Pianisten: Virtuosität nach außen und nach innen

Grigory Sokolovs Auftritte sind für viele besondere Höhepunkte im Konzertjahr.
Grigory Sokolovs Auftritte sind für viele besondere Höhepunkte im Konzertjahr.(c) Salzburger Festspiele/Mary Slepkova/DG
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Die Pianisten der Salzburger Festspiele vereinen das Wissen um das Gestern wie um das Heute, das Gespür für Gefühle wie für Visionen.

Virtuosität am Klavier – man assoziiert das Wort zunächst vielleicht mit Klängen von Franz Liszt, von Sergei Rachmaninow. Die kommen bei den Salzburger Festspielen zu Ehren, denn zwei prominente Solistinnen, die Grande Dame Martha Argerich und die junge, feurige Khatia Buniatishvili haben sich Klavierkonzerte der genannten Meister für ihre Festspielauftritte 2016 ausgesucht. Die Argerich spielt Listzs Es-Dur-Konzert, ein Stück, das schon anlässlich der ersten Aufführungen die Geister schied. Romantischen Überschwang orteten die einen, Chaos die anderen. Der gestrenge Wiener Kritiker Eduard Hanslick sprach zynisch vom „Triangelkonzert“. Er konnte Liszt nicht ausstehen und spöttelte, weil der Komponist, ungewöhnlich genug, in sein Werk ein Scherzo einfügte und dieses auch noch – wohl einzigartig in der Musikgeschichte – mit einigen Solotönen des Triangels anheben ließ. Freilich: Dem Klavier bleibt genug zu tun an kraftvoller Oktaven-Attacke, aber auch lyrischer Entfaltung.

Was Liszt hier innerhalb von kaum 25 Minuten an expressiven Gegensätzen vereint, findet sich auch in Rachmaninows viel später entstandenem c-Moll-Klavierkonzert, das manche wiederum als Vorläufer der Hollywood-Filmmusik deuten; und doch: Die heftig tönenden Gefühlsaufwallungen sind auch bei dem russischen Meister formal klar und sicher gebündelt. Irgendwie scheint noch immer die klassische Konzertform durch, die etwa bei András Schiff im allerletzten Konzert dieses Festspielsommers zu Ehren kommt: Der ungarische Pianist musiziert mit dem Gewandhausorchester aus Leipzig unter Herbert Blomstedt Beethovens Fünftes.Schiff gehört auch zu den Auserwählten, die heuer im Rahmen des Festivals ein Solorecital spielen.

Wie alle Kollegen hat er Musik von Robert Schumann in seinem Programm – allerdings ist er der Einzige, der seinem Abend durch Hinzuziehung ganz besonderer Gäste eine dramatische Note verleiht. Mit Schiff ziehen diesmal die Spieler des Salzburger Marionettentheaters in den Konzertsaal ein und machen Kompositionen, die ausdrücklich etwas mit ihrem Metier zu tun haben, zu einem ungewöhnlichen Klangtheater: „Getanzt“ wird zu Robert Schumanns „Papillons“ und Claude Debussys „Boite à jouxjoux“ (der „Spielzeugschachtel“).

Rudolf Buchbinder ist schon lang  selbstverständlicher Gast der Festspiele.
Rudolf Buchbinder ist schon lang selbstverständlicher Gast der Festspiele. (c) Salzburger Festspiele/Marco Borggreve

Den Bogen spannen. Mit der „Arabeske“ beginnt auch Grigory Sokolov seinen diesjährigen Salzburger Abend. Der bedeutende russische Interpret macht nun schon seit Jahren regelmäßig im Großen Festspielhaus Station. Dass seine Auftritte von vielen als besondere Höhepunkte im Konzertjahr begriffen werden, verdeutlicht die Tatsache, dass nun schon von mehreren der Salzburger Gastspiele auch CD-Mitschnitte in den Handel gelangt sind, die Sokolovs klug aufgebaute Programme und deren immense inhaltliche und dramaturgische Spannung dokumentieren. Diesmal geht Sokolov von Schumanns zarter „Arabeske“ aus und schwingt den Bogen über die große C-Dur-Fantasie und einige der Nocturnes von Chopin zu dessen b-Moll-Sonate.

Das bedeutet einen zweimaligen Anlauf von der kleinen, poetischen Form zur Neudeutung der klassischen Sonate, wobei in beiden Fällen, bei Schumann wie bei Chopin, programmatische Inhalte suggeriert werden. Im Fall der b-Moll-Sonate mit ihrem berühmten Trauermarsch liegen die Assoziationsmöglichkeiten auf der Hand; der gespenstisch vorüberhuschende Finalsatz, der alles andere als ein affirmatives Ende der Erzählung mit sich bringt, spricht für sich. Auch Schumann umgeht das „Final-Problem“, indem er sein Werk, das auf Beethoven Bezug nimmt und das große Vorbild auch zitiert, nicht Sonate, sondern Fantasie nennt und mit einem langsamen, freilich zweimal hymnisch gesteigerten langsamen Satz schließen lässt. Die Fantasie ist, wiewohl durch die Erinnerung an Beethoven angeregt, Franz Liszt gewidmet – der nach Ansicht vieler späterer Kommentatoren doch Schumanns Antipode war, der dem Kollegen aber als Revanche seine in einem durchgehenden Satz gearbeitete h-Moll-Sonate zueignete.

Die Meister der Romantik selbst suggerieren Verbindungen und Verwandtschaften, an die spätere Generationen nicht mehr denken. Da ist viel falsches Gedankengut im Spiel, ein Richtungsstreit zwischen vermeintlich avantgardistischen und vermeintlich konservativen Komponisten. Arnold Schönberg hat in einer gewichtigen Wortmeldung dergleichen Verallgemeinerung über den Haufen geworfen, indem er etwa Johannes Brahms gegen seine Lobredner in Schutz nahm und ihn vom angeblichen Lordsiegelbewahrer der klassischen Form zum Fortschrittlichen stempelte. Gerade in den späten Klavierwerken fand der Vater der musikalischen Moderne höchst originelle, zukunftsweisende melodisch-harmonische Entwicklungen, fantastisch wuchernde, unsymmetrische Strukturen.

Maurizio Pollini. Der Pianist gehört zu den Salzburger Fixstartern.
Maurizio Pollini. Der Pianist gehört zu den Salzburger Fixstartern. (c) Salzburger Festspiele/DeutscheGrammophon

Es ist Arcadi Volodos, der die Salzburger Hörer diesmal anregen wird, Hörgewohnheiten zu hinterfragen. Auch er spielt in seinem Programm Schumanns „Papillons“ und kombiniert sie mit Brahms’ nicht minder freien, epischen Intermezzi op. 117, in denen sich tragisch versonnene, introvertierte Monologe finden, die wie Tagebuchaufzeichnungen anmuten, die gar nicht für die öffentliche Zurschaustellung taugen.

Frühe Extravaganzen. Wer da meint, dergleichen In-sich-Versinken sei eine Errungenschaft der Spätromantik, irrt gewaltig. Volodos’ Konzert mündet in Franz Schuberts große A-Dur-Sonate aus der Trias der Klaviersonaten aus des Komponisten letztem Lebensjahr. Da stößt Schubert, wiewohl auf den Spuren der Wiener Klassik wandelnd, das Tor zur subjektiven Romantik weit auf: Im langsamen Satz dieses selten gespielten Werks scheint sich die Musik einmal völlig zu verlieren, klingt, als ob sie taumelte, aus der Zeit und der Realität zu stürzen drohte; ein irritierender Moment, der viel von den Brüchen und harten Schnitten der frühen Moderne vorwegnimmt. Derlei Extravaganzen stehen ja laut Musikgeschichtslehrbuch erst bei Gustav Mahler oder der Schönberg-Schule auf dem Programm.

Ein Pianist, der um solche Querverbindungen weiß, ist Maurizio Pollini. Er gehört zu den Salzburger Fixstartern und unternimmt es diesmal nicht, seine Hausgötter Schumann und Chopin auch noch mit Musik des 20. Jahrhunderts anzureichern. Kollege Rudolf Buchbinder, über Jahre hin auch selbstverständlicher Gast bei den Festspielen, führt die historische Linie diesmal an die Wurzeln: Er bezieht Schumanns „Carnaval“ mit dem hintergründigen Maskenspiel auf zwei Beethoven-Sonaten und die späte, gewichtige Es-Dur-Sonate von Joseph Haydn. Und man wird dabei staunen, wie wenig klassisch sich schon dieser Komponist in der scheinbar engen formalen Sonatenform bewegt. Auch Haydn war schon ein Geschichtenerzähler, der zumindest im Geist die Marionetten tanzen ließ.

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