„Endspiel“: Abgründiger und feiner Humor

Zwingend. „In ,Endspiel‘ wabert enorme theatrale Wucht“, meint Nicholas Ofczarek.
Zwingend. „In ,Endspiel‘ wabert enorme theatrale Wucht“, meint Nicholas Ofczarek.(c) Salzburger Festspiele/Ingo Pertramer
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Apocalypse now! Michael Maertens und Nicholas Ofczarek über Samuel Becketts geheimnisvolles „Endspiel“.

Kalter Krieg, Wettrüsten, Flüchtlingskrise in Ungarn nach dem niedergeschlagenen Aufstand gegen die kommunistische Partei und die sowjetische Besatzungsmacht, das war das Jahr 1956. Nobelpreisträger Samuel Beckett (1906–1989), der zwei Weltkriege erlebt hatte – den Zweiten als Widerstandskämpfer und später versteckt aus Angst vor der Gestapo in Frankreich –, entwarf in seinen Stücken unheimliche Katastrophenszenarien. Menschlich oder politisch?

Das bleibt offen. Eine neue Form des absurden Theaters war geboren, doch wie absurd war dieses Theater? Inmitten einer Welt voll Angst vor Atombomben – das Massensterben in Hiroshima und Nagasaki war gerade elf Jahre her. In „Endspiel“ hausen vier Leute in einer Art Kellerloch, zwei sitzen in Mülltonnen. Hamm ist blind und lahm, Clov versorgt ihn notdürftig, ein klassisches Herr-und Diener-Verhältnis. Die beiden spielen sadistisch ihre Gebrechen gegeneinander aus. Sie träumen von Rettung und Flucht, aber es gibt keinen Ausweg.

Eingespieltes Team. In Salzburg inszeniert Altmeister Dieter Dorn. Der langjährige Intendant der Münchner Kammerspiele und danach des Residenztheaters, das seit 2011 Martin Kušej leitet, brachte unter anderem 1974 in Salzburg die Uraufführung von Thomas Bernhards „Die Macht der Gewohnheit“ heraus – gleichzeitig seine erste Arbeit bei den Festspielen. Neben Schauspiel führt Dorn in Salzburg auch bei Opern Regie; so inszenierte er etwa 2003 in Salzburg die Uraufführung der Oper „L’upupa und der Triumph der Sohnesliebe“ von Hans Werner Henze. Zuletzt war Dorn 2010 mit seiner Regiearbeit bei Christoph Willibald Glucks Oper „Orfeo ed Euridice“ bei den Salzburger Festspielen vertreten.

Komisch. „Ich finde Beckett gar nicht so absurd“, sagt Michael Maertens.
Komisch. „Ich finde Beckett gar nicht so absurd“, sagt Michael Maertens.(c) Salzburger Festspiele/Florian Rainer

In den Hauptrollen des Beckett’schen „Endspiels“ ist ein eingespieltes Team zu erleben – und es sind zwei Publikumslieblinge, die schon oft auf der Bühne die Klingen gekreuzt haben: Michael Maertens und Nicholas Ofczarek. Am Burgtheater sah man die beiden unter anderem in Tschechows „Onkel Wanja“, „Lorenzaccio“ nach Alfred de Musset, in Nestroys „Lumpazivagabundus“ oder in der „Affäre in der Rue de Lourcine“ von Eugène Labiche in der Übersetzung und erweiterten Neufassung von Elfriede Jelinek.

Wenn man „Endspiel“ sieht, denkt man immer: Ist die Welt jetzt tatsächlich untergegangen oder nur im Leben – oder in den Köpfen – von Clov und Hamm? Was meinen Sie?
Nicholas Ofczarek: Ich persönlich habe das Stück noch nie gesehen, es liest sich jedoch wie ein theatraler Entwurf einer postapokalyptischen Welt. Selbst in dieser ausweglosen Situation nehmen sich die Protagonisten noch immer zu ernst.


Haben Sie Angst vor dem Weltuntergang?
Ofczarek: Wir sind mittendrin.


Wie ist Ihre Beziehung zu Beckett?
Ofczarek: Mir wurde bisher noch nicht die Ehre zuteil, Herrn Beckett zu begegnen. Ich erahne jedoch einen schier grenzenlosen Kosmos eines rätselhaften, abgründigen, feinen Humors.
Michael Maertens: Ich würde meine Beziehung zu Beckett als neugierig beschreiben. Ich kann ihn immer wieder lesen und entdecke immer wieder etwas Neues. Absurd finde ich eigentlich gar nicht, was ich da entdecke. Wohl aber manchmal sehr komisch!


Gibt es eine Verwandtschaft zwischen Thomas Bernhard und Samuel Beckett?
Maertens: Nein, beide sind zwei eigenständige Planeten. Vielleicht kreisen sie umeinander und beobachten einander ab und zu – doch jeder lebt für sich.


Ist es eigentlich noch mutig, bei den Salzburger Festspielen „Endspiel“ zu zeigen, das heuer seinen 60. Geburtstag feiert – oder ist das Stück längst kanonisiert?
Ofczarek: Es ist weder mutig noch ist das Stück kanonisiert. Es ist einfach zwingend, es zu spielen.


Stimmt einen das Stück noch immer betroffen?
Ofczarek: Einen Klassiker zu sehen, impliziert nun nicht, dass man davon betroffen ist. In „Endspiel“ wabert eine enorme theatrale Wucht. Die Angst vor dem nahenden Ende wohnt wohl dem Menschen inne.
Ist das Stück schwer zu spielen?
Ofczarek: Man wird sehen.


Sie haben schon oft mit Michael Maertens gespielt. Was macht Ihre Zusammenarbeit auf der Bühne aus? Spaß, Ernst, Wettkampf oder Zufall? Hat sich Ihr Verhältnis zueinander verändert durch die vielen Stücke, in denen Sie gemeinsam aufgetreten sind? Treffen Sie einander auch privat?
Ofczarek: Ich schätze Michael Maertens sehr. Wir respektieren und fordern einander.
Maertens: Nicholas Ofczarek ist ein wunderbarer Schauspieler und ein großartiger Kollege – und unser Verhältnis würde ich mittlerweile als freundschaftlich bezeichnen. Ich profitiere unglaublich von seiner Spiellust, von seiner Fantasie und von seinem Talent.


Sie haben sich von den schönen Jünglingen wie Hamlet oder Jason zu den abgewrackten älteren Herren, zum Beispiel dem Bürgermeister in Gogols „Revisor“, bewegt. Gibt es da einen Unterschied beim Spielen oder in der Rollenannäherung?
Maertens: Da sprechen Sie ein heikles Thema an. Das Altern fällt mir schon seit meiner Kindheit schwer! Die Bühne – und die vielen wunderbaren Rollen, auch und speziell die Altersrollen – bieten mir eine Möglichkeit, mich mit diesem für mich etwas unangenehmen Thema zu beschäftigen.

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