„Sturm“: Kontrollwahn und Vergebung

Forscherblick.  Regisseurin Deborah Warner sieht den „Sturm“ immer  wieder neu.
Forscherblick. Regisseurin Deborah Warner sieht den „Sturm“ immer wieder neu.(c) Salzburger Festspiele/Brian Slater
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Verzeihung! Ist Verzeihung möglich? Regisseurin Deborah Warner und
Miranda-Darstellerin Sara Tamburini im Gespräch über Shakespeares „Sturm“
auf der Perner-Insel.

Miranda ist ein überfordertes Kind. Zum einen behütet ihr Vater Prospero sie, zum anderen wird sie von ihm bevormundet. Wird ihre Ehe mit dem „Migranten“ Ferdinand, der mit seiner Entourage zu Schiff auf Prosperos Eiland strandet, glücklich sein? „Woher will Prospero wissen, dass Ferdinand der beste Mann für Miranda ist?“, fragt Miranda-Darstellerin Sara Tamburini zurück.

Die 27-jährige Schweizerin hat an der Bayerischen Theaterakademie studiert und unter anderem am Münchner Residenztheater in Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“ gespielt. Nun ist Tamburini in Deborah Warners Inszenierung von Shakespeares „Sturm“ auf der Halleiner Perner-Insel zu sehen. Prospero weiß, dass er Miranda nicht ewig bei sich behalten kann. Er will einen guten Mann für sie. Ferdinand, der Sohn des Königs von Neapel, ist standesgemäß, „aber wie schaut es mit seinen menschlichen Qualitäten aus?“, überlegt Tamburini. „Aus väterlicher Sicht hat Prospero sicher das Beste für seine Tochter im Sinn, aber er ist ein wenig kontrollsüchtig. Er gesteht ihr nicht zu, ihre Zukunft frei zu gestalten. Er hat Glück, dass sie sich sofort in Ferdinand verliebt. Aber was wäre, hätte sie Ferdinand nicht so toll gefunden? Hoffen wir, dass er ein guter Mann wird. Die beiden sind ja recht jung.“ Lässt sich Tamburini selbst gern beschützen? „Wenn Sie Schutz mit Sicherheitgeben gleichsetzen, ja. Es ist doch toll, wenn man weiß: Da ist jemand, der für mich da ist.“ Was ist für sie das Besondere am „Sturm“? – „Die Magie!“

Die Disziplin des Weitsprungs. Was sind Tamburinis Lieblingsbücher, Geschichten? „Da gibt es so viele. Momentan gerade ,Das achte Leben‘ von Nino Haratischwili und ,Shantaram‘ von Gregory David Roberts.“ Zum Theater kam Tamburini übers Musiktheater: „Ich war im Kinderchor des Opernhauses Zürich. Ich stand schon früh auf der Bühne und es war mir bald klar: Das will ich für immer machen.“

Festspieldebüt.  Miranda, Sara  Tamburini, zweifelt an Prosperos  Vaterweisheit.
Festspieldebüt. Miranda, Sara Tamburini, zweifelt an Prosperos Vaterweisheit.(c) Marie Galinsky

Für Deborah Warner, die Peter Stein für Shakespeares „Coriolan“ nach Salzburg holte, als er in den Neunzigern Schauspieldirektor der Festspiele war, ist der heurige „Sturm“ der vierte, aber „der erste in meinen reiferen Jahren“, scherzt die 57-jährige Britin. Als Warner das erste Mal beim „Sturm“ Regie führte, war sie 23. „Nachdem ich die Schauspielschule verlassen hatte, gründete ich meine eigene Theaterkompanie, weil das im Grunde der einzige Weg war, mit dem Inszenieren zu beginnen. Es gab keine Regieausbildung, als ich 21 war. Ich inszenierte Büchners ,Woyzeck‘ und serienweise Shakespeare. Wir hatten kein Geld, wir bekamen keine Subventionen. Ich tat mich mit einer Gruppe von Schauspielern zusammen und wir gastierten beim Edinburgh Festival“, das auch ein bedeutendes Fringe- oder Off-Gruppen-Festival hat. Warner weiter: „Das Großartige ist, wenn man jung ist, denkt man nicht an mögliche Probleme. Man freut sich einfach über die Arbeit und den Zauber der Stücke. In unserer Kompanie gab es einen wundervollen, schon älteren Schauspieler, er hieß Robert Demigan, leider ist er voriges Jahr gestorben. Er war damals 37, viel älter als wir, ist aber jung geblieben. Er war vorher Englischlehrer, er hatte Autorität und wusste, wie er uns anleiten musste. Er fachte meine Sehnsucht an, das Stück zu machen und gab mir auch das Vertrauen in mich selbst. Das war der Anfang.“

„Sturm“ auf Bengalisch. Für das Theater von Manchester habe sie dann ihre erste „Sturm“-Produktion erweitert und wieder aufgenommen, erzählt Warner. In den 1980ern sandte sie der British Council auf eine siebenwöchige Tour durch Jugoslawien. 1987 inszenierte sie den „Sturm“ in Bangladesch: „Mein dritter ,Sturm“ war zugleich der erste der Welt in bengalischer Sprache.“ Tatsächlich aber müsse man in jede Theaterarbeit unvoreingenommen einsteigen und immer einen neuen Weg finden: „Es ist wie beim Weitsprung. Es geht nicht ums Höher-, sondern ums Weiterkommen. Man muss weiter reisen, als man je zuvor gereist ist, und versuchen, Dinge zu sehen, die man nie zuvor gesehen hat. Die Hoffnung ist, dass sich dieser Effekt auch auf den Zuseher überträgt, der ,König Lear‘, ,Hamlet‘, ,Don Giovanni‘ oder ,Die Zauberflöte‘ wie zum ersten Mal erlebt.“ Besonders freue sie sich, dass ihre „Sturm“-Inszenierung auf der Perner-Insel in Hallein stattfinden wird: „Ich finde es vorteilhaft, wenn ein Festival sich auch aus dem Stadtzentrum hinausbewegt. Nebenbei ist es reizvoll, auf einer Insel, eben der Perner-Insel, ein Stück über ein Eiland herauszubringen.“ Lieber als in Mikros und Technik möchte Warner in eine Verbesserung der Akustik investieren, um das Spiel so natürlich wie möglich ablaufen zu lassen. „Der ,Sturm‘ braucht Intimität“, ist Warner überzeugt: „Prosperos Insel ist eine Art Laboratorium, wo er seine Zauberkünste vertieft. Man weiß nicht genau, was er tut, aber er ist auf der Höhe seiner magischen Fähigkeiten.“

Vergebung. „Der Sturm“ gilt als Shakespeares letztes Stück und als eine Art Vermächtnis. Auch der Dichter war auf der Höhe seiner „magischen“ Künste. Warner: „Shakespeare hat mit dem ,Sturm‘, so denke ich, seine großartigste Dichtung geschrieben – auch über das Wesen des Theaters. „Der Sturm“ ist nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Bühnenkunst. Mit dieser Idee einer Parabel über das Theater werde ich in meiner Inszenierung spielen.“ Ein weiteres wichtiges Motiv in den späten Shakespeare-Stücken wie „Wintermärchen“ oder „Maß für Maß“ ist für Warner die Vergebung: „Im vierten Akt ist es Ariel, der Prospero zur Milde auffordert. Ariel ist kein Mensch, sondern ein Geist. Er schildert Prospero die Depression, den Terror und die Verzweiflung, in die er seine Feinde versetzt hat. Sie seien in alle Winde zerstreut, ,Tränen rinnen deinem alten Freund Gonzalo über die Wangen‘, erzählt Ariel seinem Herrn – und fügt hinzu: ,Wäre ich ein Mensch, mein Herz würde brechen‘. Ariel überzeugt Prospero schließlich, dieser lässt von seiner Tortur ab und das Stück bewegt sich in eine andere Richtung.“ Shakespeares Stücke sind oft sehr lang und wortreich, heute sind viele Theaterabende sehr kurz. Wie geht das zusammen? Warner: „Man darf nicht die Verse, die Textlängen zählen: Miranda und Ferdinand haben 110 Zeilen. Prospero hat 620! Aber man merkt es nicht, weil man stets gespannt ist, wie er reagiert, was er als Nächstes tut – und es wird allgemein akzeptiert, dass er viel spricht, weil das eben eine große Rolle ist.“

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