„The Exterminating Angel“: Im Luxus gefangen

Thomas Adès. Komponist, Dirigent,  Kammermusiker, Liedbegleiter, Pianist.
Thomas Adès. Komponist, Dirigent, Kammermusiker, Liedbegleiter, Pianist.(c) Salzburger Festspiele/Brian Voce
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Mit der Opern-Uraufführung „The Exterminating Angel“ nach Luis Buñuels „Der Würgeengel“ kann der 45-jährige Brite Thomas Adès sein Gespür als einer der bedeutendsten Opernkomponisten seiner Generation beweisen.

Für gestandene Surrealisten und auch für Science-Fiction-Fans, die mit Zeitreise-Paradoxa vertraut sind, dürfte der Fall klar sein: Die diesjährige Festspiel-Opernuraufführung haben wir eigentlich Woody Allen zu verdanken. Oder genauer: einer seiner Filmfiguren, nämlich dem amerikanischen Drehbuchautor Gil. Der erlebt in der Liebeskomödie „Midnight in Paris“ Flashbacks in die Kunstgeschichte der Stadt und trifft dabei auch einen humorlos-steifen Spanier, der sich als Luis Buñuel herausstellt. Gil schlägt ihm kühn vor, einen Film über eine Festgesellschaft zu drehen, die den Ort ihrer Feier mysteriöserweise nicht mehr verlassen kann. Doch der übellaunige Regisseur weist die Idee als blanken Unsinn von sich. Und die Kenner kichern: Genau das ist nämlich der Inhalt von Buñuels surrealistischem Streifen „El ángel exterminador“ aus dem Jahr 1962 – jener Film also, der die Grundlage für Thomas Adès’ Oper „The Exterminating Angel“ liefert, die ab 28. Juli im Haus für Mozart zu erleben ist. Eine illustre Riege älterer bis neuer Opernstars mimt die angesichts ihrer Gefangenschaft bald verstörten Gäste aus Adel und gehobenem Bürgertum: Die geschlossene Gesellschaft wird zur geschlossenen Abteilung. Regie führt der irische Theatermacher Tom Cairns, von dem auch das Libretto stammt, am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien steht Thomas Adès selbst.

Patentrezept? Künstlerisches Risiko! Woody Allens Filmszene ist freilich mehr als ein bloßer Insidergag. Denn in verblüffender Manier scheint sie, ihre eigenen Grenzen sprengend, zugleich etwas Wesentliches über die Musik von Thomas Adès zu erzählen: Auch in ihr führen nämlich manchmal zirkelschlüssige Verweise in die Musikhistorie und wieder retour, klingen Beziehungen quer durch alle Stilepochen an, die paradoxerweise geleugnet zu werden scheinen und dabei dennoch aufrechtbleiben. „Die alten Grundbestandteile“ wirkten „frisch und neu gehört und geordnet“, fasste der britische Kritiker Andrew Porter den Sachverhalt einer jeweils auf die expressiven Erfordernisse sich einstellenden und dabei doch selbstständig bleibenden Adès’schen Tonsprache zusammen: „So leben Bach, Couperin, Berlioz, Sibelius, Berg – neu gehört, verstanden und geliebt – in jener aufregenden zeitgenössischen Klangwelt weiter, in die Adès seine Zuhörer entführt.“ Wenn er wüsste, warum seine Opern so erfolgreich seien, würde er das Patent verkaufen, scherzte der 1971 in London geborene Komponist vor Kurzem in einem Interview. Schon früh – und ganz seinem großen Vorgänger Benjamin Britten entsprechend – konnte er auch als Pianist, Dirigent und Festivalleiter im besten Sinn von sich reden machen. So groß die Geheimnisse, Rätsel und rational unfasslichen, nicht berechenbaren Reste ganz allgemein in der Kunst und besonders in der diffizilen Gattung der Oper auch sein mögen: Ein paar Bestimmungsstücke lassen sich schon ermitteln, die zwar nicht automatisch Erfolg erzeugen, die aber umgekehrt an vielen gern nachgespielten Werken ablesbar sind – und das Nachspielen jenseits der Uraufführungen ist es ja, was eine tiefere Rezeption erst ermöglicht.

Sexskandal, Zauberinsel, goldener Käfig. Da ist zunächst einmal das Sujet, eine möglichst packende Story. Bei seinem Bühnenerstling, der 1995 uraufgeführten Kammeroper „Powder Her Face“, fand Adès seine Geschichte in der Realität: In Rückblenden erzählt das Werk das Leben der schönen Millionenerbin Margaret Whigham, deren zweite Ehe mit dem Duke von Argyll 1963 in einem Skandalprozess geschieden wurde – nicht zuletzt aufgrund eines Fotos, das die Herzogin beim Oralsex mit einem Unbekannten zeigt. Sie überlebte den Image-Knick jedenfalls mit überraschend geringem gesellschaftlichen, dafür aber erheblichem finanziellen Schaden. Ihr luxuriöser Lebensstil ließ sie schließlich verarmt sterben. Adès und sein Librettist Philip Hensher stilisieren sie freilich weder zur Heiligen noch zur Hure oder zum reinen Opfer einer bigotten Männerwelt, sondern zeichnen eine rätselhaft-vielschichtige Figur.

Mit seiner zweiten Oper hielt der Shootingstar der britischen Komponistenszene dann 2004 bereits Einzug in die heil’gen Hallen von Covent Garden – und mit dem noblen Schauplatz schien der Griff zu einem beliebten Sujet der Weltliteratur nur passend: „The Tempest“ nach Shakespeare nahm seit der Uraufführung auch zahlreiche weitere Bühnen wie im Sturm, darunter die Wiener Staatsoper. Schon damals wollte Adès eigentlich Buñuels „Würgeengel“ zu einer Oper machen, sah sich aber noch mit Urheberrechtsproblemen konfrontiert. Diese sind mittlerweile gelöst. Nun sieht er seine dritte Oper gewissermaßen als „Kind“ der ersten beiden, indem sie Society-Tragikomödie und das magisch umflorte Schicksal von Shakespeares Schiffbrüchigen im Surrealen miteinander vereint.

Musikalisches Profil mit allen Mitteln. Zweiter Wegweiser zum Erfolg: Rollen, in denen Sängerdarsteller glänzen können. Die „Dirty Duchess“ ist eine Glanzpartie für eine moderne Diva, die Glamour, Grandezza und die Tragik äußerer wie innerer Abgründe zu verkörpern und auszudrücken weiß. Im „Tempest“ sind die Interpreten fast durchwegs extrem gefordert – aber haben sie die Einstudierungshürden erst einmal überwunden, setzen sich die Puzzlesteine aus extremen Lagen, mit historischer Bedeutung aufgeladenen Koloraturen, noblen Kantilenen und vielem mehr zu konturenscharfen Porträts zusammen, die zugleich stark aufs Publikum wirken. Audrey Luna reüssierte da mit Stratosphärensopran als Ariel und ist im „Würgeengel“ nun wieder dabei – inmitten eines Ensembles, aus dem nicht zuletzt die große schwedische Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter hervorragt.

Ganz aus unserer Zeit. Damit sind wir schon – drittens und untrennbar verbunden mit den Gesangspartien – bei der Musik im Allgemeinen. Farbreich schillernde Klänge, die die Handlung zugleich illustrieren und dabei ungeniert Erinnerungen ans Barock über die Romantik bis zur Atonalität aufrufen, aber das Geschehen doch auch emotional vertiefen, mit Bedeutung anreichern, auf eine höhere Ebene heben, zu einem neuen Ganzen verschmelzen.

„Man hört deutlich, dass Thomas’ Musik aus unserer Zeit stammt“, sagt von Otter. „Gleichzeitig sind viele Komponenten wohlbekannt, rhythmisch und harmonisch etwa. Das Werk spannt einen großen Bogen, die Musik macht eine starke Entwicklung durch, genau wie die Charaktere.“ Adès selbst ist überzeugt: „Opern muss man auf instinktive Weise schreiben, oder man lässt es besser sein.“ In Salzburg lässt sich nun miterleben, wohin ihn sein Instinkt diesmal geführt hat. 

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