Cecilia Bartoli: „Man kann dem Drama nicht entrinnen“

(c) Uli Weber/Decca
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Cecilia Bartoli über ihre Verantwortung für die Pfingstfestspiele und starke Frauenfiguren.

Wagemut, Entdeckerfreude, Abenteuerlust und Fantasie darf man Cecilia Bartoli getrost attestieren. Nicht nur als Sängerin, sondern auch als Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele. Zur Erinnerung: Alexander Pereira hat die international gefeierte Sängerin im Herbst 2010 überraschend als neue Künstlerische Leiterin für die Salzburger Pfingstaktivitäten vorgestellt. Zunächst für drei Jahre bestellt, wurde ihre Intendanz inzwischen bis 2021 verlängert.

Für die Künstlerin war ihre Bestellung natürlich eine große Ehre, zugleich aber auch eine große Verantwortung, immerhin waren „meine Vorgänger sehr bedeutende Dirigenten wie Herbert von Karajan und Riccardo Muti“. Genauso wie sie als Interpretin gerne in die Tiefe schürft und in unbekannte oder vergessene Terrains vorstößt, empfindet sie auch die Programmierung ihres Festivals als „ungemein kreativ“ und stellt Jahr für Jahr spannende und originelle Programme zusammen.

Heuer wagt sie sich erstmals an die Titelpartie von Glucks „Iphigénie en Tauride“ – und setzt damit konsequent ihre Vorstellungen fort. Denn dass „große, in mancher Hinsicht mythische oder heroische Frauengestalten im Fokus stehen können, war mir von Anfang an ein zentrales Anliegen, besonders, da zum ersten Mal eine Frau als Künstlerische Leiterin fungiert. Darüber hinaus geht es mir speziell darum, die verschiedenen Brechungen aufzuzeigen, denen Helden, und insbesondere Frauen unterliegen. In solch überhöhter Form sind sie ja oft nur die Folie für Projektionen der ,normalen‘, sie idealisierenden Menschen, oder aber jener Leute oder Mächte, die sie bewusst mythisieren, zumeist mit ganz eigennützigen Zielen“, erklärt Bartoli.

Wegweisend. Die 1779 in Paris uraufgeführte „Iphigénie en Tauride“ markiert den Höhepunkt von Glucks Reformideen und ist auch für Bartoli von wegweisender Bedeutung: „Gluck verfolgt bei seiner ,Iphigénie en Tauride‘ einen sehr strengen, genau definierten Plan, von dem er nicht abweicht. Als Erstes würde ich einmal die Nähe zum Text nennen. Gluck muss die französische Sprache hervorragend beherrscht haben, denn die Musik folgt der Sprache Silbe für Silbe, der Sprachrhythmus ist exakt in den musikalischen Rhythmus übersetzt. Und parallel zu dieser Nähe zur Sprache folgt dann auch die Nähe zur Handlung. In der ,Iphigénie en Tauride‘ hat Gluck die Abfolge von Secco-Rezitativ und Arien gänzlich verlassen, alle Rezitative sind ,Accompagnati‘. Das bedeutet für den Interpreten und den Zuhörer, dass man wie durch einen Sog in die Handlung hineingezogen wird, ohne ,Ruhepausen‘. Man kann dem Drama nicht entrinnen. Die daraus folgende dramatische Tiefe ist gerade deshalb so ergreifend. In diesem Kontinuum von Musik und Handlung ist Gluck der Vorläufer der Romantiker. Man denke nur daran, wie später Wagner die Idee weiterentwickelt hat.“

Bei ihrem aktuellen Gluck-Abenteuer denkt sie auch die Salzburger Aufführungen der Vergangenheit mit: „Orfeo“ von 1948 unter Karajan und „Iphigénie en Aulide“ 1962 unter Böhm. Schließlich haben die Festspiele auch mit dem konzertanten ,Orfeo‘ von 1990 unter John Eliot Gardiner die Gluck-Rezeption im 20. Jahrhundert mitbestimmt. Daher sieht sie ihre „Iphigénie en Tauride“ als Fortführung einer hochinteressanten Serie: „Wir versuchen dabei, Gluck nun im heutigen Kontext zu sehen, wo er inzwischen wirklich zum Repertoire gehört, wie auch viele seiner Zeitgenossen, Vor- und Nachfahren, weshalb wir ihn in seinem Umfeld und seiner ganzen Bedeutung einschätzen können. Nicht zuletzt freue ich mich persönlich ganz besonders auf die Herausforderung eines Rollendebüts, dazu noch in französischer Sprache, und die Rückkehr zu einem Komponisten, den ich ganz besonders schätze.“

Balanceakt. Die Herausforderung in der Gestaltung der Iphigénie liegt für Cecilia Bartoli besonders in der genauen Behandlung des Wortes und der richtigen Balance zwischen Text und Musik. Auch eine überzeugende, menschliche Darstellung ist ihr wichtig. Schließlich ist Iphigénie keine kalte griechische Statue, sondern eine Frau voller Zweifel und Gefühle. Unter dem Motto „So ruf ich alle Götter“ kreisen die Pfingstfestspiele 2015 rund um die Mythologie, die auch nach tausenden Jahren nichts an Aktualität verloren hat. „Die Mythenforschung beschäftigt sich genau damit, dass es gewisse Geschichten oder Überlieferungen, oft von schicksalshaften oder familiären Verstrickungen, gibt, die sich in verschiedenen Weltgegenden und über Jahrhunderte in ähnlicher Gestalt wiederholen“, erklärt Cecilia Bartoli.

Mit der Iphigénie setzt sie ihren Kurs jedenfalls konsequent fort: Bei ihren ersten Festspielen 2012 stand mit Kleopatra eine archetypische Frauenfigur im Zentrum, die in möglichst vielen Facetten und künstlerischen Aneignungen beleuchtet wurde. Danach folgte eine zeitgemäße Lesart von Bellinis „Norma“, bei der gezeigt wurde, wie eine Frau die an sie gestellten viel zu hohen Erwartungen und Zwänge zu überwinden versucht, was nur im Tod enden kann. Zuletzt war mit Rossinis Aschenbrödel eine einfache Märchenfigur zu erleben, hinter der ernste und aktuelle Probleme einer von gesellschaftlicher Konvention und familiärer Unterdrückung hin- und hergerissenen Frau durchschimmerten.

So wie die „Iphigénie en Tauride“ wird die „Norma“ von 2013 auch von den Festspielen im Sommer gezeigt werden. Letztere nicht nur dort, denn die mit dem International Opera Award ausgezeichnete Produktion wird weitergereicht: „Es ist für mich eine ganz besondere Freude, dass diese Produktion sozusagen auf Tournee geht! Nach den vier Vorstellungen in Salzburg wird die ,Norma‘ im Oktober 2015 am Opernhaus Zürich zu sehen sein, im Februar 2016 in Monte-Carlo. Später sind Aufführungen in Großbritannien, Frankreich und Deutschland geplant.“

In Kürze wird man auch wissen, womit Cecilia Bartoli ihren Erfolgskurs dann 2016 fortschreiben will. Sie verspricht jedenfalls ein Thema aus dem „großen Fundus von William Shakespeare“ und für die szenische Neuproduktion „eine große Überraschung, auf die ich mich schon ganz besonders freue!“

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