„West Side Story“: Broadway-Elan und Operntiefsinn

In der Rolle der Maria. Cecilia Bartoli, Künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele.
In der Rolle der Maria. Cecilia Bartoli, Künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele.(c) Uli Weber/Decca
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Mit Stars wie Cecilia Bartoli und Gustavo Dudamel verspricht Bernsteins geniale „West Side Story“ in der Regie von Philip Wm. McKinley nach der Premiere zu Pfingsten auch ein Highlight des Festspielsommers zu werden.

Die Wiener Philharmoniker hat Gustavo Dudamel eigentlich schon mit sieben Jahren dirigiert: 1988 in seiner Heimatstadt, Barquisimeto in Venezuela. Damals hatte der Sohn einer Gesangslehrerin und eines Posaunisten seine Spielsachen als Orchester vor sich arrangiert und schwang mit Hingabe den Kochlöffel zu den Schätzen der elterlichen Plattensammlung, darunter natürlich auch Aufnahmen mit Leonard Bernstein. Bis zu Dudamels wirklichem Debüt am Pult der Wiener sollten zwar noch 19 Jahre vergehen – aber vor einem realen Orchester stand der kleine Gustavo dennoch schon wenig später, nämlich mit zwölf. Seine rasch erkannte Begabung führte dazu, dass er neben dem Violinunterricht bald auch Dirigieren studieren konnte . . . the rest is history. Möglich gemacht hat das alles „El Sistema“, das umfassende venezolanische Musikschulprogramm, das eigentlich zunächst als hauptsächlich soziale Förderung gedacht war.

Einer unter vielen. Doch mittlerweile hat das System nicht nur unzähligen Kindern und Jugendlichen des Landes eine erstklassige musikalische Ausbildung ermöglicht, sondern darüber hinaus auch fixe Größen im internationalen Musikleben geschaffen: Die Besten spielen im Orquesta Sinfónica Simón Bolívar, dem Dudamel seit seinem 18.   Lebensjahr als Chefdirigent vorsteht – wobei er sich bis heute nicht als deren abgehobener Maestro fühlt, sondern als ein Bruder unter vielen Geschwistern einer großen Musikerfamilie.

Daran haben auch sein prestigeträchtiger Chefposten in Los Angeles und seine regelmäßige Zusammenarbeit etwa mit den Berliner und Wiener Philharmonikern nichts ändern können. Letztere haben ihm sogar mit der Verpflichtung für das Neujahrskonzert 2017 eine ihrer größten Ehren zuteilwerden lassen: Mit knapp 36 wird er der jüngste Dirigent des weltweit übertragenen Musikereignisses sein. Sympathisches äußeres Zeichen für Dudamels unvermindert bescheidene Haltung ist die Tatsache, dass er den durchwegs frenetischen Publikumsjubel niemals auf dem Podest, sondern immer Schulter an Schulter mit seinen Freunden im Orchester entgegennimmt. Ja, Jubel: Zusammen haben sie die kulturellen Hochburgen des alten Europa, darunter gerade auch die Salzburger Festspiele, längst im begeistert-begeisternden Sturm erobert – ohne Kampf, sondern lächelnd, nur mit der geballten Kraft ansteckenden Elans und unbändiger Liebe zur Musik.

Gustavo Dudamel. Er dirigiert die „West Side Story“ in Salzburg.
Gustavo Dudamel. Er dirigiert die „West Side Story“ in Salzburg. (c) Salzburger Festspiele/Richard Reinsdorf

Leitstern Bernstein. „Als ich Gustavo dirigieren sah, erkannte ich diese Energie und Genauigkeit des Ausdrucks wieder“, stellte nicht zuletzt Jamie Bernstein mit Bewunderung fest: „Ich hatte das alles schon früher erlebt.“ Aus den Händen der Tochter des großen
Dirigenten und Komponisten durfte Gustavo Dudamel 2014 den Leonard Bernstein Lifetime Achievement Award for the Elevation of Music in Society empfangen. Nicht von ungefähr zählen die mitreißenden „Symphonic Dances“ aus der „West Side Story“ zu den Visitenkartenwerken der jungen Venezolaner, in denen Cool Jazz und südamerikanische Rhythmen explosiv aufeinandertreffen. Dass nun in Salzburg zu Pfingsten und im Sommer eine Neuproduktion von Bernsteins unsterblicher, ins New York der 1950er verlegter Version des Romeo-und-Julia-Stoffes mit dem Simón Bolívar Symphony Orchestra unter Gustavo Dudamel auf die Bühne der Felsenreitschule kommt, ist für Cecilia Bartoli „ein veritabler Coup“, denn: „Niemand kann wohl die Sharks so temporeich und rhythmisch antreiben wie siebzig Latinos im Orchestergraben! Und die Amis, die Jets vom Broadway, werden mit ihren von Regisseur Philip Wm. McKinley und seinem Team konzipierten Tanz- und Shownummern mit dem mitreißenden Sound aus dem Graben wetteifern.“

Die Künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele, genau wie der Dirigent schon in jungen Jahren berühmt geworden, aber nach wie vor ein vor positiver Energie nur so sprühender Star ohne störende Allüren, fügt der Reihe der starken Frauen, die sie in den vergangenen Jahren in Werken des 18. und 19. Jahrhunderts hier verkörpert hat, nun die „moderne“ Maria hinzu. Etwaiger Kritik an der Programmierung eines Musicals im hehren Kunsttempel nimmt sie sogleich den Wind aus den Segeln: Genau wie Bernsteins „Candide“ sei auch die „West Side Story“ „in einem eigenen Zwischenbereich zwischen Oper, Operette und Musical“ angesiedelt: Die beiden Werke integrierten zwar „die damals aktuellen Tendenzen der Unterhaltungsmusik und des Jazz, in jedem Fall aber auch der Klassik und sogar der Neuen Musik! Die hochkomplexe Orchesterpartitur und viele der stimmlich anspruchsvollen Solopartien können nur von klassisch ausgebildeten Leuten bewältigt werden – das hat ja Bernstein selbst mit seiner legendären Aufnahme bewiesen, für die er Kiri Te Kanawa, José Carreras, Tatiana Troyanos und Marilyn Horne holte.“

Wie beim ersten Mal. So sieht sie die Unternehmung keineswegs als Experiment oder gar Gratwanderung an, sondern als die Erfüllung eines Traums: „Auf die Partie der Maria freue ich mich selbst wie ein Kind und kann es kaum erwarten, Hits wie ‚Tonight‘, ‚One Hand, One Heart‘, ‚I Feel Pretty‘ und ‚Somewhere‘ anzustimmen“, jubelt sie. Die ungebrochene soziale Relevanz des Stückes rund um Geschlechterrollen, gesellschaftliche Brüche und die Akzeptanz von Zuwanderern liegt dabei auf der Hand.

Darüber hinaus hat sich die Bartoli vorgenommen, die Vielschichtigkeit und Tiefe von Bernsteins Partitur zu ihrem Recht kommen zu lassen. Deshalb trete ein Team an, „das alle Aspekte vereint: im Blut eine unbändige Energie und lateinamerikanische Rhythmen, Virtuosität und Flexibilität, eine Nähe und Liebe zum Idiom sowie da, wo es die Partien erfordern, eine große Erfahrung mit amerikanischem Musiktheater. Gleichzeitig machen wir natürlich auch Theater. Unser internationales Creative Team besteht aus Leuten, die gleichermaßen Erfahrung im Showbusiness wie auf der Theaterbühne haben. Unsere Aufführung soll eine Balance zwischen der musikalischen und der szenischen Seite des Werks herstellen. Vor allem soll es das Publikum begeistern und berühren, so, als erlebte es die ‚West Side Story‘ zum ersten Mal!“

„Wir geben unser Bestes, um durch Musik Hoffnung, Harmonie und Liebe zu bringen“, sagte Gustavo Dudamel bei der Verleihung des Bernstein-Preises – und traf damit genau das, was der Komponist der „West Side Story“ wollte.

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