Komponist, wie hältst du‘s mit der Religion?

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Zur Ouverture spirituelle: Wie religiös muss man sein, um religiöse Musik schreiben zu können? Eine Spurensuche von Bach bis Bruckner.

„In dieser Woche habe ich dreimal die Matthäuspassion des göttlichen Bach gehört, jedes Mal mit dem Gefühl der unermesslichen Verwunderung. Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier wirklich wie ein Evangelium.“ Also sprach Friedrich Nietzsche, und auch wenn bei der Ouverture spirituelle nicht die Matthäuspassion erklingt, hat man doch anhand der „Hohen Messe h-Moll“ (am 19. Juli mit dem Collegium 1704 unter Václav Luks) und des „Musikalischen Opfers“ (am 23. Juli mit dem Concert des Nations unter Jordi Savall) reichlich Gelegenheit, dem Satz des Philosophen hörend nachzuspüren.

Nietzsche, mittlerweile auch schon 105 Jahre tot, berührt hier einen gerade heute ganz wesentlichen Punkt, denn die Zahl der Menschen, die „das Christentum völlig verlernt“ haben, hat seither deutlich zugenommen. Doch auch für jene, denen das biblische Wort nichts oder nur wenig sagt, gibt es ungebrochen viele Möglichkeiten, mit seiner Vertonung in Berührung zu kommen, und von der sakralen Musik eines Bach, Beethoven oder Bruckner im positiven Sinn getroffen zu werden.

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Bach, religiös. Die Frage liegt freilich auf der Hand, wie es diese Komponisten denn selbst mit der Religion hielten. Bei Johann Sebastian Bach ist sie noch einfach zu beantworten. Der Protestant war tief religiös und umfassend theologisch gebildet, die Formel „Soli Deo Gloria“ (Gott allein zur Ehre), von ihm ans Ende vieler Kompositionen gesetzt, war alles andere als eine Pflichtfloskel. Doch es gibt selbst bei Bachs religiösen Werken Aspekte, die einen gedanklich stolpern lassen, gerade bei der h-Moll-Messe: Zunächst einmal, dass es ein Protestant war, der eine der faszinierendsten katholischen Messen komponiert hat. Der Theologe und Kirchenmusiker Peter Paul Kaspar erkennt in Bachs explizitem Bezug auf das frühchristliche Konzil von Nizäa einen überkonfessionellen Aspekt. Bach als ökumenischer Vordenker? Ein reizvoller Gedanke. Verstörend hingegen, dass dieses überwältigende Werk nicht in einem Guss entstanden ist, sondern über 15 Jahre hinweg. Damit nicht genug: Bach hat auch, wie es Brauch der Zeit war, eigene frühere Werke dafür ausgebeutet: „Es fällt nicht leicht zu akzeptieren, dass sogar bei Bachs h-Moll-Messe große Teile im Parodieverfahren entstanden sind. Wenigstens bei einem solch zentralen Werk abendländischer christlicher Musik hätte man gern gewusst, dass die Musik eine primär und genuin religiöse Eingebung gewesen ist“, schreibt Kaspar.

Haydn, inspiriert. Auf religiöse Eingebung schien auch der Katholik Joseph Haydn mitunter gebaut zu haben – dann nämlich, wenn er eine Schreibblockade hatte, wie seinem Biografen Georg August Griesinger zu entnehmen ist: „Wenn es mit dem Komponieren nicht so recht fort will, hörte ich ihn sagen, so gehe ich im Zimmer auf und ab, den Rosenkranz in der Hand, bete einige Ave Maria, und dann kommen mir die Ideen wieder.“ Woher die Einfälle auch immer gekommen sind, Ideenarmut ist wohl das Letzte, was man Haydn vorwerfen kann. Auch heuer erklingt zum Auftakt der Ouverture spirituelle seine „Schöpfung“; nach John Eliot Gardiner, Nikolaus Harnoncourt und Bernard Haitink legt heuer der Franzose Marc Minkowski seine Lesart vor. Wenn er am 18. Juli ans Pult der von ihm gegründeten Musiciens du Louvre Grenoble tritt (unterstützt von Mitgliedern des Mozarteum-Orchesters Salzburg und dem Salzburger Bachchor unter Alois Glassner), kann man sich einer Sache gewiss sein: Die musikalische Energie, die Minkowski freisetzen wird, wird dem Titel des Werkes höchst angemessen sein.

(c) Salzburger Festspiele/Martin Sigmund

Hatte Haydns Bindung an seine Kirche dieselbe Intensität gehabt wie die Bachs? Haydn war jedenfalls – wie Mozart, dessen c-Moll-Messe KV 427 am 22. Juli in der Stiftskirche St. Peter mit dem Mozarteum-orchester Salzburg unter Matthew Halls erklingt – Mitglied einer Freimaurerloge, was zumindest ein weniger enges Verhältnis nahelegt. Von Distanz kann man hier freilich noch nicht sprechen, schon eher bei Ludwig van Beethoven, dessen monumentale „Missa solemnis“ am 22. Juli unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt im Großen Festspielhaus erklingt. Der unermüdliche Klangredner hat ein hochkarätiges Solistenensemble (Laura Aikin, Elisabeth Kulman, Johannes Chum und Ruben Drole) versammelt, dazu seinen Concentus Musicus und den wunderbaren Arnold Schönberg Chor. Wenn Joseph Haydn Beethoven angeblich einen Atheisten nannte, muss man das nicht wörtlich nehmen. Man weiß allerdings, dass Beethoven kein Kirchgänger war und eine durchaus kirchenkritische Haltung an den Tag legen konnte, darf dabei freilich nicht vergessen, dass Beethoven ein Kind der Reformära Josephs II. und der Französischen Revolution war. Gleichzeitig kann man sich der spirituellen Wirkung seiner „Missa solemnis“ schwer entziehen, und areligiös war der Komponist keinesfalls. Versuche, ihn in eine eher pantheistische Ecke zu stellen, sind nicht ganz unschlüssig. Beethoven hat sich übrigens nachweislich für den Hinduismus, Schwerpunkt der heurigen Ouverture spirituelle (siehe Text rechts), interessiert.

Schubert, kritisch. Mit pantheistischen Texten konnte auch Franz Schubert manches anfangen, mit der katholischen Kirche und vor allem ihren Repräsentanten schon weniger. Schubert, dessen Abschlusszeugnis von 1814 in Religion ein „Schlecht“ ausweist, konnte durchaus ein wortgewaltiger Kritiker sein, wie ein Brief an seinen Bruder Ignaz zeigt: „Doch hast Du keinen Begriff von den hiesigen Pfaffen, bigottisch wie ein altes Mistvieh, dumm wie ein Erzesel, und roh wie ein Büffel.“ Und doch: Genau dieser Schubert konnte religiöse Werke schreiben, die bis heute tief berühren. Am 24. Juli erklingt sein zuletzt wieder häufiger zu hörendes Oratorium „Lazarus“, unter anderem mit Werner Güra, Marlis Petersen und Sophie Karthäuser sowie der Camerata Salzburg unter Ingo Metzmacher. Am 25. und 26. Juli wird Andrés Orozco-Estrada am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg Schuberts As-Dur-Messe zu Gehör bringen, an allen Darbietungen ist auch wieder der Salzburger Bachchor beteiligt.

(c) Salzburger Festspiele/Marco Borggreve

Bruckner, tiefgläubig. So klar die Lage bei Bach ist, so klar ist sie bei Bruckner: Seine Religiosität ist über jeden Zweifel erhaben, und sie hat, erinnert sei nur an des Komponisten penible Buchführung über absolvierte Gebete, ihm auch einigen Spott eingetragen. Mit Bruckner greifen am 25. Juli auch die Wiener Philharmoniker in die Ouverture spirituelle ein, mit dessen f-Moll-Messe, geleitet von Yannick Nézet-Séguin und mit Solisten wie Dorothea Röschmann oder Franz-Josef Selig. Von Bruckner sind die Worte überliefert: „Ich aber will weiterwirken, damit mich einst bei der großen Abrechnung der liebe Gott nicht beim Schopfe nehmen und zu mir sagen kann: Lump, warum hast Du Dein Pfund nicht ausgenutzt, das ich Dir einst gab?“ Die Sorgen waren wohl unbegründet.

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