„,Jedermann‘, dieses göttliche Spektakel!“

Miriam Fussenegger freut sich auf das Freiluftgefühl auf Salzburgs Domplatz.
Miriam Fussenegger freut sich auf das Freiluftgefühl auf Salzburgs Domplatz.(c) Salzburger Festspiele/katsey.org
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Miriam Fussenegger, die neue Buhlschaft, und Julia Gschnitzer als Jedermanns Mutter über Frömmigkeit und Leidenschaft.

Es ist ganz gleich, welcher der bis dato 16 verschiedenen Jedermann-Darsteller, von Alexander Moissi bis Cornelius Obonya, auf der Bühne stand – der Jedermann ist immer auch ein Macho. Gerade jene Szenen, in denen er auf Frauen trifft, stellen ihn betont männlich dar und zeugen von Unbelehrbarkeit und Wollust. Sommer für Sommer sind daher die Figur der Buhlschaft, aber auch die von Jedermanns Mutter besonders zentrale Persönlichkeiten bei den Salzburger Festspielen. Seit 2013 verkörpert Julia Gschnitzer leise, bedacht und vorwurfsvoll die Rolle der Mutter. Diese sorgt sich um das Seelenheil ihres zügellosen Sohnes, der so gar nicht an den Tod und ein höheres Gericht denken mag, und zu allem Überfluss mit seinen 40 Jahren immer noch nicht verheiratet ist. Für Gschnitzer sind „die echte, tiefe Gläubigkeit und die Sorgen um ihren Sohn, der in ihren Augen ein Lotterleben führt und verloren ist, wenn er sich nicht ändert“ die Eigenschaften, die für die Persönlichkeit der Mutter entscheidend sind.

Hingabe. Gleichzeitig stellen eben diese Charakterzüge für sie aber auch die große Herausforderung bei der Rolle dar. Gschnitzer ist selbst weder Mutter noch gläubig, wie sie sagt, darum musste sie sich erst langsam an die Rolle herantasten. Dabei hilft ihr die Vorstellung von Mütterlichkeit, die sie als eines von sieben Kindern von ihrer eigenen Mutter erfahren hat. „Mütterlichkeit ist für mich das Höchste und Schönste durch diese restlose Hingabe an Kinder und Familie. Meine Mutter hat dies in bewunderungswürdiger Weise wirklich gelebt. Sie war immer für uns da, ohne sich je aufzudrängen und in einem Ausmaß, wie ich das nie gekonnt hätte“, sagt die 85-Jährige. Gschnitzers Laufbahn begann am Tiroler Landestheater in Innsbruck. Von 1960 bis 1990 war sie am Wiener Volkstheater engagiert, danach bis 1994 am Salzburger Landestheater. Bekannt ist Gschnitzer aber auch von Film und Fernsehen: Axel Corti drehte 1971 den „Fall Jägerstätter“ über den katholischen Widerstandskämpfer Franz Jägerstätter, Gschnitzer spielte dessen Frau Franziska, und auch die Alte Nanne in „Die Siebtelbauern“ von Stefan Ruzowitzky. Gschnitzer war in „Tatort“-Folgen zu sehen und bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs. Letztlich liebt sie die Rolle von Jedermanns Mutter auch, weil sie die Herausforderung schätzt, die nicht zuletzt mit Hofmannsthals extra für den „Jedermann“ geschaffener Kunstsprache zusammenhängt. Trotzdem sind die Figuren aus dem Leben gegriffen. Gschnitzer: „Hofmannsthal hat im ,Jedermann‘ lauter Archetypen geschaffen – sie sind aber gleichzeitig ganz reale Menschen; das ist das Geniale.“ Jedermanns Mutter steht also sinnbildlich für die Religiosität, die Besinnung auf den Tod. Auch das ist Gschnitzer nicht fremd: „Jedermanns Mutter sagt selbst: Ich steh mit einem Fuß im Grab – sie ist sich ihrer Vergänglichkeit also voll bewusst. Wenn man ein hohes Alter erreicht, ist einem dieser Gedanke immer nah und ganz selbstverständlich, aber man lebt darum nicht weniger intensiv und gern.“

Julia Gschnitzer verkörpert – leise und bedacht – seit 2013  Jedermanns Mutter.
Julia Gschnitzer verkörpert – leise und bedacht – seit 2013 Jedermanns Mutter. (c) Barbara Gindl/APA/picturedesk.com

Pralles Leben. Als totaler Kontrast zu Jedermanns Mutter betritt unmittelbar nach ihr die Buhlschaft radfahrend die Bühne. Sie weiß um ihre Schönheit und ihre Wirkung auf Männer, ist fröhlich und lustvoll. „Hier treffen zwei Generationen aufeinander. Die Buhlschaft steht für das unerschöpfliche Leben, und Jedermanns Mutter, die einst Leben geschenkt hat, spürt nun, wie es sie verlässt. Letztendlich trennt und unterscheidet diese beiden Frauen vor allem Zeit und folglich die Erfahrung“, fasst Miriam Fussenegger, die heuer in Salzburg als Buhlschaft debütiert, die Gegensätzlichkeit der beiden Frauen zusammen. Die 25-jährige Oberösterreicherin folgt Brigitte Hobmeier nach. In Hofmannsthals Originaltext hat die Buhlschaft nur 30 Sätze zu sprechen, dennoch ist ihre Darstellerin einer der ganz großen und viel besprochenen Stars der Festspiele – und jeweils vor der Ernennung eines der am besten gehüteten Geheimnisse. Lang wurde spekuliert, wer die Rolle 2016 übernehmen wird. Fussenegger war schließlich eine Überraschung. Ausgebildet wurde sie am Wiener Reinhardt-Seminar. Schon während des Studiums spielte sie in Horváths „Kasimir und Karoline“ oder in „Maries Lieben“ nach Schnitzlers „Anatol“ in der Inszenierung von Klaus Pohl im Schönbrunner Schlosstheater. In Klaus Maria Brandauers Lesung von „Peer Gynt“, gemeinsam mit dem NDR-Symphonieorchester, war Fussenegger als Solveig zu erleben. Mit Nikolaus Leytner drehte sie den Landkrimi „Der Tote am Teich“ und mit Andreas Prochaska den dreiteiligen Historienfilm „Maximilian“. 2015 debütierte Fussenegger bei den Festspielen als Lucy in „Mackie Messer. Eine Salzburger Dreigroschenoper“ (Julian Crouch/Sven-Eric Bechtolf).

Innigkeit und Kontrollverlust. Neu ist für Fussenegger eine Aufführung unter freiem Himmel. Angst vor dem Domplatz hat sie keine: „Im antiken Griechenland wurde Theater nur im Freien gespielt, ganztags von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Ich fand die Vorstellung immer herrlich – dieses göttliche Spektakel, das sich nach der Natur und deren Rhythmen richtet. Somit freue ich mich sehr auf das Freiluftgefühl“, erklärt Fussenegger. Auch die Chemie zwischen ihr und Jedermann Cornelius Obonya habe sofort gestimmt. Ob im Stück die Buhlschaft Jedermann aber wirklich liebt, das weiß sie noch nicht genau: „Die Buhlschaft entsteht für mich in Beziehung zum Jedermann. Da erhält diese Symbolfigur Konturen, ist kokett, ausgelassen, zeigt sich aber auch ernsthaft besorgt und zärtlich. Wichtig ist für mich, diese Beziehung zu beleben und die Innigkeit zwischen den beiden spürbar zu machen. Ob das Liebe ist? Vielleicht weiß ich nach dem Sommer mehr.“ Was interessiert Fussenegger außer der Kunst? „Vieles, was ich noch nicht weiß, und manches, was ich noch nicht kann, interessiert mich und will erlernt und erlebt werden.“ Gibt es Bücher oder Filme, die sie begeistern? „Ich bin“ von Sri Nisargadatta Maharaj und „Das Jahr des magischen Denkens“ von Joan Didion. Und „La Grande Bellezza“ von Paolo Sorrentino.“ Was mag sie am liebsten am Theaterspielen? „Den kontrollierten Kontrollverlust.“

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