Helga Rabl-Stadler: Die Künstler sind die besten Seismografen

Helga Rabl-Stadler.
Helga Rabl-Stadler.(c) Salzburger Festspiele/Doris Wild und Team
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Die Kunst berühre die Existenzfragen des Lebens, sagt Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler im Interview.

Träume stehen als „geheime Überschrift“ über dem Programm für den Sommer 2016. Wovon träumen Sie?
Von einem guten Festspielsommer. Wenn ich in einer Probe bin – wie beispielsweise für die „West Side Story“ – dann träume ich schon von der Premiere. Ich habe sehr viele positive Träume.

Die Salzburger Festspiele starten mit der Uraufführung von „The Exterminating Angel“ von Thomas Adès. Ein Wagnis?
Uraufführungen sind immer spannend, im positiven und im negativen Sinn. Der Komponist hat – wie zu Mozarts Zeiten – bis zu Beginn der Proben komponiert. Ich freue mich, dass wir einen Schwerpunkt zu Thomas Adès zusammenstellen konnten. Es gibt heuer mehrere Uraufführungen, die Salzburger Festspiele sind für die zeitgenössische Kunst ein Fenster zur Welt.


Wie bereiten Sie sich auf den Sommer vor?
Lesen, lesen, lesen. Ich habe heuer die ganze Geschichte rund um „Die Liebe der Danae“ gelesen. Es beschäftigt mich sehr, dass Strauss mitten im Zweiten Weltkrieg so ein entrücktes mythologisches Thema gewählt hat. Die Geschichte rund um die abgesagte Danae-Uraufführung im Jahr 1944 zeigt auch die Rolle der Festspiele. Es gab bei den Festspielen – wie in Österreich insgesamt – Opfer und Täter. Da saßen die, die gegen Hitler gekämpft haben, und jene, die sich blenden ließen, nebeneinander.


Welches Buch liegt auf Ihrem Nachtkästchen?
„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ von Joachim Meyerhoff habe ich gerade gelesen. Auch das Buch von Clemens Hellsberg über die Wiener Philharmoniker war sehr spannend. Und das neue Buch von Valerie Fritsch. Es zeigt sich, dass die Künstler die besten Seismografen unserer Gesellschaft sind.


Kommen Sie angesichts Ihres Terminkalenders überhaupt zum Lesen?
Ich lese immer. Es ist meine Art der Erholung.


Die Ouverture spirituelle steht im Zeichen des östlichen Christentums. Viele Mitwirkende stammen aus Ländern, aus denen Christen fliehen müssen. Wie gehen Sie damit um, wenn Flucht und Vertreibung plötzlich so nah sind?
Es ist schwierig. Welches Programm macht man in einer Zeit, in der die reale Not alles so überlagert? Viele unserer Aufführungen berühren die Existenzfragen des Lebens. Unser Programm will das Publikum zum Nachdenken bringen. Auch zur Bereitschaft, sich durch die Musik verändern zu lassen. Die Festspiele wurden als Friedensprojekt geschaffen, das ist unser schönster Gründungsauftrag.


Was kann ein Festival überhaupt leisten, wenn es um so große Fragen wie Krieg, Vertreibung oder Flucht geht?
Wenn wir unser Publikum zum Nachdenken bringen, leisten wir als Festspiele sehr viel. Ideal, dass wir bei der „West Side Story“ das Simón Bolívar Orchestra wieder zu Gast haben. Dieses Orchester beweist, dass Musik auch sozial etwas bewegen kann. Unsere Eröffnungsoper „The Exterminating Angel“, bei der es um eine eingeschlossene Gesellschaft geht, trifft ins Mark.


Was ist Ihnen bei den Disputationes im Rahmen der Ouverture spirituelle ein Anliegen?
Die Disputationes sind ein echter Mehrwert für die Festspiele. Die Themen dieser Diskussionen berühren unsere Grundfragen, wie wir mit Liebe, Glauben, mit Macht und Gegenmacht umgehen. Schön, dass die Disputationes gerade von den Salzburgern so gut angenommen werden. Wir brauchen diese Verankerung in der Bevölkerung, sonst fehlen uns die Wurzeln.


Wird es unter Markus Hinterhäuser eine Ouverture spirituelle geben?
Auch er plant einen besonderen Beginn der Festspiele. Mehr kann ich nicht verraten.


Salzburg gehört seit 200 Jahren zu Österreich. Ein Grund zu feiern oder zu bedauern, dass Salzburg nicht mehr eigenständig ist?
Die Zugehörigkeit zu Österreich ist für Österreich und für Salzburg ein Glücksfall. Nur schade, dass wir 1816 den Rupertiwinkel verloren haben. Mir gefällt die Idee, das Jubiläum nicht als Selbstbeweihräucherung zu feiern, sondern als Anlass zur Standortbestimmung und zum Nachdenken zu nützen. Die Salzburger sind Österreicher und Europäer.


Wie würdigen die Festspiele das Jubiläum?
Im Rahmen der Ouverture spirituelle gibt es Musik von Salzburger Hofkapellmeistern. Da ist Johann Michael Haydn, der zu Unrecht im Schatten seines großen Bruders steht, zu hören, oder Heinrich Ignaz Franz Biber. Es werden einige Wieder- und Neuentdeckungen für das Publikum dabei sein. Und dann im Schauspielprogramm Thomas Bernhard. Das ist der andere Blick auf Salzburg.


China, Russland, Brasilien: Was bringt die Programmpräsentation der Festspiele auf mehreren Kontinenten?
Unser Ziel ist es, neue Kundenschichten zu erschließen. In Asien ist das Interesse für die Festspiele enorm. Was mir sehr am Herzen liegt ist auch Südamerika. Bereits zehn Südamerikaner in einem Konzert ändern das Klima. Diese Musikalität geht uns Europäern ab.


Sie machen gerade eine Umfrage unter Besuchern über Aufenthaltsdauer und Ausgaben – gibt es schon erste Ergebnisse?
Ich bin schon sehr gespannt auf das Ergebnis. Wir bekommen Waschkörbe voller Post. Diese große Reaktion zeigt, wie stark das Publikum mit uns verbunden ist. Der Zweck der Umfrage ist natürlich auch, der Politik vor Augen zu führen, welche Bedeutung die Festspiele künstlerisch und ökonomisch haben. Man darf nicht vergessen, dass die Festspiele Stadt und Land großen Wohlstand bringen. Diese ökonomische Funktion war auch den Festspielgründern bewusst und Max Reinhardt hat sie beim Landeshauptmann Franz Rehrl offen angesprochen.


Wie geht es Ihnen mit dem Budgetrahmen von rund 60 Millionen Euro? Reicht das in Zukunft?
Das Budget ist meine größte Sorge. Ich wäre glücklich, würde die Politik einsehen, dass wir eine jährliche Valorisierung in der Höhe der Gehaltssteigerungen brauchen. Sonst fressen uns diese Steigerungen immer ein Stück vom Budget für die Kunst weg.


Was steht bei den Investitionen an?
Anders als vergleichbare Häuser müssen wir uns unsere Erhaltungsinvestitionen selbst zahlen. Im Großen Festspielhaus geht es um Investitionen von drei Millionen Euro in neue Elektroleitungen und 10,4 Millionen für den Brandschutz. Ich habe kein Talent zur Frustration, aber ich empfinde es schon manchmal als eine Demutsübung, wie sehr ich um Investitionen in die Festspielhäuser betteln gehen muss. Umso dankbarer bin ich, dass Landeshauptmann, Bürgermeister und Finanzminister jetzt die Finanzierung des Brandschutzes sichergestellt haben.


Das Haus für Mozart feiert heuer zehnjähriges Bestehen. Ihre Bilanz?
Ich bin sehr glücklich, dass wir dieses Haus haben. Es waren viele Anläufe nötig, um es zu realisieren. Das Haus hat sich sehr bewährt. Heuer wird sogar die Uraufführung „The Exterminating Angel“ im Haus für Mozart gespielt. Glücklich bin ich auch, dass wir gleichzeitig die Felsenreitschule akustisch und technisch aufrüsten konnten. Sie ist ein wunderbarer Aufführungsort, besonders auch für die zeitgenössische Musik.


Was empfehlen Sie dem Publikum als Einstimmung für den Festspielsommer?
Stefan Zweigs „Die Welt von gestern“ – auch wenn man es schon oft gelesen hat.

Zur Person

Helga Rabl-Stadler ist seit 1995 Präsidentin der Salzburger Festspiele. Seit Herbst 2014 bildet die Salzburgerin gemeinsam mit Sven-Eric Bechtolf das Direktorium der Festspiele.

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