Henry Mason: „Sehr schlau geschrieben!“

(c) Katharina Roßboth
  • Drucken

Henry Mason über „Die Komödie der Irrungen“, Shakespeare, Zwillinge und das Gemeine an der großen Liebe.

Ein Sturm auf dem Ozean, der zwei Zwillingspaare trennt, mafiose Strukturen, kuriose Verwechslungen, Seitensprung, Wiedervereinigung und am Ende ein Wunder: Henry Mason, der zuletzt große Erfolge bei den Salzburger Festspielen mit „Ein Sommernachtstraum“ im Residenzhof und mit „Der Zauberer von Oz“ an der Wiener Volksoper gefeiert hat, inszeniert heuer auf der Halleiner Perner-Insel ein Frühwerk Shakespeares: „Die Komödie der Irrungen“. Mason, selbst Brite, der in Linz lebt, beide Eltern sind Opernsänger, hat das Stück neu übersetzt. Mit der „Presse“ sprach der Regisseur über seine Leidenschaft für den Dichter, dessen Inspirationen und Quellen.

Erzählen Sie von Ihrer Inszenierung, folgt die Aufführung dem Original? Gibt es Musik? Wie machen Sie das mit den zwei Zwillingspaaren, die manchmal gemeinsam auftreten?
Wir arbeiten daran! Fix ist, ich habe eine Neuübersetzung gemacht, die aber absolut beim Original bleibt. Das Stück ist kurz, es wird keine Pause geben. Wie man das löst, mit den zwei Zwillingspaaren, die am Schluss gemeinsam auf der Bühne stehen, das bleibt mein Geheimnis. Das ist die kleine Zeitbombe für das Publikum. Es ist jedenfalls so, dass ein Schauspieler die beiden Antipholus von Ephesus und von Syrakus spielt, nämlich der Schauspieler, Performer und Tänzer Thomas Wodianka, und Florian Teichtmeister gibt die beiden Dromio, die Diener. Wir haben Musik, es wird gesungen. Zeitlich docken wir bei den Fünfziger-, Sechzigerjahren an.


Warum gerade diese Zeit?
Der Ausgangspunkt war die Rahmenhandlung mit dem Herzog. Es gibt ein Einreiseverbot für die Leute aus Syrakus in Ephesus, wo das Stück spielt, weil der Herzog von Syrakus Kaufleute aus Ephesus misshandelt beziehungsweise getötet hat, die kein Geld hatten, sich loszukaufen. Dafür rächt sich der Herzog von Ephesus. Ich lese das so, dass es mafiose Strukturen gibt, ein Gentleman-Gaunertum, das in den Fünfziger- und Sechzigerjahren noch eine gewisse Eleganz behauptet hat. Wir wollen aber keinen historischen Realismus, die Kostüme spielen subtil auf diese Verhältnisse an.


Shakespeare mischt gern Dunkles und Helles, Trauriges und Heiteres. Manchmal geht es recht gespenstisch zu, wenn etwa Antipholus von Ephesus nach mannigfachen Turbulenzen ins Kloster flüchtet. Wie balancieren Sie das Komische und das Tragische aus?
Bei den besten Komödien ist immer auch der Tod im Spiel oder das Verderben. Das ist wichtig, damit es um etwas geht, damit es auch etwas zu verlieren gibt. Die Figuren in diesem Stück erleben teilweise einen Identitätsverlust, das sichere Leben des Antipholus von Ephesus ist in großer Gefahr. Über seinem Vater Egeon schwebt das Damoklesschwert der Hinrichtung. Das Ausbalancieren des Komischen und des Tragischen ist immer eine Gratwanderung – und – wie der Name schon sagt, man wandert auf einem Grat und darf weder auf der einen noch auf der anderen Seite herunterfallen. Zum Glück ist das eine handwerklich sehr gut gemachte Komödie, die auch Commedia- und Farcen-Elemente enthält, ein sehr schlau geschriebenes Stück.


Die Frauenfiguren sind sehr konservativ angelegt. Adriana, Ehefrau des Antipholus von Ephesus weint ständig nach ihrem Mann, ohne den sie sich unvollständig fühlt. Ihre Schwester Luciana ermahnt sie, setzt sie unter Druck und belehrt sie.
Mir fällt auf, dass sich diese zwei Schwestern wahnsinnig auf den Wecker gehen. Luciana ist heimlich in ihren Schwager verliebt, sie profiliert sich als die Vernünftige, weil Adriana die Drama-Queen ist. Dass sich eine Frau über ihren Mann definiert, das kommt auch heute vor. Es war auch schon mal jeder von uns so verliebt, dass er sich total abhängig gemacht hat von jemandem und dann nicht mehr Herr seiner selbst war. Das kann einem mit 16, aber auch mit 60 passieren. Wichtig finde ich, dass man als Regisseur nicht Handlungsanweisungen erteilt, also jedenfalls nicht dem Publikum: So sollt ihr leben, und so sollt ihr nicht leben. Das ist ein subtiles Spiel, das sind Lebensentwürfe, die Shakespeare nebeneinander stellt. Der Witz liegt in der Vielfalt der Stimmen und Situationen.


Wie weit hat Shakespeare effektvolle Theatertricks genutzt – und seine eigene Biografie? Er war selbst Vater von Zwillingen.
Ja, sein Zwillingssohn ist relativ jung gestorben. Zu sehr sollte man die Stücke nicht an der Biografie festmachen. Aber, natürlich, man sieht, wie sich die Ereignisse in der Biografie Shakespeares in den Figuren und in der Stoffverwandlung wiederfinden. Es hat ihm sicher auch Spaß gemacht, mit den Geschlechterrollen zu spielen, wobei man nie vergessen darf, dass im elisabethanischen Theater sämtliche Rollen von Männern gespielt wurden. Frauen auf der Bühne gab es nicht, und wenn sich wie in „Was ihr wollt“ ein junger Mann, der eine Frau spielt, in einen jungen Mann verwandelt, gibt das für komödiantische Verwirrungen einfach viel her. 


Shakespeare bediente sich auch gern bei vorhandenen Stoffen.
Bei der „Komödie der Irrungen“ hat er Stücke von Plautus verwendet, „Menaechmi“, auf deutsch: „Die beiden Zwillingsbrüder“, 200 v. Chr. in Rom aufgeführt, und „Amphitruo“, diese Geschichte haben auch Molière und Kleist in Komödien verarbeitet.


Die Figuren auf der Bühne haben immer Angst vor Gesichts­verlust, sie wollen und müssen sich verbergen.
Ich sehe das anders: Die Leute in diesem Stück sind großteils rührend naiv, keiner hintergeht keinen, keiner belügt keinen, bis auf Antipholus von Ephesus, der diesen Seitensprung hat. Alle sind ganz ehrlich miteinander, und trotzdem passieren ständig die wunderbarsten Verirrungen, weil keiner nachfragt, wenn nämlich einer nachfragen würde, fiele alles zusammen. Dieses Stück ist wie ein Soufflé und es zu inszenieren ein Drahtseilakt. 


Fühlen Sie sich jetzt anders als bei „ Ein Sommernachtstraum“ im Residenzhof? Entspannter?
Auf jeden Fall. Bei „Ein Sommernachtstraum“ war Mendelssohns Musik dabei, und das ist auch ein Stück, von dem viele eine bestimmte Vorstellung haben, das leicht nicht gefällt beziehungsweise leichter missfällt als gefällt. Diesmal sind wir in Hallein, ich wohne auch dort, das heißt, ich bekomme den Festspiel-Trubel nicht so mit, was mir ganz recht ist. Wir sind die einzige Produktion auf der Perner-Insel, wir nehmen uns Zeit, das Kammerspiel mit dem Raum zu verflechten.


Haben Sie ein Lieblingsstück von Shakespeare?
Ich mag sehr viele seiner Stücke. So aus dem Bauch heraus, ich schätze das Märchenhafte, „Wintermärchen“ habe ich einmal inszeniert im Theater in der Kulturfabrik in Helfenberg im oberen Mühlviertel. Auch „Die Komödie der Irrungen“ habe ich schon einmal gemacht, eine Mini-Studioproduktion mit sieben Leuten, ich habe den Herzog gespielt und noch ein paar kleinere Rollen. Ich liebe vor allem Shakespeares Schlüsse, diesen Moment, wo alles in Ordnung ist, diese utopische Hoffnung, dass alle Wunden geheilt werden und jeder eine zweite Chance bekommt. 


Glauben Sie, dass das auch in Wirklichkeit so ist?
Ja, das glaube ich. Natürlich habe ich viel Glück gehabt, allerdings gab es auch viele Herausforderungen. Manche haben natürlich mehr, manche weniger Pech, aber insofern bin ich ein optimistischerer Mensch als ich denke, dass es immer die Möglichkeit einer Heilung gibt, auch wenn sie nicht vom Himmel fällt. Man muss in die Konflikte hineingehen, die Dinge anschauen, auch da, wo es wehtut. Dann kann fast alles besser werden.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.