Regie: Im Feuer der Leidenschaften

Athina Rachel Tsangari zeigt auf der Halleiner Perner Insel „Lulu“ (mit drei Protagonistinnen).
Athina Rachel Tsangari zeigt auf der Halleiner Perner Insel „Lulu“ (mit drei Protagonistinnen).(c) Salzburger Festspiele/Screen Eye
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Spannende Regisseure haben die Salzburger Festspiele im ersten Jahr der neuen Führung eingeladen. Wir stellen vor: den Australier Simon Stone, die Griechin Athina Rachel Tsangari und die Iranerin Shirin Neshat.

„Ich bin Filmautorin – und Regisseurin“, sagt die Griechin Athina Rachel Tsangari, die heuer im Schauspiel der Salzburger Festspiele Frank Wedekinds „Lulu“ auf der Perner Insel in Hallein herausbringen wird – mit drei Lulu-Darstellerinnen. Die Aufführung ist ihre erste Regiearbeit am Theater. „Mich faszinieren die unterschiedlichen Facetten der Lulu als einer archetypischen Frauengestalt. Sie als Femme fatale oder einfach als Opfer eines Mörders zu zeigen, interessiert mich nicht“, erklärt Tsangari, die 1966 in Athen geboren wurde. Lulu ist für Tsangari „eine Zerstörerin, aber sie zerstört allmählich auch sich selbst. Vielleicht existiert Lulu gar nicht. Vielleicht ist sie nur die Projektion eines kollektiven Begehrens. Alle Frauen und Männer, die sie attraktiv finden, fühlen sich von ihr angezogen, solang sie sie nicht besitzen – doch sobald sie sie besitzen, ist es fast so, als hätte sie keine Substanz mehr.“

Tsangaris Lieblingsrolle im Stück ist allerdings die lesbische Gräfin Geschwitz, die Lulu bis zur Selbstvernichtung verfolgt: „Geschwitz berührt mich sehr, weil sie versucht, alles an Liebe aufzubieten, dessen sie fähig ist – in dieser von Wedekind entworfenen ziemlich kalten Welt, in der wir im Grunde über keine der handelnden Personen wirklich Bescheid wissen. Die Figuren lassen sich treiben und mir gefällt das. Sie sind Nomaden. Es gibt da eine zwielichtige Grenze zwischen Moral und Immoralität. Und genau genommen ist keine der Figuren sehr sympathisch. Die Geschwitz aber liebt Lulu tatsächlich. Sie möchte sie retten.“

Simon Stone inszeniert Reimanns „Lear“ in der Felsenreitschule (Dirigent: Welser-Möst).
Simon Stone inszeniert Reimanns „Lear“ in der Felsenreitschule (Dirigent: Welser-Möst).(c) Salzburger Festspiele/Sandra Then

Menschen, Maschinen. Und die Geschwitz sei auch, so Tsangari, der perfekte Mittelpunkt des Stückes: „Sie ist androgyn. Das Androgyne in uns ist ein wichtiges Thema von ,Lulu‘“, so Tsangari, und „der Gegenstand der Forschung in meiner gesamten Arbeit. Ich möchte das Weibliche im Mann und das Männliche in der Frau finden und untersuchen, wie diese Anteile sich ständig rückkoppeln und wieder in sich selbst münden. Unser Ansatz wird also nicht sein: Du bist der Mann und du die Frau, sondern: Wie kommt es, dass wir zu Androgynen werden – oder in gewisser Weise zu Cyborgs, also Mischwesen aus Maschine und Mensch, aus dem Selbst und seinen Reflexionen, aus Mann und Frau. Lasst uns sehen, wo das hinführt.“

Wie viele heutige jüngere Künstler hat Tsangari sich mit vielen verschiedenen Disziplinen beschäftigt und viele verschiedene Interessen, Verhaltensforschung, Philosophie: „Einer der Gründe, warum ich mich zur darstellenden Kunst hingezogen fühle, liegt darin, dass man hier alle Obsessionen kombinieren kann.“ Tsangari arbeitet gern und lang mit Schauspielern. Man müsse „einen inneren Rhythmus entdecken, eine choreografische Gestaltung von Energien finden, die jedem von uns innewohnen . . .“

Weltbürger inszeniert „Lear“. Da staunten die Besucher des Akademietheaters 2015, als Ibsens „John Gabriel Borkman“ über die Bühne ging. Martin Wuttke als Ex-Bankier spintisierte auf seinem Dachboden über neue Erfindungen, Projekte und haute auf seinen kaputten Fernseher. Birgit Minichmayr als Borkmans Frau Gunhild tobte mit Zigaretten und Flasche über den Verlust ihres Societylady-Daseins. Caroline Peters als ihre Schwester Ella versuchte passiv-aggressiv einen Hauch Menschlichkeit in die Hassorgie zu bringen. Und alle Figuren zusammen wühlten im hohen Schnee. „Spannende Wirtschaftsgeschichte in Form einer Soap à la ,Vorstadtweiber‘“, urteilte „Die Presse“. Simon Stone, Regisseur des Überraschungs-Ibsen, inszeniert dieses Jahr bei den Salzburger Festspielen Aribert Reimanns „Lear“, unter anderem mit dem kanadischen Opernsänger Gerald Finley oder dem Burgschauspieler Michael Maertens. Dirigieren wird Franz Welser-Möst.

Der 32-jährige Simon Stone, in Basel geboren, ist ein lässiger Weltbürger, der viel unterwegs ist und auch mal auf von der Internet-Plattform Airbnb gemieteten Couches schläft. Stone begann als Schauspieler, machte Furore mit Wedekinds „Frühlings Erwachen“ in seiner eigenen Off-Theatergruppe („Irre“, schrieb der „Sydney Morning Herald“). Stones Filmdebüt als Regisseur von „The Daughter“ nach Ibsens „Wildente“ wurde beim Toronto International Film Festival gezeigt.

Shirin Neshat bringt Verdis  „Aida“ heraus (mit Anna Netrebko, Riccardo Muti dirigiert).
Shirin Neshat bringt Verdis „Aida“ heraus (mit Anna Netrebko, Riccardo Muti dirigiert). (c) Die Presse (Clemens Fabry)

Seinem Publikum bringt Stone gern Basics des Theaters bei: Er animiert Zuschauer zum Kichern, indem er vorführt, wie unterschiedlich man es gestalten kann, wenn zwei sich treffen, einer am Boden liegt oder wie die so wichtige Beleuchtung im Theater funktioniert: volles Licht oder nur die Unterlippe des Schauspielers? Comedy in der Comedy. „Unsere biologischen Träume sind immer dieselben und sie werden immer dieselben sein“, erklärte Stone im Interview mit der „Financial Times“: „Wir sind immer noch Tiere. Aber heutzutage ist es ein größerer Schock als früher, das zu erkennen und sich damit abzufinden.“

Frauenpower für „Aida“. 1957 im Iran geboren wurde Shirin Neshat, die heuer in Salzburg mit Anna Netrebko Verdis „Aida“ herausbringt. Ne-shat wuchs in einem westlich orientierten Arzthaushalt auf und besuchte ein katholisches Internat. 1979 im Jahr der Revolution von Ayatollah Khomeini verließ sie den Iran und studierte in den USA. 1990 kehrte sie zurück. In ihrer Arbeit befasst sich Neshat unter anderem mit dem Zwiespalt zwischen westlichen und östlichen Wertvorstellungen. Sie will mit ihrem Werk zwischen den Fronten vermitteln. So fotografierte sie bewaffnete „Women of Allah“ in den 1990er-Jahren, die mit persischer Kalligrafie überschrieben waren. Ebenfalls in Schwarz-weiß-Ästhetik gehalten sind ihre Videos „Turbulent“ oder „Rapture“, die 1999 den internationalen Preis der Biennale von Venedig gewonnen haben. Neshats Werke haben etwas von dunklen Märchen, in denen Frauen leise den Aufstand proben.

In den Iran reist Neshat nach einer Konfrontation mit einem dortigen Politiker auf dem Flughafen nicht mehr. Sie lebt inzwischen in New York, 2009 war sie bei der Viennale zu Gast. Wie Tsangari sitzt Neshat in der Jury der Internationalen Filmfestspiele von Berlin. Für ihren ersten Spielfilm, die symbolistische Utopie „Männer ohne Frauen“, gewann Neshat 2009 den Silbernen Löwen der Biennale von Venedig. Manche ihrer Kunstwerke erinnern in ihrer Wucht an Michael Haneke. Sie ist ein Fan von ihm: „Mich beeindruckt die Schlichtheit, mit der er moralische, psychologische und existenzielle Themen inszeniert. Natürlich bewundere ich auch Altmeister wie Tarkowski oder die humanistische Kraft von Ingmar Bergman“, erzählte Neshat dem „Berliner Tagesspiegel“.

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