Wiener Philharmoniker: Die Bekannten und das Unbekannte

Riccardo Muti wird bei den Festspielen die Wiener Philharmoniker erneut führen.
Riccardo Muti wird bei den Festspielen die Wiener Philharmoniker erneut führen. (c) Salzburger Festspiele/Silvia Lelli
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Die Wiener Philharmoniker widmen sich in Salzburg Anton Bruckner – und seinen eher unbekannten Seiten.

Den Wiener Philharmonikern kommt bei den Salzburger Festspielen eine Sonderstellung zu. Von Anbeginn war dieses Orchester dabei, musizierte über lange Jahre exklusiv als Opernorchester und bestritt auch die großen symphonischen Konzerte des Festivals. Was Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss einst als Festspielgedanken formulierten, basierte in der Praxis vor allem auf Gastspielen der Wiener Staatsoper, die ihre Eigenproduktionen möglichst auf Hochglanz poliert im Festspielbezirk zeigte.

Die Philharmoniker, als Orchester der Staatsoper, spielten dann auch Mozart, Beethoven, Brahms oder Bruckner im Mozarteum, bald auch im Festspielhaus. Franz Schalk, Bruno Walter oder Richard Strauss höchstselbst standen am Pult. Noch in den 1970er-Jahren war es eine Besonderheit, wenn Gastorchester erschienen, die Berliner Philharmoniker ausgenommen, die mit ihrem Chefdirigenten Herbert von Karajan, der ja gleichzeitig Spiritus Rector der Festspiele war, alljährlich im August zwei Programme musizierten.

Mittlerweile ist das Festspielhaus zu einem Haus der Begegnung für wichtige Orchester aus aller Welt geworden. Und doch spielen die Wiener Philharmoniker, die ja nach wie vor den Löwenanteil der Opernaufführungen bestreiten, auch im Konzert die erste Geige. Und sie haben alle Jahre wieder auch programmatische Ideen, die ihre Auftritte von denen der Kollegen ein wenig abheben. Im Vorjahr begann man mit der Aufarbeitung der eigenen Ur- und Erstaufführungsgeschichte und präsentierte Werke, die man selbst einst aus der Taufe gehoben hatte.

Unbekannter Bruckner. Die Reihe setzt man sinngemäß 2016 fort. Im Zentrum steht mit Anton Bruckner jener Meister, der in der philharmonischen Anschauung zu Lebzeiten vermutlich die gegensätzlichsten Urteile erfahren musste. Von der katastrophalen Ablehnung seiner Dritten Symphonie weiß die Welt. Das Wiener Publikum, aber auch Teile des Orchesters zeigten sich damals von der ignorantesten Seite. Man weiß auch, dass es die Philharmoniker waren, die Bruckner mit der Uraufführung der Achten zu einem späten, aber strahlenden Triumph verhalfen.

Dass schon die Zweite Symphonie, bis heute Stiefkind im Repertoire, eine philharmonische Uraufführung erlebte, noch dazu eine, die dem Komponisten einen schönen Erfolg bescherte, der ihm Mut für die folgende Reihe symphonischer Arbeiten gab, wird weniger häufig berichtet. Und doch gehört jener 26. Oktober 1873 in die Annalen der österreichischen Musikgeschichte, denn an diesem Abend spielte der Organist Bruckner zunächst Bach, improvisierte hernach, um schließlich als Dirigent ans Pult der Philharmoniker zu treten, die ihn im Verein mit dem Publikum für seine Zweite feierten.

Es waren ermutigende Zeiten für den scheuen, stets selbstkritischen Mann aus Oberösterreich, der zwei Jahre zuvor sein Gastspiel in London als Triumphzug erleben durfte. Zwei große Konzerte gab der damals schon weltweit renommierte Orgelvirtuose, von dem kaum einer wusste, dass er auch Symphonien und Chorwerke komponierte, in der britischen Hauptstadt: eines im Crystal Palace, eines in der Royal Albert Hall. Beide blieben legendär. Heimgekehrt durfte sich Bruckner über den Erfolg seiner f-Moll-Messe anlässlich ihrer Uraufführung in der Augustinerkirche freuen.

Dass er nun auch als Symphoniker Anerkennung erringen konnte, gab ihm Auftrieb. Tatsächlich beachtet man angesichts der berüchtigten Uraufführungskatastrophe der Dritten kaum, dass Bruckner nach der Zweiten quasi in einem großen Atemzug die Symphonien Nummer drei bis fünf schuf, ehe sich das Unheil über der neu bearbeiteten, Richard Wagner gewidmeten Dritten zusammenbraute. Während der Niederschrift der Fünften hat sich die Zukunftsperspektive des Meisters allerdings längst verdüstert. Die Wiener Gesellschaft akzeptiert den schrulligen Querkopf nicht, die Fachwelt behandelt ihn wie einen Spinner. Während der Arbeit am ersten Satz seiner Fünften schreibt er an einen Freund: „Mein Leben hat alle Freude und Lust verloren – umsonst und um nichts.“ Um wenig später, als er eben begonnen hat, das Adagio zu komponieren, mit Bezug auf den Verlust seiner Lehrstelle bei St. Anna zu ergänzen: „Alles ist zu spät. Fleißig Schulden machen und am Ende im Schuldenarreste die Früchte meines Fleißes genießen und die Torheit meines Übersiedelns nach Wien ebendort besingen, kann mein endliches Los werden. 1000 Gulden jährlich hat man mir genommen, und heuer gar keinen Ersatz – auch kein Stipendium etc. – gegeben. Ich kann meine IV. Symphonie nicht abschreiben lassen.“ In dieser Stimmung entsteht eine der machtvollsten Symphonien der Musikgeschichte, ein Werk freilich, das Bruckner nie zu hören bekommen sollte. Wie auch seine Sechste, die in dieser seelischen Talsohle entsteht, in der niederschmetternde Ereignisse im Leben des Komponisten sich häufen und er voller Selbstzweifel mit endlosen Korrekturarbeiten und Veränderungen seiner frühen Symphonien beginnt.

Erst die Nachwelt wird erkennen, wie stark, wie groß Bruckners Musik jeweils bereits in den ersten Versionen der Symphonien ist. Wie viel Skrupel er sich hätte ersparen können, wie viel Arbeitskraft er ins Erfinden neuer Werke statt ins Immer-weiter-Bearbeiten vorhandener Stücke hätte investieren können, fällt in die berühmte, jeglicher Geschichtsschreibung verbotene Kategorie des „Was wäre, wenn . . .“. Ein Ende der Malaise ist für Anton Bruckner erst mit der Uraufführung der zum dritten Mal bearbeiteten Vierten erreicht, die am 20. Februar 1881 im Musikverein unter Hans Richter einen rauschenden Erfolg einfährt, der sich wiederholt, als drei Jahre später in Leipzig unter Arthur Nikisch – ganz ohne Umarbeitungsstress – die erste und einzige Fassung der Siebenten aus der Taufe gehoben wird. Ab diesem Zeitpunkt kommt man an Bruckner nicht mehr vorbei. Er gilt neben Brahms als der führende Symphoniker seiner Zeit.

Mahler und Bruckners Dritte. Die Symphonien mit den Nummern fünf und sechs bleiben dennoch zu Lebzeiten Bruckners unbeachtet. Die Sechste führt heute noch ein Schattendasein, obwohl sie eines der tiefsinnigsten Adagios enthält, ebenbürtig den langsamen Sätzen der drei folgenden Schwesterstücke. Im Rahmen der Konzerte der Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen hat man heuer Gelegenheit, die selten gespielten Bruckner-Symphonien II (unter Riccardo Muti) und VI (unter Mariss Jansons) zu hören. Sie stehen jenem Werk gegenüber, mit dem einst der Durchbruch erreicht wurde: der Letztfassung der Vierten Symphonie, die Zubin Mehta dirigieren wird.

Von Gustav Mahler, jenem Mann, der als Teenager der desaströsen Premiere der Dritten beiwohnte und dem trostlosen Bruckner hernach versprach, den Klavierauszug der Symphonie zu verfassen, ist im ersten „Philharmonischen“ dieses Sommers (unter Daniel Harding) die Fragment gebliebene Zehnte Symphonie zu hören. Außerdem singt in den Konzerten unter Zubin Mehtas Leitung (6./7. August) Matthias Goerne die „Kindertotenlieder“. Vor der Sechsten Bruckners unter Jansons (20./21. August) spielt Emanuel Ax Mozarts Klavierkonzert in Es-Dur, KV 482. Muti koppelt die Zweite Bruckners (13., 14. und 15. August) mit der Suite aus „Der Bürger als Edelmann“ von Festspielgründer Richard Strauss. Zwei zeitgenössische Werke finden sich außerdem im philharmonischen Programm: Péter Eötvös’ „Halleluja“ (30. Juli unter Harding), sowie Arvo Pärts „Swansong“ (unter Mehta). Meister des 21. Jahrhunderts haben Schwierigkeiten wie die großen Romantiker einst nicht mehr zu gewärtigen.

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