Song Contest 2015: Doch 12 Punkte für Österreich

EUROVISION SONG CONTEST 2015 -  PK MANS ZELMERL�W
EUROVISION SONG CONTEST 2015 - PK MANS ZELMERL�W(c) APA (HELMUT FOHRINGER)
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Politik, Klischees, Musik und das freundliche Wien: Wir ziehen Bilanz des Eurovision Song Contest.

  • Keine Überraschungen mehr. Seit Wochen, nein Monaten wurde Mans Zelmerlöw als Sieger des Eurovision Song Contest 2015 hochgejubelt, am Ende wurde er dieser Rolle mit einer auf das Fernsehen zugeschnittenen Performance, die sich mit ihrer Strichmännchen-Interaktion deutlich von anderen abhob, gerecht. Die Wettquoten schlugen deutlich in seine Richtung aus - auch Conchita Wurst war im Vorjahr Favorit der Buchmacher. Den Sieger bereits im Vorfeld zu kennen, wie es in den vergangenen Jahren der Fall war, nimmt natürlich Spannung aus der Show - durch das knappe Rennen mit Russland war das heuer nicht der Fall.
  • Das Klischee lebt. Ja, man wollte auch das "junge Österreich" zeigen. Und doch: Bei der Eröffnung sangen die Sängerknaben und spielte das ORF-eigene Radio-Symphonieorchester. Der Rapper Left Boy, der sich bei Konzerten in Österreich als Künstler aus New York ansagen lässt, als "junger" Beitrag? Und dazu noch playback? Es gäbe Alternativen. Einige davon haben wir in der Vorausscheidungsshow "Wer singt für Österreich?" gesehen.
  • Der Song Contest ist auch politisch. Bei zwölf Punkte-Verkündungen für die russische Kandidatin Polina Gagarina, die sich mit Zelmerlöw ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte, wurden Buhrufe immer lauter - bis Moderatorin Alice Tumler das Publikum ermahnte und Conchita Wurst Partei ergriff. Sie setzte sich zu Gagarina: Eine Schwulenikone als Beistand im russischen Fernsehen, das sieht man nicht alle Tage. Am Ende war die Erleichterung doch groß, dass Russland, auch wenn sich Gagarina den Sieg ebenso verdient hätte, nicht gewann. Den Contest, der sehr viele schwule Fans hat, im homophoben Russland auszutragen, wäre schwierig. Politik gab es beim Song Contest immer - in verschiedenen Schweregraden. Wieder stärker politisiert wurde der ESC auch durch Wursts Sieg im Vorjahr. Heuer gab es auffallend viele Aufrufe zur Toleranz und Akzeptanz im Teilnehmerfeld. Die European Broadcasting Union (EBU) hat die Buh-Rufe im Vorfeld des Finales scharf verurteilt. Fraglich ist, ob sie sich etwas einfallen lassen muss, um solche zumindest im Fernsehen auszublenden.
  • Es geht doch um Musik. Natürlich um Pop, aber auch aktuelle musikalische Strömungen finden Eingang in den Song Contest, wie Belgiens und Lettlands Beitrag zeigen. Beide schnitten überraschend gut ab: Belgiens Kandidant Loic Nottet kam auf Platz vier, Lettlands Kandidatin Aminata auf Platz sechs. Das mag auch den Jury-Wertungen zu verdanken sein, die zur Hälfte in die Endwertung einfließen. Durch sie fällt auch die "Nachbarschaftshilfe" bei der Punktevergabe weniger deutlich aus als noch in den Neunzigern. Das ist erfreulich. Dass zwei Länder disqualifiziert werden mussten, allerdings weniger.
  • Rock hat es schwer. Das zeigten die Null Punkte für die Makemakes, die mit einem schönen Song im Stile von Coldplay antraten und einen soliden Auftritt absolvierten. Als Gastgeber bekäme man immer Punkte, hieß es im Vorfeld. Falsch.
  • Conchita Wurst hat Weltstar-Potential. Die Siegerin des Vorjahres erwies sich als hervorragende Moderatorin, der nie auch nur ein ansatzweiser peinlicher Sager entschlüpfte. Mit ihrer Souveränität ließ sie das Moderatorentrio Arabella Kiesbauer, Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler teilweise blass aussehen. Man merkte, dass sie das ganze Jahr Auftritte auf dem roten Teppich absolviert hat. Jetzt fehlen nur noch ein paar welthittaugliche Songs. Nur schade, dass der ORF ihren Auftritt vor dem Voting nicht zeigte. Die deutschen Nachbarn blieben dran.
  • Das Wetter ist immer ein Unsicherheitsfaktor. Es hat geregnet und war kalt. Sehr kalt für den Wonnemonat. Trotzdem kamen 25.000 Leute zum Finale auf den Rathausplatz, das Public Viewing musste daraufhin geschlossen werden. Angesichts dieser Zahlen kann Wien froh sein, kein freundlicheres Wetter gehabt zu haben.
  • Viel Stress ist für die TV-Zuseher nicht sichtbar. Die Teilnehmer sind bereits im Vorfeld des Eurovision Song Contest wahnsinnig eingespannt: Sie touren durch die Teilnehmerländer. In der Song-Contest-Woche absolvieren sie zwei Shows pro Tag, zusätzlich dazu noch Live-Auftritte in Clubs. Ermüdungserscheinungen waren den meisten trotzdem nicht anzumerken, das verdient Hochachtung.

>> Grafik: Wer für Schweden stimmte

  • So freundlich war Wien noch nie. Österreich, vor allem Wien, hat die Gelegenheit wahrgenommen, sich in positives Licht zu stellen. "Nach dem Ende des Song Contests kehrt Österreich wieder zum Alltag zurück und wird ab sofort wieder dieselbe, ganz normale homophobe Bananenrepublik wie vor dem Bewerb", schreibt die Satireseite "Tagespresse" und hat damit nicht ganz Unrecht. Österreich hat bezüglich der Gleichstellung Homosexueller durchaus noch Aufholbedarf, wie auch der Blick nach Irland zeigt.
  • Der Song Contest war gut organisiert. Das hört man auch von den Journalistenkollegen, die jedes Jahr zum Song Contest fahren. Der ORF stellte für Journalisten genug Arbeitsplätze bereit, die Schlangen vor der Stadthalle waren überschaubar. An- und Abreise verliefen ohne Probleme. Das ist auch der Infrastruktur Wiens zu verdanken. Der Song Contest darf als Erfolg für den ORF, insbesondere für Generaldirektor Alexander Wrabetz und Fernsehchefin Kathrin Zechner verbucht werden. Das stärkt deren Ausgangsposition für die (Wieder-)Wahl des ORF-Generaldirektors im kommenden Jahr.
  • Journalisten dürfen "embedded" sein. Fantum und Journalismus verschwimmen, aber beim Song Contest macht das nichts. Auch im Pressezentrum wehen Flaggen in Landesfarben und Wangen werden bemalt. Man darf hier Fan sein, sollte es sogar. Schließlich muss - und soll man - den ESC nicht ganz so ernst nehmen. Es handelt sich beim Song Contest um eine Unterhaltungssendung. Nur eben eine sehr große.

>> Zur Ticker-Nachlese

Song Contest 2015: Das Endergebnis

Das Ergebnis des 60. Eurovision Song Contest:

1. Schweden 365
2. Russland 303
3. Italien 292
4. Belgien 217
5. Australien 196
6. Lettland 186
7. Estland 106
8. Norwegen 102
9. Israel 97
10. Serbien 53
11. Georgien 51
12. Aserbaidschan 49
13. Montenegro 44
14. Slowenien 39
15. Rumänien 35
16. Armenien 34
17. Albanien 34
18. Litauen 30
19. Griechenland 23
20. Ungarn 19
21. Spanien 15
22. Zypern 11
23. Polen 10
24. Großbritannien 5
25. Frankreich 4
26. Deutschland 0
27. Österreich 0

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