Quartett der neuen Klänge

György Kurtág, ein Meister der Reduktion, der Töne mit enormer Emotion auflädt.
György Kurtág, ein Meister der Reduktion, der Töne mit enormer Emotion auflädt.(c) Attila Kisbenedek/AFP/picturedesk.com
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Friedrich Cerha, György Kurtág, Péter Eötvös, Thomas Adès: Gleich vier Komponisten der Gegenwart rückt Salzburg contemporary ins Zentrum – und lässt ihre Werke in anregenden Austausch mit der Tradition treten.

Womit verdienen Opernregisseure ihr Geld? Sie interpretieren die von Librettisten und Komponisten geschaffenen Werke nach ihrem eigenen, hoffentlich besten künstlerischen Wissen und Gewissen, bringen sie mehr oder minder neu auf die Bühne. Damit bilden sie einen der einflussreichsten (und keineswegs immer beliebtesten) Faktoren im Musiktheaterbusiness. Wie aber kann es klingen, wenn ein Komponist den Spieß umdreht? Wenn er Regisseure auf musikalische Weise deutet und von seinem persönlichen Blickwinkel aus porträtiert? Peter Eötvös hat 1986 vier Große der Zunft in einem „Vorspiel“ und drei „Szenen“ zu Klang werden lassen: Peter Brook, Luc Bondy, Klaus Michael Grüber und Patrice Chéreau. Das schillernde, freilich rein instrumentale Ganze heißt „Chinese Opera“. Nicht weil Eötvös darin konkret auf die chinesische Oper anspielen würde, sondern weil diese gerade durch eine Fülle lokaler Traditionen und Spielarten geprägt wird. Das Klangforum Wien, weltweit eines der virtuosesten Ensembles für die Musik der Gegenwart, wird in Salzburg diesen wortlosen Theater(macher)reigen Revue passieren lassen, am Pult steht der Komponist selbst (1. August).

Ausdrucksgewalten. Vom Quartett der Regisseure en détail zum Quartett der Komponisten en gros – denn gleich vier bedeutende Tonschöpfer aus drei Generationen rücken in diesem Festspielsommer bei Salzburg contemporary ins Zentrum: die beiden großen Neunziger, Friedrich Cerha und György Kurtág, dann der 1944 geborene Péter Eötvös sowie schließlich Thomas Adès, mit 45 Jahren gerade halb so alt wie die beiden Nestoren in diesem Bunde und mit der Uraufführung der Oper „The Exterminating Angel“ auch besonders im Rampenlicht.

Bei allen radikal unterschiedlichen Lebenswegen durch die Zeitläufte, stilistischen Eigenheiten und persönlichen Interessen eint die vier weit mehr, als man auf den ersten Blick annehmen würde. In vielen ihrer Werke ist etwa ein besonderer Drang zum Szenischen fühlbar, teils zur regelrechten Bühne, teils zum unmittelbar packenden, gestischen Ausdruck im rein Instrumentalen. Bei drei von ihnen wuchs sich diese Faszination zu mehreren großen Musiktheaterwerken aus: Allein an der Wiener Staatsoper waren in den vergangenen Jahren etwa Cerhas „Riese vom Steinfeld“, Adès’ „Tempest“ und Eötvös’ „Drei Schwestern“ mit großem Erfolg zu erleben. Und Kurtág, der sich selbst und seine Musik 1959 nach einer Phase quälender Selbstkritik radikal neu erfunden hat, besitzt ohnehin eine besondere Affinität zu bildhaft-einprägsamen Klängen, gewonnen aus bis zum Bersten gespannten Ausdruck und verpackt in kleine, manchmal kleinste Gestalten, die sich freilich zu größeren Mosaiken zusammensetzen. Darüber hinaus sind alle vier auch als fähige Interpreten eigener und fremder Werke hervorgetreten, die meisten von ihnen am Dirigentenpult, Adès zusätzlich noch am Klavier.

Friedrich Cerha hat einen Traum als „Eine blassblaue Vision“ Klang werden lassen.
Friedrich Cerha hat einen Traum als „Eine blassblaue Vision“ Klang werden lassen.(c) Die Presse (Clemens Fabry)

Wieder nimmt Kurtág dabei eine leichte Sonderstellung ein. Er beschränkt sich aufs Piano, hat unvergesslich intime Auftritte mit seiner Frau Márta absolviert (Dennis Russell Davies und Maki Namekawa spielen in Salzburg die dafür entstandenen, wunderbaren Bach-Bearbeitungen am 26. August) – und liebt es, seine meist klein besetzten Werke minutiös zu erarbeiten. Das merkten auch die Verantwortlichen nach der Verleihung eines renommierten Preises an den Komponisten: Auf dem anschließenden Empfang mit illustren Ehrengästen aus Politik und Wirtschaft wurde Kurtág plötzlich vermisst, ja es stellte sich heraus, dass er nie dort eingetroffen war. Erst nach geraumer Zeit konnten ihn die Besorgten aufstöbern – in der Garderobe der Musiker, die zuvor beim Festakt aufgetreten waren. Kurtág hatte sie, die Welt um sich herum vergessend, in penible, aber unerhört fruchtbare Proben verwickelt . . .

Von Wurzeln und Novitäten. Wie schön, dass in Salzburg in Kurtág’scher Manier „komponierte Programme“ zu erleben sind, also beziehungsreich ersonnene Werkabfolgen, die zusammen für Interpreten wie fürs Publikum mehr ergeben als bloß die Summe ihrer Teile: Da greifen etwa mit Pierre-Laurent Aimard am Klavier Kurtágs „Hommage à R. Sch.“ mit Kammermusik eben dieses Robert Schumann sowie mit Kurtág-Hommagen jüngerer Kollegen ineinander (14. August), da treten beim Calder Quartet Kurtágs „Moments musicaux“ mit Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“, aber auch mit dem auf Schubert bezogenen Streichquartett „Arcadiana“ und dem Klavierquintett von Thomas Adès in Verbindung (2. August). Und das Klangforum spürt den Wurzeln Kurtágs und Cerhas bei Anton Webern nach (6. August).

Mit besonderer Spannung aber werden die beiden großen Uraufführungen im Konzertprogramm der Festspiele erwartet. Zum einen steht eine Cerha-Novität für Orchester an, die Cornelius Meister mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien am 11. August aus der Taufe hebt. „Eine blassblaue Vision“ (2013/14) basiert auf einer morgendlichen Erscheinung des Komponisten, im für ihn kreativ immer wieder besonders anregenden Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen. Cerha erzählt von einer umnebelten, pulsierenden Gestalt: „In zartes Licht gehüllt, stand die Gestalt zunächst vor einem nachtschwarzen Hintergrund. Mit zunehmender Nähe zum Erwachen löste sie sich langsam in feinen Schwaden auf und zurück blieb eine leere Mandorla. Ich habe zweimal versucht, das Erlebnis malend festzuhalten, aber die Musik war spontan sofort da.“

Diese geheimnisvollen privaten Klänge finden in Péter Eötvös’ „Halleluja – Oratorium balbulum“ (2015) auf einen Text Péter Esterházys ihre zugleich himmlische und doch unausweichlich irdische, mit speziell ungarischem Humor unterfütterte Fortsetzung. Es treten auf: „Ein Engel (diesmal eine Frau mit verrauchter Stimme), ein stotternder Prophet, ein selbstbewusster Chor, der nicht nur Halleluja singen möchte, und der Erzähler, der versucht, die fragmentarischen Szenen dem verehrten Publikum zu vermitteln“, verrät der Komponist. Dabei hat er eine Unzahl historischer Halleluja-Kompositionen verwendet – nicht zitierend, sondern in seine Partitur eingewoben: „Ich liebe die Tradition, ich liebe die Avantgarde, ich liebe die asiatische Musik genauso wie Miles Davis.“ Zu hören sind prominente Solisten wie Peter Simonischek, Daniel Harding dirigiert die Wiener Philharmoniker (30. Juli).

Heans inas au . . . Bei dieser Fülle neuer und neuester Klänge bleibt einem nur, mit einem Augenzwinkern die Eröffnungsnummer von Cerhas wienerisch-hintersinniger „1. Keintate“ nach Mundartgedichten Ernst Keins zu zitieren, die Nali Gruber am 12. August in seiner unnachahmlichen Weise als Dirigent und Chansonnier prägen wird: „Heans inas au . . . heans inas/uandlech au/unds wiad ina/ gaus woam ums heaz/ode se griang/de ganslhaut/ans fon de zwaa.“ Und Musikfreunde wissen: Große Werke, egal aus welcher Zeit, bewirken oft beides zugleich.

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