Wiener Philharmoniker: Fremde Welten, heimatliche Gefilde

Die Wiener Philharmoniker sind untrennbar mit den Salzburger Festspielen verbunden.
Die Wiener Philharmoniker sind untrennbar mit den Salzburger Festspielen verbunden. (c) Salzburger Festspiele/Marco Borrelli
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Die Wiener Philharmoniker pflegen in Salzburg heuer die musikalische Moderne,
ihre Mahler- und Bruckner-Tradition, blicken aber auch neugierig nach Russland.

Die Wiener Philharmoniker und die Salzburger Festspiele – das ist eine höchst innige Verbindung, die die gesamte Geschichte des Festivals umspannt und mittlerweile nun schon fast ein Jahrhundert alt ist. Als Orchester der Wiener Staatsoper waren die Philharmoniker von der ersten Stunde an das Festspielorchester und über Jahrzehnte hin mit wenigen Ausnahmen das einzige Orchester, das im Festspielhaus zur Sommerzeit auftrat. Ein Faktum, das man nur verstehen kann, wenn man die Gründungsgeschichte der Festspiele studiert. Eine Anbindung an Wien war für den Ideengeber Max Reinhardt so selbstverständlich, dass er seine erste Eingabe bezüglich der Gründung von Festspielen in Salzburg an die Intendanz der Wiener Hoftheater richtete.

Das war 1917; und wenn man auch bei Hofe dem Gedanken wohlgesinnt war, so dauerte es angesichts der letzten Monate des Ersten Weltkriegs und des Zusammenbruchs des Habsburgerreiches Jahre, bis sich die Vision Reinhardts unter kräftiger Mithilfe von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal als österreichisches „Friedenswerk“ etablieren konnte. Längst war die Republik ausgerufen, als man in Salzburg daranging, die „europäischen“ Festspiele ins Leben zu rufen.

An der zentralen Bedeutung des Wiener Kulturlebens für die Festspiel-Macher hatte sich freilich nichts geändert. Das Burgtheater war und blieb die erste Bühne des deutschen Sprachraums – und die nun zur Staatsoper mutierte Hofoper war das Epizentrum der musiktheatralischen Kunst geblieben. Was diese künstlerischen Kräfte im besten Fall leisten konnten, sollte zum Humus des Festspiel-Gedankens werden.

Herbert Blomstedt, der Doyen der internationalen  Maestri, dirigiert Richard Strauss und Anton Bruckner.
Herbert Blomstedt, der Doyen der internationalen Maestri, dirigiert Richard Strauss und Anton Bruckner.(c) (c)Salzburger Festspiele/ Silvia Lelli

Also verstand es sich von selbst, dass die Ensemblekräfte der Wiener Oper und das dazugehörige Orchester die ersten Salzburger Opernproduktionen ausrichteten; und dass die Philharmoniker die Festspiel-Konzerte musizierten.

Primus inter pares. Auch wenn die Wiener Philharmoniker das Herzstück des Salzburger Sommers sind, werden immer wieder Gastorchester eingeladen. Schon Herbert von Karajan holte in seiner Ära andere Klangkörper ins Festspielhaus, seine Berliner Philharmoniker kamen seit Ende der Fünfzigerjahre stets, um mit ihrem Chefdirigenten das Konzertprogramm zu bereichern, Spitzenensembles aus Cleveland oder Dresden, später auch aus London erschienen und verbreiterten das symphonische Angebot schrittweise. Bald gab es infolge der Ausweitung des musiktheatralischen Angebots auch andere Opernorchester – und längst hat man sich daran gewöhnt, dass die Wiener nicht mehr allein die Festspiele tragen. Primus inter pares sind sie geblieben, daran konnte und wollte im Festspiel-Direktorium niemand rütteln.

2017 gibt es nun, das ist höchst ungewöhnlich, einen Sommer ohne philharmonischen Mozart. Die Premiere der „Clemenza di Tito“ bestreitet Teodor Currentzis mit seinem Ensemble musicAeterna. Für Händels „Ariodante“ holt man Gianluca Capuano und das von Cecilia Bartoli neu gegründete Ensemble, Les Musiciens du Prince – Monaco, in die Stadt, für Monteverdis „Krönung der Poppea“ John Eliot Gardiner und die English Baroque Soloists.

Die Philharmoniker aber erarbeiten mit Riccardo Muti eine Neueinstudierung von Verdis „Aida“, mit Mariss Jansons die „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch, spielen unter Vladimir Jurowski Bergs „Wozzeck“ und begegnen unter Franz Welser-Mösts Führung das erste Mal einem zentralen Werk der jüngeren Operngeschichte, Aribert Reimanns „Lear“.

Mit Musik des deutschen Parade-Avantgardisten haben die philharmonischen Musiker allerdings schon anlässlich der Wiener Uraufführung der „Medea“ Bekanntschaft gemacht, eines Werks, das jüngst unter Michael Boder wieder in den Spielplan der Staatsoper aufgenommen wurde, wofür ausgiebig geprobt wurde.

Riccardo Muti, heuer wieder als Verdi-Dirigent in Salzburg,  widmet sich im Konzertsaal Brahms und Tschaikowski.
Riccardo Muti, heuer wieder als Verdi-Dirigent in Salzburg, widmet sich im Konzertsaal Brahms und Tschaikowski.(c)Salzburger Festspiele/ Silvia Lelli

Reimanns spezifische Klangsprache ist dem Orchester also nicht fremd. Der „Lear“ markierte Ende der Siebzigerjahre den künstlerischen Durchbruch Reimanns, der nach der Münchner Uraufführung mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelpartie über Nacht weltbekannt und als führender Musiktheatermeister seiner Generation anerkannt wurde.

In die Avantgarde. Für Wien waren die kühn geschichteten Klangflächen damals noch Neuland – drei Jahre nach dem Münchner „Lear“ hatte aber bei den Salzburger Festspielen Friedrich Cerhas „Baal“ Premiere. Die von Christoph von Dohnányi einstudierte Uraufführung holte das Wiener Orchester in die Regionen der Avantgarde. Viel weiter als bis zu Schönbergs „Moses und Aron“ oder der sehr gemäßigten Moderne eines Gottfried von Einem oder Hans Werner Henze hatte man sich bis dahin weder an der Staatsoper noch bei den Festspielen hinausgewagt.

Allerdings knüpft man mit einer weiteren Premiere des Sommers 2017 an eine philharmonische Edeltradition in Sachen Neuer Musik an: Der „Wozzeck“ galt schon zu Alban Bergs Lebzeiten als absolute Force des Wiener Orchesters. Mit Clemens Krauss hatte man schon kurz nach der Uraufführung dieses Gipfelwerks der sogenannten Neuen Wiener Schule die historischen Fakten zurechtgerückt: Was der Wiener Erich Kleiber mit dem Orchester der Berliner Lindenoper aus der Taufe gehoben hatte, holte der Wiener Clemens Krauss quasi heim. Natürlich ließ Alban Berg in seinen privaten Anmerkungen keinen Zweifel daran, dass sein Klangideal anlässlich zahlloser Besuche auf dem Stehplatz der Wiener Hofoper geschult worden war. Er hatte beim Komponieren den spezifischen philharmonischen Klang im Ohr. Einen Klang, der mangels technischer Medien, die internationale Vergleiche hätten ermöglichen können, in jenen Jahren vielleicht noch individueller gewesen sein mag als heute. So klingt denn auch manches im „Wozzeck“, in den symphonischen Zwischenspielen zumal – nicht nur in der großen „Invention über die Tonart d-Moll“ kurz vor dem erschütternden Schlussbild – nach einer kühnen, aber folgerichtigen Ausweitung der auf demselben klanghistorischen Humus gewachsenen Welt eines Gustav Mahler. Und es ist bezeichnend, dass Berg in einem Brief an seine Frau nach einer Aufführung der Dritten Symphonie Mahlers bekennt, die gewaltigen Paukenschläge seines letzten „Wozzeck“-Zwischenspiels im Finale dieser Symphonie schon „vorgeformt“ gefunden zu haben – Berg kannte Mahlers Werk zum Zeitpunkt der „Wozzeck“-Komposition noch gar nicht . . . Der wienerische Tonfall der Philharmoniker adelte auch legendäre „Wozzeck“-Serien bei den Salzburger Festspielen; wobei Karl Böhm, der das Stück auch als eines der Eröffnungswerke in der wiederaufgebauten Staatsoper 1955 ansetzte, die führende Kraft blieb. Er glaubte an die Wirkungsmacht von Bergs bahnbrechender Komposition und setzte sie gleich zweimal als Festspiel-Produktion durch, stets zur Begeisterung von Publikum und internationaler Kritik.

Bernard Haitink eröffnet die philharmonischen Festspiel-Programme mit Mahlers Neunter Symphonie.
Bernard Haitink eröffnet die philharmonischen Festspiel-Programme mit Mahlers Neunter Symphonie.(c) Salzburger Festspiele/Todd Rosenberg

2017 steht dieses Schlüsselwerk der Moderne neben einem weiteren Markstein der jüngeren Musikgeschichte: Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“. Auch diese Oper haben die Wiener Philharmoniker schon mehrmals einstudiert, erst jüngst standen wieder Aufführungen an der Staatsoper im Programm. Doch gehört Schostakowitsch nach wie vor nicht zum Stammrepertoire des Orchesters. Noch vor vierzig Jahren galt es als Sensation, wenn ein Dirigent im philharmonischen Abonnementkonzert die gigantische Vierte Symphonie des russischen Meisters als Erstaufführung vorstellte. Wie die „Lady Macbeth“ war auch diese Symphonie einst der Nomenklatura rund um den Diktator Josef Stalin suspekt – und bescherte ihrem Schöpfer schwere Jahre der Verfolgung und Bedrohung.

In die Welt. In der jüngeren Vergangenheit war es nicht zuletzt der lettische Maestro Mariss Jansons, der als Adlatus des großen Schostakowitsch-Freundes und Uraufführungsdirigenten Jewgeni Mrawinski die Musik dieses Meisters in die Welt trug. Als einer der Favoriten der Wiener Philharmoniker (und des Publikums) gelang es Jansons, die Musik Schostakowitschs auch im wienerischen Konzertleben heimisch zu machen; und es ist nur folgerichtig, dass er nun die erste szenische Schostakowitsch-Produktion der Salzburger Festspiele einstudiert. Und es ist ebenso folgerichtig, möchte man ergänzen, dass Jansons’ Protegé Andris Nelsons für seine Salzburger Festspielkonzerte mit den Philharmonikern (6./7. August) Schostakowitschs Siebente Symphonie gewählt hat, ein Stück Klang gewordener Zeitgeschichte, die uns die deutsche Belagerung von St. Petersburg im Zweiten Weltkrieg miterleben lässt und die einst als symphonische Durchhalteparole der verzweifelten Bevölkerung der Stadt Mut einflößen sollte: Russland hatte auf die notleidenden Eingeschlossenen nicht vergessen.

Daniel Barenboim antwortet zum Finale mit  Mahlers hieroglyphisch-prächtiger Siebenter.
Daniel Barenboim antwortet zum Finale mit Mahlers hieroglyphisch-prächtiger Siebenter.(c) Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

Die alsbald auch international wahrgenommene „Leningrader Symphonie“ steht bei Nelsons diesmal neben dem virtuosen Dritten Klavierkonzert von Serge Prokofieff, das Daniil Trifonov musizieren wird – Musik eines russischen Emigranten aus der Zeit vor dessen Rückkehr in die Sowjetunion; unbeschwert und leuchtend, ein Beispiel für den eigenwilligen Prokofieff-Stil, ehe der Meister als Heimkehrer in Stalins ideologische Falle ging . . .

In den Salzburger Konzerten der Philharmoniker gibt es heuer auch zwei Symphonien von Schostakowitschs erklärtem Vorbild zu hören, Gustav Mahler. Die „Philharmonischen“ des Sommers 2017 heben an mit zwei Wiedergaben der letzten vollendeten Mahler-Symphonie, der Neunten, unter Bernard Haitink (28./30. Juli). Das Werk wurde vom Orchester posthum unter Bruno Walter uraufgeführt. Daniel Barenboim rundet die Auftritte der Wiener heuer am 26. und 27. August mit der Siebenten Symphonie ab, einem Werk, das selbst in der mittlerweile stark gewachsenen Mahler-Aufführungsstatistik ein Mauerblümchendasein fristet. Trotz des jubelnden, mit Pauken und Trompeten feiernden C-Dur-Finales gilt das Stück mit seinem aus schwarzer Tiefe zu jubelnden Höhen ansteigenden Stirnsatz und drei „Nachstücken“ inmitten als schwer verständlich. Doch Barenboim, der spät zu Mahler gefunden hat, liebt offenbar gerade dieses heikle Werk besonders und hat vor Kurzem mit seiner Berliner Staatskapelle im Wiener Musikverein bewiesen, dass er die scheinbar so verworrene Dramaturgie Mahlers anregend und spannend aufzudröseln versteht.

Enorme Spannweite. Ihr ureigenstes Repertoire pflegen die Philharmoniker heuer unter Herbert Blomstedt – mit den „Metamorphosen“ von Richard Strauss und Bruckners Siebenter (19./20. August) sowie vom 13. bis 15. August gleich dreimal unter Riccardo Muti, der nebst Johannes Brahms’ Zweitem Klavierkonzert (mit Yefim Bronfman) Tschaikowskis Vierte Symphonie gewählt hat, ein Stück russischer Symphonik vor Prokofieff und Schostakowitsch, zu dem Wiens Orchester eine lange und intensive Beziehung hat.

Franz Welser-Möst dirigiert eines der erfolgreichsten modernen Musikdramen: Aribert Reimanns „Lear“.
Franz Welser-Möst dirigiert eines der erfolgreichsten modernen Musikdramen: Aribert Reimanns „Lear“.(c) Salzburger Festspiele/Michael Poehn

Muti steht auch am Dirigentenpult, wenn im Großen Festspielhaus Verdis „Aida“ erklingt, ein Stück, zu dem Wien – anders als zu vielen wichtigen Verdi-Opern – bereits zu des Komponisten Lebzeiten gefunden hat, das aber in Salzburg bis in die späten Jahre Herbert von Karajans warten musste, bis man es zwischen Mozart, Strauss und Beethoven als festspieltauglich empfand. Diesbezüglich kritische Stimmen sind freilich längst verstummt, wie damals Karajan gilt heute Riccardo Muti als strenger Sachwalter von Verdis Kunst und fegt jeden Zweifel beseite: Allein die enorme Spannweite der Ausdrucksmittel, die der Komponist auf der Höhe seines Ruhms für das Orchester bereithält, fordert eine festspielreife Einstudierungsarbeit: von den Fanfaren des „Triumphaktes“, die fernab jeglichen Hollywood-Kitsches ertönen müssen, bis zu den impressionistischen Farbvaleurs der Einleitung zum „Nilakt“ reicht eine Palette, die nur ein Spitzenorchester voll auszuloten imstande ist. Eine „philharmonische“ Aufgabe also auch das – abgesehen vom musikantischen Vergnügen, das es bereiten wird, Anna Netrebkos Stimme bei der „Nilarie“ zu tragen . . .

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