Die Dynamik der Jungen im Konzertsaal

Yuja Wang weder bei PR noch bei Interpretationen zögerlich.
Yuja Wang weder bei PR noch bei Interpretationen zögerlich.(c) Rolex/Hugo Glendinning
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Es ist nicht, wie mancher meint, die Optik, die den Klassikbetrieb immer jugendlicher aussehen lässt: Die Jungen sind exzellente Musiker.

Es ist zuletzt oft bemerkt worden, dass Klassikkünstler und vor allem –künstlerinnen in jüngster Zeit auf Plakaten oder CD-Covern aussähen wie Models. Das hat etwas Wahres, doch sieht man die Sache verkürzt, wollte man das Phänomen optischer Attraktivität im – doch per definitionem aufs Ohr konzentrierten – musikalischen Geschäft als neuzeitliche Erfindung brandmarken.

Denken wir nur in der Salzburger Festspielgeschichte zurück an die späten 1970er-Jahre, als Herbert von Karajan die blutjunge Anne Sophie Mutter vorstellte, einen Teenager, dessen musikalische Qualitäten auch nur den leisesten Anflug an Skepsis sogleich verstummen ließ. Da war eine junge Dame, die blendend aussah, das Publikum aber nicht (nur) mit Charme gewann, sondern vor allem mit makellos schönem Violinspiel.

Dergleichen hat Tradition: Man möge nicht glauben, alle Verehrerinnen des virtuosen Pianisten Franz Liszt seien seinerzeit in dessen Konzerte gepilgert, weil sie wussten, dass dieser schöne junge Mann nicht nur unglaublich gut Klavier spielte, sondern auch einer der führenden Komponisten jener Ära war.

Sol Gabetta, virtuose Musikerin und Kommunikationstalent.
Sol Gabetta, virtuose Musikerin und Kommunikationstalent.(c) Uwe Arens/Sony Classical

Nicht nur Optik. Karrieren von Instrumentalisten und Sängern verdanken sich nicht zum größten Prozentsatz, sondern in Wahrheit ausschließlich deren musikalischen Qualitäten. Was an optischem Reiz dazukommen mag, darf als Zuwaag gewertet werden. Hochwillkommen, versteht sich, auf der Opernbühne zumal. Das galt schon für Maria Callas, es gilt für Anna Netrebko und manchen jüngeren Bühnenstar. Sonya Yoncheva beispielsweise, die junge Bulgarin, die 2010 den Operalia-Wettbewerb gewonnen hat und seither von dessen Promotor, Plácido Domingo, konsequent gefördert wird. Am 16. August lässt sich der Doyen des internationalen Opernbusiness zu Klängen von Jules Massenet von der jungen Kollegin nach allen Regeln der Kunst vokal verführen: An der Seite dieser Thaïs zweifelt selbst der gläubigste aller Mönche, Athanaël, an seiner Sendung.

Ebenso attraktiv ist die Besetzung einer weiteren konzertanten Opernproduktion dieses Sommers, die nach dem Vorbild von Walter Scotts „Ivanhoe“ einen Tempelritter ins Zentrum des Geschehens rückt: Joyce DiDonato und Juan Diego Flórez sind die Stars der beiden Aufführungen von „Il templario“ aus der Feder des Gründervaters der Wiener Philharmoniker, Otto Nicolai, der sich, wie da zu hören sein wird, nicht nur (man denke an seine „Lustigen Weiber von Windsor“) auf die deutsche Spieloper, sondern auch auf lupenreinen italienischen Belcanto verstanden hat.

Ob in filmreifen Inszenierungen oder – wie Countertenor Bejun Mehta im Rahmen eines barocken Kantatenabends über „zitternde Herzen“ („mi palpita il cor“ am 3. August): Mit der optischen Präsenz ist es nicht getan. Könnten solche Solisten ihre Partien nicht perfekt – und besser als die gesamte Konkurrenz – singen, hätten sie nicht die Karrieren gemacht, die sie machen konnten. Eine blendende Erscheinung genügt für Platz eins nicht einmal bei der DVD-Hitparade. Schon gar nicht für ein Engagement auf den internationalen Konzertpodien.

Dirigiert das RSO Wien: „Nestlé and Salzburg Festival Young Conductors Award“-Preisträger  Lorenzo Viotti.
Dirigiert das RSO Wien: „Nestlé and Salzburg Festival Young Conductors Award“-Preisträger Lorenzo Viotti.(c) Salzburger Festspiele/Stephan Doleschal

Es ist bezeichnend, dass eine Pianistin wie Yuja Wang, deren PR, sagen wir, nicht gerade zurückhaltend genannt werden kann, Werke wie Sergej Prokofjews energieraubendes Zweites Klavierkonzert als eines ihrer „Schlachtrösser“ im Repertoire hat. In Salzburg präsentiert sich die Künstlerin heuer (12. August) nebst Gershwins zweifellos glamouröser „Rhapsody in Blue“ auch mit Maurice Ravels fein gedrechseltem, höchst filigranem G-Dur-Klavierkonzert, in dessen Mitte ein langsamer Satz steht, der ganz bewusst an die Innigkeit von Mozart-Larghettos erinnert.

Dazu bedarf es nicht nur einer brillanten Technik, sondern tiefer interpretatorischer Einsichten, die man wohl auch benötigt, wenn man sich dem intimsten Genre, dem Lied, widmet. Yuja Wang ist mit von der Partie, wenn Ulrich
Matthes (Sprecher) und Matthias Goerne (Bariton) am 9. August Ludwig Tiecks und Johannes Brahms’ „schöne Magelone“ hören lassen. Da verschwistern sich Literatur und Musik auf höchster Festspielebene.

Verschmelzungen zwischen dem Liedgenre und der dramatischen Kunst ergeben sich übrigens auch, wenn sich Anu Komsi (Sopran) und die Geigerin Isabelle Faust (am 16. August) György Kurtágs „Kafka-Fragmenten“ widmen, einer Sammlung von mehreren Dutzend oft nur nach Sekunden zählenden Piecen, für die es gilt, die Konzentration der Hörer präzise zu fokussieren.

Eine Kunst, auf die sich auch die auf der Opernbühne so wendig wie im Konzertsaal agierende Sopranistin Anna Prohaska blendend versteht. Sie hat keine Mühe, ihr Publikum – das sie bereits in Partien wie der Zerlina in Mozarts „Don Giovanni“ und heuer wohl auch bei ihrem Debüt als Susanna im „Figaro“ gekonnt um den Finger wickelt – dank vokaler und artikulatorischer Perfektion auch auf dem Konzertpodium zu fesseln. Sie tut es heuer gegen Ende der Festspiele wieder im Verein mit Veronika Eberle & Friends im Mozarteum (26. August), wenn Werke von so unterschiedlichen Meistern wie Giovanni Battista Pergolesi, Franz Schubert und Anton von Webern auf dem Programm stehen.

Khatia Buniatishvili hat schon als Sechsjährige konzertiert.
Khatia Buniatishvili hat schon als Sechsjährige konzertiert.(c) Salzburger Festspiele/Julia Wesely

Dynamisch. Im selben Saal musiziert drei Tage vorher das Quatuor Ébène, ein Ensemble von vier jungen Musikanten, dem es gelungen ist, das geradezu heilige Streichquartett ohne jede Entweihung mit modernen Präsentationsformen zu kombinieren und ein mittlerweile (wie diesmal am 23. August) wirklich klassisches Quartettprogramm mit Werken von Haydn, Debussy und Beethoven anzusetzen, ohne seine junge Anhängerschaft deshalb zu verlieren. Bei den Ébènes lernt ein Klassikfreund den Jazz lieben; es funktioniert aber genauso gut umgekehrt.

Insofern hat die Öffnung im mehr und mehr von jugendlichen Gesichtern beherrschten Klassikbetrieb längst stattgefunden. Bezeichnend auch, wie viele Vertreter der jungen, dynamischen Dirigentengeneration heute bereits zu Festspielehren kommen. Dan Ettinger, der die Wiederaufnahme des „Figaro“ dirigiert, ist 44, Alain Altinoglu, („Don Giovanni“) 41, Andrés Orozco-Estrada („Il templario“) 38, Gustavo Dudamel („West Side Story“) 35.
Und gerade die Salzburger Festspiele sorgen für immer neuen Nachwuchs. Im Vorjahr gewann Lorenzo Viotti (25) den „Nestlé and Salzburg Festival Young Conductors Award“ – und ist daher heuer (in einer Matinee am 7. August) als Dirigent des RSO Wien zu erleben. Er hat sich als Hauptwerk Alexander Skrjabins selten gespielte Zweite Symphonie gewählt. Im ersten Programmteil begleitet er eine weitere Vertreterin der jüngsten Klassikstars bei Sergei Rachmaninows Zweitem Klavierkonzert: Khatia Buniatishvili.

Die Georgierin hat in ihrer Heimat schon als Sechsjährige konzertiert und ist von Oleg Maisenberg als 14-Jährige nach Österreich geholt worden, ihre gründliche Ausbildung hat sie also an der Wiener Musikuniversität absolviert. Mit 26 gewann sie den Echo-Preis, niemand Geringerer als Martha Argerich holte die junge Kollegin zu ihrem Progetto-Festival, Wiens Musikverein und Konzerthaus schickten Buniatishvili 2012 als Rising Star um die halbe Welt.

Der mittlerweile 32-jährigen Russin Alina Pogostkina ging es nicht ganz so gut, nachdem ihre Familie im Zuge der Perestroika in den Westen ging. In Heidelberg spielte die junge Geigerin in der Fußgängerzone, bei kleinen Festen oder in Kirchen, ehe sie in Christoph Poppens Violinklasse in der Berliner Hanns-Eisler-Musik-hochschule Aufnahme fand. Von diesem Moment an war die Karriere nicht mehr aufzuhalten. Pogostkina musiziert heute in aller Welt – und ist in Salzburg heuer mit Mozarts G-Dur-Violinkonzert unter der Leitung von Altmeister Neville Marriner (27./28. August) im Rahmen der letzten Mozartmatinee der Saison zu erleben.

Eine Familientradition führt Percussion-Star Martin Grubinger fort.
Eine Familientradition führt Percussion-Star Martin Grubinger fort.(c) Salzburger Festspiele/Felix Broede

Zu den jungen Streichersolistinnen von Weltrang zählt auch Sol Gabetta, die mit dem Concertgebouworkest am 30. August Saint-Saëns musizieren wird. Die gebürtige Argentinierin wusste schon als Kleinkind zu verblüffen: Anlässlich der Aufnahmeprüfung in einen Musikkindergarten sang sie fehlerfrei die Melodie eines Vivaldi-Concertos. Wie viele ihrer Altersgenossen ist sie nicht nur eine virtuose Musikantin, sondern auch ein Kommunikationstalent: Sie moderiert alternierend mit Martin Grubinger im Bayerischen Fernsehen eine Musikshow, die auch junges und jüngstes Publikum anspricht; was Grubinger schon aufgrund seines Instrumentariums, über das er so hexenmeisterisch gebietet, recht leicht gelingt: Als Schlagzeuger fungiert er auch als Publikumsmagnet für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts.

Was früher als schwer verkäuflich gegolten hat, entpuppt sich unter den Händen junger, attraktiver Solisten geradezu als leichte Kost – nachzuprüfen wieder einmal am 6. August, wenn Martin Grubinger mit seinem Vater, Martin Grubinger senior (von dem der Junior den Perkussionistenstand „geerbt“ hat), und den Geschwistern Önder Werke von Bartók, Steve Reich, Tan Dun und Fazil Say interpretiert.

Alle, die neugierig sind, wie es weitergehen wird, dürfen die Wettbewerbs- und Preisträgerkonzerte nicht versäumen, die Young Singers treten am 25. August im Mozarteum auf, die Finalisten des Dirigentenwettbewerbs leiten Konzerte der Camerata am 5., 6. und 7. August.

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