich ziehe, sondern welches Museum das ist, das ich übernehme. Aber manchmal ist dann eben doch auch die Stadt selbst ein Zugpferd, das einen entscheidenden Vorteil mit sich bringt. Als ich etwa unlängst in Paris war, um die libanesische Malerin und Schriftstellerin Etel Adnan für eine Ausstellung zu gewinnen, hat sich herausgestellt, dass sie in den Achtzigerjahren die Stadt Salzburg mehrmals besucht und sich sogar überlegt hat, hierherzuziehen. Sie ist nun um die 90 Jahre alt und fährt nur noch mit der Bahn, und wusste schon ganz genau, wie sie anreisen wird. Und so geht es vielen, habe ich manchmal den Eindruck, fast jeder hat seine Salzburg-Geschichte oder irgendeinen Bezug zu der Stadt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum so viele Architekten bereit waren, für Salzburg einen Entwurf zu machen. Meine Aufgabe ist nun, ergänzend zu den Festspielen das Museum der Moderne Salzburg in den Köpfen der Menschen in der ganzen Welt zu verankern. 

Herr Rabl, wir haben so viel darüber gehört, wie die Stadt „draußen“ wahrgenommen wird – wie geht es denn Ihnen, wenn Sie woanders sind: Werden Sie dann auch automatisch auf Ihre Salzburger Herkunft reduziert?

Rabl: Fakt ist, dass ich mich selbst tunlichst nicht als Salzburger definiere, weder in Salzburg noch sonst irgendwo. Die unglaublich positive Wahrnehmung, die mir besonders im fremdsprachigen Ausland oft entgegenschlägt, lässt mich dann oft fragen, ob dieses idyllische, großartige Salzburg dasselbe ist, das ich auch kenne. In Österreich hilft einem das Salzburger-Sein zumeist denkbar wenig, da wird man meiner Meinung nach eher mit Animosität gesehen. Man muss auch bedenken, dass ein Festspielpublikum, das ein paar Wochen in der Stadt ist, hier keine Szene ausmachen kann.

Interessant finde ich den sich in unserem Gespräch abzeichnenden Dualismus „sechs versus sechsundvierzig Wochen“ im Stadtleben. Spiegelt sich das auch in Ihren Umsätzen wieder?

Rabl: Ohne zu tief in das Thema des Textileinzelhandels eintauchen zu wollen, wenden sich natürlich Luxusmarken so weit wie möglich an das lokale Publikum und versuchen zugleich, ein internationales Publikum zu erreichen. Durch den in Salzburg zu verzeichnenden Dauertourismusstrom ist es nicht mehr ganz so wie früher, als der Sommer mit Abstand die wichtigste Zeit war.

Kiska: Wenn man sich aber die Auslagen der Juweliere in der Innenstadt anschaut, wird ganz klar für sechs Wochen umdekoriert. Das ist ja schon bezeichnend.
Breitwieser: Das fühlt sich für mich an wie in Städten mit einer bedeutenden Kunstmesse, wie Basel während der Art Basel. Die Frage, die sich für uns im Museum stellt, ist, wie man Salzburg auf die Route der inzwischen großen Gruppe von Kunstinteressierten bringt. Frankfurt und seine Museen profitieren natürlich vom Flughafen, der ein interkontinentaler Hub ist. Die wichtigen Akteure des Kunstbetriebs und – in Österreich wird das nach wie vor unterschätzt – die große Masse von Kunstliebhabern wählen schon ein halbes Jahr vor wichtigen Terminen wie in Basel, Kassel oder Venedig noch ein, zwei Destinationen in Europa aus, die sie besuchen. Und damit die vorbeikommen, muss man natürlich auf deren Landkarte ein Haus mit einem unverwechselbaren Programm sein.

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Salzburg als Kulturmetropole, Österreich als Kulturnation – die beiden sind untrennbar verbunden, vielleicht schon deshalb, weil die ersten Festspiele 1920 kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges abgehalten wurden. Ist dieses hochkulturelle Selbstbild also etwas so tief in der Identität dieser Stadt Wurzelndes, dass eine Neuorientierung oder Aktualisierung besonders schwerfällt?

Kiska: Da ist es bei einer Stadt oder bei einem Land nicht anders als bei einer Person. Die stärksten Eigenschaften sind zugleich die lähmendsten, weil sie zuverlässig die Ausbildung anderer Eigenschaften behindern. Die einzige Frage, die man sich stellen sollte, ist: Wie sieht das Zukunftsmodell aus? Was muss man verändern, worauf muss man fokussieren, was braucht es, um das zu erhalten, was da ist und worauf man so stolz ist? Von selbst wird das nicht passieren.

Breitwieser: Das sehe ich ähnlich. Wie sieht das Salzburg der nächsten fünfzig Jahre aus, welche Trends zeichnen sich ab beziehungsweise welche Entwicklungen sollten unterstützt werden? Welche wichtigen Impulse setzen die Verantwortlichen, natürlich auch die Politik? Mit Sparmaßnahmen allein wird man nicht weiterkommen, und in der eingangs erwähnten Bühne mit grauen Mänteln, die man sich vielleicht angezogen hat, öffentlich das Sparen zu inszenieren, das ist nicht sehr attraktiv. 

Glittenberg: Ganz konkret gesprochen und auf die Situation der Festspiele bezogen, heißt das, dass, wenn es wie in der Vergangenheit nicht mehr reicht, interessante Künstler in dieser Stadt und nur hier zu vereinen, versucht werden muss, auf allen Gebieten noch deutlicher exzeptionell zu sein. Auf meine Arbeit als Kostümbildnerin bezogen, die ja sehr von den Salzburger Mitarbeitern, Materialien, Produktionsmöglichkeiten abhängt, heißt das, dass das Limit nicht noch knapper gesetzt werden darf. Wenn das über dem Normalen Liegende nicht mehr finanzierbar ist, ist der erworbene Status als das „bedeutendste Festival“ verspielt. 
Rabl: Generell muss man sagen, auch in Salzburg werden Ansprüche gestellt, die die Dimensionen der Stadt und der Stadtpolitik überschreiten. Wir reden ja von einer 150.000-Einwohner-Stadt, keiner Weltmetropole. Da sind vielleicht die Erwartungen ähnlich überproportioniert wie der Bekanntheitsgrad der Stadt im Allgemeinen.

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