Dramatische Umwegrentabilität

Richard Strauss‘    „Die Liebe der  Danae“ wurde acht Jahre nach der Generalprobe in Salzburg uraufgeführt.
Richard Strauss‘ „Die Liebe der Danae“ wurde acht Jahre nach der Generalprobe in Salzburg uraufgeführt.(c) Schmutzer, Ferdinand/ÖNB-Bildarchiv
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Erinnerungen an Salzburger Generalproben­sensationen: 2016 gibt man Richard Strauss’ „Die Liebe der Danae“ und Thomas Bernhards
„Der Ignorant und der Wahnsinnige“.

Zwei Stücke, die scheinbar gar nichts, unterschwellig aber sehr viel miteinander zu tun haben. Jedenfalls haben sie beide Salzburger Festspielgeschichte geschrieben – mit zeithistorischem und skandalträchtigem Hintergrund. Da ist einmal die letzte Uraufführung einer Oper von Festspiel-Gründer Richard Strauss. Das ius primae noctis für „Die Liebe der Danae“, vorletzte im Bunde der 15 Strauss-Opern, sollte Salzburg zufallen. Clemens Krauss war als Dirigent ausersehen. Die Premiere fand auch statt; allerdings – singulärer Fall in der Operngeschichte – acht Jahre nach der Generalprobe. Letztere (im August 1944) hat Richard Strauss noch erlebt. Die Uraufführung von 1952 hingegen war bereits eine posthume Ehrung des Komponisten. Dazwischen fielen Bomben, das sogenannte Dritte Reich ging unter, hinterließ Deutschland in Schutt und Asche. Dass die Generalprobe überhaupt stattfinden konnte, verdankte Strauss dem Überredungsgeschick seines liebsten Dirigenten, Clemens Krauss, der bei den Berliner Behörden durchsetzte, dass zumindest ein Durchlauf der fertig geprobten Uraufführungsproduktion vor geladenem Publikum im Festspielhaus gespielt werden durfte. Wenige Tage zuvor hatte Hitlers Propagandaminister Goebbels den „totalen Krieg“ proklamiert. An Opernpremieren, gar an Festspiele, war nicht mehr zu denken. So unterblieb die „Danae“-Uraufführung.

Erfüllung lang gehegter Sehnsüchte. Doch die Probe blieb allen, die dabei waren, nicht zuletzt den Mitgliedern der Wiener Philharmoniker, auf ewig ins Gedächtnis geprägt. Mit tränenerstickter Stimme dankte der 80-jährige Meister seinen Künstlern und war glücklich, auch diese Oper zumindest einmal noch gehört und in einer offenbar mustergültigen Produktion auch gesehen zu haben. Die „Danae“ war ja so etwas wie eine Erfüllung lang gehegter Sehnsüchte für den Bildungsbürger Strauss, für den die scheinbar unvereinbaren Traditionen der deutschen Kulturgeschichte und der antiken Überlieferung lebenslang die Grundlagen seines Denkens und Schaffens gebildet hatten. Nun meinte er endlich, sein „letztes Bekenntnis zum Griechentum“ abgelegt und „die endgültige Vereinigung der deutschen Musik mit der griechischen Seele“ geschafft zu haben. Auch wenn die Nachwelt anders darüber urteilte und der „Liebe der Danae“ einen Platz auf den hinteren Reihen zuwies: Der Schöpfer der „Elektra“ war seinen Weg unbeirrt gegangen, vom machtvollen symphonischen Drama zu einer Musik hintergründiger Gelöstheit.

Schon während der Arbeit mit Hugo von Hofmannsthal ging es beiden Autoren um eine moderne Variante mythologischer Opern. Und während der Arbeit an ihrem vorletzten gemeinsamen Projekt, der „Ägyptischen Helena“ beschworen sich Dichter und Komponist gegenseitig, den „Wagner’schen Musizierpanzer“ abzulegen und geradezu zu operettenhafter Leichtigkeit zu finden. Mit der „Helena“ war das zwar nicht geglückt, doch markierte ein Werk wie „Daphne“, knapp zehn Jahre nach Hofmannsthals Tod, bereits eine ganz andere, „südlichere“ Gangart: Das Werk ist erfüllt von leuchtender Musik, einer Klanglichkeit, die Strauss in der „Danae“ weiterzuentwickeln trachtete.

Der Text stammte vom „Daphne“-Librettisten Joseph Gregor, den der Komponist immer nur als Notlösung empfand. Eigentlich wollte er mit Stefan Zweig zusammenarbeiten, was die nationalsozialistische „Rassen-politik“ unmöglich machte. Glücklich wurde Strauss mit Gregors Texten nie wirklich, auch wenn er den Autor zu immer neuen Revisionen und Neudichtungen zwang und ihm ungeniert Homer-Jargon vorwarf, wenn sich der hochgebildete Gregor bemühte, den rechten antikisierenden Tonfall zu treffen. Dabei basierte die „Danae“ sogar auf einem Entwurf Hugo von Hofmannsthals, der schon nach der Arbeit an der gewichtigen „Frau ohne Schatten“ auf Straussens Wunsch nach einer „griechischen Operette“ einzugehen trachtete. „Danae oder die Vernunftheirat“ hieß des Dichters Entwurf, der zwei griechische Mythen vereinte, jenen von Danae und dem göttlichen Goldregen und jenen vom König Midas, dem Zeus die Gabe verleiht, alles, was er berührt, in Gold zu verwandeln.

Die Fabel, die Gregor unter Strauss’ fortwährendem Genörgel nach dem Hofmannsthal-Szenarium ausgearbeitet hat, besticht durch Danaes innere Verwandlung: Im Zentrum des Werks erstarrt sie durch Midas’ Berührung zu ihrem eigenen, goldenen Denkmal. Sie hat sich dem Gott (in der Oper nicht Zeus, sondern dem römischen Jupiter) verweigert, in dessen Boten Midas verliebt und wählt – obwohl der Gott dem Menschen die alles vergoldende Kraft wieder nimmt – das Leben an der Seite des Geliebten in Armut. Im dritten Akt unternimmt Jupiter noch einen Anlauf, die Angebetete im Zelt des Eseltreibers umzustimmen, muss aber erkennen, dass die wahre Liebe stärker ist als alle übermächtig scheinende Gewalt.

Strauss ging in einem Brief, wenige Wochen nach der Salzburger Generalprobe, mit sich selbst ins Gericht und beschrieb manche Passagen des ersten Aufzugs der Oper als zu langwierig, befand aber den Mittelakt als beinah durchwegs gelungen und kommentierte den dritten Aufzug mit den Worten: „. . . möchte mir das (wohl von allen gebilligte) Lob spenden, daß er zum Besten gehört, was ich je geschrieben habe.“ Er spendet sich auch – dankbar, das Werk zumindest einmal vom vollen Orchester musiziert gehört zu haben – „als Maler“ das Lob: „daß die Farben meines Orchesters noch einmal in altem Glanz aufleuchten“.

Keine Reprise. 28 Jahre später schreibt ein Dichter an seinen Verleger: „Ich selbst bin ausserordentlich bestraft durch die Tatsache, dass ich mein Stück überhaupt nicht mehr sehen konnte und meine Erinnerung daran sich auf meinen Eindruck in der ersten Hauptprobe beschränken muss.“ Es war Thomas Bernhard, der bei der Uraufführung seines „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ 1972 nicht anwesend war. Bernhard konnte keine Reprise dieses zweiten seiner Theaterstücke sehen, weil keine Reprisen stattfanden. Der „Ignorant“ war nach der Uraufführung abgesetzt worden. Beziehungsweise verbot der Regisseur, Claus Peymann, die erste der Wiederholungsaufführungen, weil die Festspielleitung sich weigerte, der Forderung stattzugeben, dass in den letzten Minuten nicht nur das Licht auf der Bühne, sondern auch die Notlichter im Zuschauerraum des Landestheaters ausgelöscht werden sollten. Der berüchtigte „Notlichtskandal“ machte Schlagzeilen in aller Welt. Was war geschehen? Wieder war es eine Generalprobe, um die sich alles drehte. In selbiger gestattete man die Notlicht-Bizarrerie und die etwa 100 Anwesenden erlebten den Schluss des „Ignoranten“, wie er von Bernhard gedacht war. Völlige Dunkelheit. Man hört, wie auf dem Tisch (der zweite Akt des Stücks spielt im Wiener Restaurant Zu den drei Husaren) Gläser und Flaschen umgeworfen werden.

Vorhang, Verwirrung, Hin und Her. Bei der Premiere blieben die Notlichter aufgedreht, wie das den feuerpolizeilichen Vorschriften in Österreich entspricht. Das führte zu einer Verwirrung der Hauptdarstellerin, die sich über den Tisch warf, ehe der Vorhang fiel. Danach gab es ein aufgeregtes Hin und Her zwischen Verlag, Autor, Regisseur und Festspielleitung. „Eine Gesellschaft, die ein paar Minuten Finsternis nicht erträgt, kommt ohne mein Stück aus“, ätzte Bernhard. Mancher Kommentator meinte, man käme durchaus auch ohne Theaterstücke von Thomas Bernhard aus. Mittlerweile hat die Welt ihr Urteil über den Dramatiker Thomas Bernhard gesprochen. Er zählt zu den meistgespielten Autoren der jüngeren Vergangenheit. Bruno Ganz, der Doktor der Uraufführungsinszenierung, die nur einmal gespielt werden durfte, wurde von den deutschen Theaterkritikern für diesen Auftritt als eindrucksvollster Schauspieler preisgekrönt, Bernhards Werk galt denselben Juroren als wichtigstes Stück des Jahres 1972.

Unzählige Untersuchungen beschäftigen sich seither mit Bernhards Dramaturgie, mit der Musikalität seiner Theaterdichtungen und weisen nach, dass nicht von ungefähr dem „Ignoranten“ ein Motto von Novalis vorangestellt ist: „Das Märchen ist ganz musikalisch.“ Musikalisch müssen Regisseure mit den endlosen Monologen der Bernhard’schen Texte umgehen, auch in „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ lassen sich mühelos musikalische Formelemente aufspüren, kontrapunktische Verflechtungen von Themenkomplexen – etwa die minutiösen Auslassungen des Doktors über das Sezieren von Leichen, die die dramatische Zuspitzung gegen Ende des ersten Teils, wenn die Sängerin der Königin der Nacht in der Theatergarderobe zur perfekten „Koloraturmaschine“ wird, ebenso kontrapunktisch begleiten wie das Decrescendo des zweiten Teils, wenn beim Diner in den Drei Husaren die Spannung immer weiter nachlässt, bis die Königin ihre künftigen Auftritte telegrafisch absagen lässt.

Die Stadt auf den Kopf stellen. Apropos Musikalität: Über sein folgendes Stück, die am Burgtheater 1973 uraufgeführte „Jagdgesellschaft“, sagt Bernhard, es sei wie eine Symphonie in drei Sätzen gearbeitet: „Der letzte Satz ist der langsame Satz.“ Bernhards älterer Dichterkollege Carl Zuckmayer, der von der Schauspielerin Marianne Hoppe, die für die Hamburger Erstaufführung vorgesehen war, den Text vorab erhalten hatte: „Es ist ein grandioses Stück. Seit Strindbergs Kammerspielen habe ich nichts mehr von ähnlicher dramatischer Dichte und Bannkraft gelesen. Und von einem Theatersinn ohnegleichen.“ Salzburg bekam von seinem umstrittenen „Sohn“, der an seinen Verleger Siegfried Unseld nach dem „Notlichtskandal“ schrieb: „Mir geht es darum, in dieser Stadt noch einiges zu machen, auf den Kopf zu stellen, ganz einfach da, wo ich her bin“ noch Werke wie „Die Macht der Gewohnheit“ (mit Bernhard Minetti) und „Am Ziel“ (mit Marianne Hoppe) zur Uraufführung überlassen.

Auf die Festspielgesellschaft kommt Bernhard dann noch expressis verbis in seinen „Berühmten“ zu sprechen und gießt Hohn und Spott über Dirigenten und Sängerinnen – das Werk kam allerdings bei den Wiener Festwochen zur Erstaufführung. Im „Theatermacher“ geht der Dichter dann noch direkt auf den „Ignorant“-Skandal ein und lässt den Prinzipal räsonieren: „In Gaspoltshofen hatten sie/Das Notlicht gelöscht/In Frankenmarkt auch/Selbst in Ried im Innkreis/Das doch als einer der dümmsten Orte verschrien ist . . .“

Infos

Richard Strauss: Oper, „Die Liebe der Danae“, Großes Festspielhaus

Musikalische Leitung: Franz Welser-Möst

Regie: Alvis Hermanis

Mit: Krassimira Stoyanova (Danae), Tomasz Konieczny (Jupiter), Norbert Ernst (Merkur), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Pollux), Regine Hangler (Xanthe);
den Wiener Philharmonikern,
der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

Termine: 31. Juli, 19.30 Uhr (Premiere)
5. und 8. August, 19.30 Uhr
12. August, 20 Uhr
15. August, 19 Uhr

Thomas Bernhard: Schauspiel, „Der Ignorant und der Wahnsinnige“, Salzburger Landestheater

Regie: Gerd Heinz

Mit: Annett Renneberg (Königin der Nacht), Christian Grashof (Vater), Sven-Eric Bechtolf (Doktor), Barbara de Koy (Frau Vargo), Michael Rotschopf (Kellner Winter)

Termine: 14. August (Premiere), 15., 17., 18., 20., 22., 24., 26., 27. August, immer 19.30 Uhr.

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