Song Contest 2015: Strichmännchen und Liebes-Duette

Bleibt Favorit: Mans Zelmerlöw aus Schweden.
Bleibt Favorit: Mans Zelmerlöw aus Schweden.(c) APA/EPA/GEORG HOCHMUTH
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Beim zweiten Halbfinale in der Wiener Stadthalle ging es kaum mehr um Politik, dafür umso mehr um die Liebe. Besungen bevorzugt im Duett oder vor mystisch-düsterer Kulisse.

Der britische „Guardian“ war diesmal früh dran mit seiner Bilanz des Eurovision Song Contest. Die Briten sind der Meinung, das in Wien stattfindende Gruppensingen sei heuer so politisch wie selten zuvor. Der armenische Beitrag hätte eigentlich „Don't Deny“ heißen sollen, musste aber umbenannt werden. Im Gedenkjahr an den Massen-Genozid an den Armeniern vor 100 Jahren erschien der Titel unpassend. Griechenlands Song „One Last Breath“, in dem es um eine Scheidung geht, lässt sich auch als Kommentar zur Finanz- und EU-Krise des Landes interpretieren. Und die Ungarn besingen in „Wars for Nothing“ gleich eine bessere Welt.

All diese mehr oder weniger direkten politischen (Sub-)Texte waren Inhalt des erstes Semifinale am Dienstag. In Runde Zwei am Donnerstag (>> Liveticker zur Nachlses) war kaum mehr Platz für Politik, umso mehr für die Liebe. Bevorzugt im Duett gesungen, oder im Solo auf dunkler Bühne (zB der zypriotische Elvis-Costello-Verschnitt). Und im Fall von Litauen mit einem Kuss garniert. Das Duo Monika Linkyte und Vaidas Baumila eröffnete den Abend mit ihrem belanglosen „I'm feeling love, love. Round and round and round we go.“

Jugend singt über die Liebe

Molly Sterling aus Irland saß zwar am Klavier, wirkte aber dennoch seltsam müde während sie ihre unglückliche Liebe besang. Dass die Sängerin noch Schülerin ist, merkte man gegen Ende ihres Auftritts, als sie sich schüchtern die Hand vor den Mund hielt.

Auch der deutsche Produzent Ralph Siegel war diesmal wieder dabei – und kehrte bei seinem Beitrag für San Marino thematisch dorthin zurück, wo er 1982 aufgehört hatte: zum Frieden. Vor einer großen Weltkugel, die aussah als sei sie aus dem „ZiB“-Studio ausgeborgt, sangen Michele Perniola und Anita Simoncini (wieder ein Duo) ihr „Chain of Lights“ – und trafen dabei leider einige Töne nicht. Im Duett traten auch die Norweger Mørland und Debrah Scarlett sowie die Tschechen Marta Jandova und Vaclav Barta auf.

Nach all den Liebes-Balladen konnte das Publikum erst einer der jüngsten Teilnehmer der Show richtig mitreißen, der erst 16-jährige Nadav Gudj aus Israel. Sein orientalisch angehauchtes Pop-Lied „Golden Boy“ die 10.000 Zuseher in der Stadthalle zum lautstarken Mitklatschen. Gold waren dann übrigens nur die Schuhe.
Theatralisch und vor einer seltsamen Sonnenfinsternis-Kulisse besang Elnur Huseynov aus Aserbaidschan die „Hour of the Wolf“.

Der Preis für die verspieltesten Visuals (süße kleine Strichmännchen im La Linea-Stil, die mit ihm einklatschten, Sternenstaub und Schmetterlingsflügel) gebührte dem Schweden Mans Zelmerlöw, der auch als Model arbeiten könnte, sich mit seinem T-Shirt- und Jeans-Outfit kleidungstechnisch aber nicht unbedingt verausgabt hatte. Sein „Heroes“ zählte früh zu den Favoritensongs. Und blieb es auch nach diesem Abend: Schweden stieg ebenso auf wie die küssenden Litauer, das norwegische Duo in Weiß, der Brillenträger John Karayiannis aus Zyprien und Elnur Huseynov aus Aserbaidschan.

Auch die Solosängerin Aminata aus Lettland und Künstler Knez aus Montenegro konnten ins Finale einziehen, so wie wenig überraschend „Golden Boy“ Nadav Gudj aus Israel. Am Samstag werden sie gegen die zehn Finalisten aus dem ersten Semifinale und die sieben Fixstarter Deutschland, England, Frankreich, Italien, Sonder-Gast Australien und Gastgeber Österreich antreten. Malta, Portugal, Island, Irland, San Marino, Tschechien und die Schweiz sind ausgeschieden.

Auftritt im Rollstuhl

Ohne dem „Guardian“ widersprechen zu wollen: Nicht Politik (zumindest bis zur Abstimmung in der Finalnacht) ist das Motto dieses Jahres, sondern dem Slogan des ORF – „Building Bridges“ – folgend, das Überwinden von Barrieren. Nach dem Ausstieg der finnischen Punkband Pertti Kurikan Nimipäivät im Halbfinale, in der drei Musiker das Downsyndrom haben und einer Autist ist, trat auch im Halbfinale eine Sängerin auf, die bewies, dass man auch mit einer körperlichen Behinderung Teil einer glamourösen Show sein kann.

Polens Kandidatin Monika Kuszyńska trat mit ihrem rührigen Liebeslied „In the Name of Love“ als letzte der 17 Kandidaten auf. Dass sie bei ihrer Performance im Rollstuhl saß, fiel kaum auf – ihr langes, weiß-goldenes Kleid verlieh ihr besondere Eleganz. Das picksüße Lied, das ihr Ehemann komponierte, mag nicht jedermanns Geschmack sein, aber ihr souveräner Auftritt auf der Bühne überzeugte – und auch die Europäer. Auch die 35-Jährige, die seit einem Autounfall im Jahr 2006 im Rollstuhl sitzt, ist im Finale dabei. Der „Presse“ verriet sie: „Es war schwierig für mich, mich im Rollstuhl zu akzeptieren; ich dachte damals, dass es für die Menschen auch schwierig sein könnte. Lange Zeit dachte ich, dass ich erst auf die Bühne zurückkehre, wenn ich ganz gesund bin.“

Fazit: Das zweite Halbfinale war nicht nur textlich, sondern auch musikalisch und Show-technisch eintöniger, ähm lieblicher.

Das Ergebnis

DIE AUFSTEIGER INS FINALE AM 23. MAI IN ALPHABETISCHER
REIHENFOLGE:

  • ASERBAIDSCHAN Elnur Hüseynov "Hour Of The Wolf"
  • ISRAEL Nadav Guedj "Golden Boy"
  • LETTLAND Aminata Savadogo "Love Injected"
  • LITAUEN Monika Linkyte & Vaidas Baumila "This Time"
  • MONTENEGRO Knez "Adio"
  • NORWEGEN Mörland & Debrah Scarlett "A Monster Like Me"
  • POLEN Monika Kuszynska "In The Name Of Love"
  • SCHWEDEN Mans Zelmerlöw "Heroes"
  • SLOWENIEN Maraaya "Here For You"
  • ZYPERN Giannis Karagiannis "One Thing I Should Have Done"

DIE AUSGESCHIEDENEN LÄNDER IM 2. HALBFINALE AM 21: MAI:

  • IRLAND Molly Sterling "Playing With Numbers"
  • ISLAND Maria Olafsdottir "Unbroken"
  • MALTA Amber "Warrior"
  • PORTUGAL Leonor Andrade "Ha um mar que nos separa"
  • SAN MARINO Michele Perniola & Anita Simoncini "Chain Of Lights"
  • SCHWEIZ Melanie Rene "Time To Shine"
  • TSCHECHIEN Marta Jandova & Vaclav Noid Barta "Hope Never Dies"

("Die Presse" Printausgabe, 22.05.2015)

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