Jubel im Pressezentrum: Ruhe-Rufe beim Fan-Café

Eurovision Song Contest 2015
Eurovision Song Contest 2015(c) ORF
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Flaute am Würstelstand, genervte Anrainer in Erdberg, eifrige Freiwillige, enthusiastische Journalisten und Lob für den Ablauf: So läuft der ESC.

Jubelnde Fans und Sänger, Conchita und die Makemakes in der Dauerschleife – so sieht der Song Contest auf dem Bildschirm aus. Aber was bedeutet er für die Menschen rundum und dahinter? Und wie schlägt sich Wien? „Die Presse“ war während des zweiten Halbfinales auf Spurensuche.

Vor der Halle

Seit wann sie Song-Contest-Fans seien? Die Frage scheint die vergnügte Fünfergruppe aus Dänemark (zwei junge Frauen, drei Männer, einer im roten Paillettensakko) überflüssig zu finden: „Von Geburt an.“ Traditionell begeht man den Anlass mit einem eigenen Song Contest im Wohnzimmer, zum dritten Mal sind die fünf nun live dabei. Und nach Malmö und der eigenen Hauptstadt Kopenhagen sind sie erstmals weiter weg gefahren, das dafür gleich für zehn Tage. Zeit, alles zu erkunden – wie das Euro-Fan-Café in Erdberg. Das nur leider „mitten im Nirgendwo“ liege, so das Fazit der Gäste, die sich gerade am Gürtel vor dem zweiten Halbfinale stärken. Und zwar in bewohntem Nirgendwo. Sobald es etwas lauter wurde, hätten Anrainer die Fenster geöffnet und „Ruhe“ gerufen. 

Auch das Village vor dem Rathaus sei ein bisschen fad, konstatiert die Runde: „Viele Reisebürostände, wenig, was man tun kann.“ Dafür sei die Atmosphäre in der Stadt „wirklich gut“, die Stadthalle nah und gut erreichbar, die Schlangen kurz, der Ablauf einwandfrei. Und auch, dass Dänemark schon im Halbfinale rausgeflogen ist, habe man schon verwunden.

Am Standl

Am Nudelstand bei der U6-Station Burggasse/Stadthalle übt man sich in Zweckpragmatismus. Man habe mit keinem konkreten Plus gerechnet, deshalb ist man jetzt auch weniger enttäuscht. Er habe schon mit fünf Würstelstandlern geredet, berichtet einer, der offenbar viel Zeit unter dem Zeltdach auf dem Urban-Loritz-Platz verbringt – ein besseres Geschäft durch den Song Contest könne keiner vermelden.

Selbst eine Lage in der Stadthalle muss nicht günstig sein. Das Restaurant Chilinos ist kurz vor Beginn der Show beinahe menschenleer. Man liege außerhalb der Sicherheitszone, dadurch auch noch versteckt, erklärt man sich die Sache dort – und tröstet sich mit den vorangegangenen zwei Wochen Crew-Catering.

Im Pressroom

Hinten, neben dem alten Eingang zum Stadthallenbad, liegt der Eingang zum Pressebereich. Wer hier hineinwill, muss nicht nur eine Akkreditierung vorweisen, der muss sich beim Security-Check auch von allen Flüssigkeiten trennen. Es gelten die gleichen Regeln wie auf dem Flughafen: Taschen werden gescannt, Gürtel piepsen beim Metalldetektor. Das Pressezentrum selbst ist riesig, verweist mit Wasserkaraffen, Birkenholzstämmen, Baumscheibentischchen und lebenden Trennwänden auf Wiens Ehrgeiz als „Green Event“ und mit idyllischen Werbeplakaten auf Österreich als Tourismusdestination – selbst die Interviewkabinen sind nach Wildem Kaiser, Wachau oder Wörthersee benannt. Lange Reihen aus Tischen und Sesseln bieten Platz für die 1700 akkreditierten Journalisten und Blogger – die es mit der Trennung von Arbeit und Vergnügen hier nicht so genau nehmen. Viele sind eingefleischte Fans, die das ganze Jahr über den Song Contest (und seine Side Events) berichten. In der Stadthalle haben sie sich Fahnen ihres Landes auf den Tisch gestellt oder gleich die Flagge über die Schultern gehängt. Das Lied ihres Landes kommentieren viele während des zweiten Semifinales (das über große Leinwände im Saal übertragen wird) mit Applaus.

Jede Hemmung geht dann nach der Show verloren. Die israelische Abordnung (Sänger Nadav Gudej kam ins Finale) zieht mit blinkenden Lichtern auf dem Kopf jubelnd in die Pressekonferenz ein. Als Gudej den Saal betritt, fangen sie zu hüpfen und singen an. Der Rest des Saals empfängt die Künstler mit tosendem Applaus. „Ich gratuliere euch allen, ihr verdient es“, ist der Standardsatz, mit dem Fragen beginnen. Dann muss Litauen erklären, was der Kuss in der Mitte der Performance bedeutet hat und Slowenien, was das Ziel für das Finale ist. Ernst wird es erst, als der Schwede Mans Zelmerlöw, der als Favorit gilt, gefragt wird, ob sein Lied plagiiert sei; ein schwedischer Künstler hat den Vorwurf auf Twitter aufgebracht. „Wir hatten diese Diskussion schon“, bleibt der Schwede souverän. „Der Song wurde analysiert, da gleicht kein Ton dem anderen.“

Bei den Freiwilligen

Sie arbeiten gratis, müssen sich ihre Unterkunft selbst besorgen. Die 800 Freiwilligen in ihren „May I Help you“-T-Shirts sind die Stütze des Events, teils aus dem Ausland angereist, und sie genießen bereits einen ausgezeichneten Ruf. „Die sind fantastisch und so freundlich“, sagt ein australischer Radiomann, der schon mehrere der Wettsingen erlebt hat. So toll wie hier sei die Betreuung noch nirgends gewesen.

Dabei sind nicht alle Freiwilligen ganz zufrieden. Auf Facebook haben sie ihrem Unmut Luft gemacht: „Ich bin in meinem Bereich eingesperrt (...), ich habe noch Glück (...). Einige sind irgendwo eingesetzt, von wo sie gar nichts sehen und das Geschirr abräumen müssen und/oder hinter der Theke stehen“, ist dort zu lesen. In zwei Fällen sei Helfern die Akkreditierung entzogen worden. Einmal hätte sich eine Freiwillige beschwert, dass überschüssiges Essen für VIPs nicht den Freiwilligen gegeben werde, sagt ein anderer.

Die Betroffene hätte ihre Akkreditierung freiwillig zurückgelegt, ihre Darstellung auf Facebook sei auch falsch, sagt Song-Contest-Manager Pius Strobl dazu. Das Crew-Essen sei für alle gleich, das Essen, das nur zahlende VIP-Gäste bis spät nach der Show erhalten, könne aus logistischen Gründen nicht verteilt werden. Abgesehen von Einzelfällen sei die Rückmeldung durchwegs positiv. Als Gegenleistung für ihre Arbeit bekommen die Volunteers Turnschuhe, ein Smartphone und dürften sich eine der (Probe-)Shows ansehen, das habe es bisher noch nie gegeben.

Unter den Freiwilligen gibt es auch bekannte Gesichter. Wiener-Polizei-Sprecher Roman Hahslinger eilt durchs Pressezentrum, er hat sich dafür extra freigenommen: Er sei grundsätzlich ein Fan von Großveranstaltungen, erklärt er. Und verbindet dann doch seinen regulären Job mit dem Hobby. Wenn es Vorfälle rund um die Stadthalle gebe, müsse abgeklärt werden, ob sie mit dem ESC zu tun hätten – das sei dann seine Aufgabe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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