Jürgen Drews: Wenn die Wies'n in Wien gastiert

(C) Elke Wetzig
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Wenn Jürgen Drews in Wiener Dekolletés starrt und die Massen in Richtung Glückseligkeit schaukelt. Der Inhalt seiner Songs ist so simpel wie schön. Ein Besuch im Festzelt des Wiener Oktoberfest.

Schlagersänger sind oft zerrissene Persönlichkeiten, Menschen, die „eigentlich ganz was anderes“ machen wollen, aber leider nie dazukommen. Jürgen Drews, Gründungsmitglied der famosen „Les Humphries Singers“, hat sein Schicksal schnell angenommen. Er sah sich nie als Genie, dass seine Integrität nur für kurz verpfändet hat. Im Gegenteil. Er ist nur zum authentischen Mister Ballermann mutiert. Der sentimentale Schlager, der einst mit Orchestern und Chören aufgenommen wurde, existiert heute praktisch nicht mehr.

Das schlechte Karma wird einem heutzutage nicht mehr weggesäuselt, sondern mit der tumben Wucht von Techno-Beats weggeschlagen. Wäre der Drews der Siebzigerjahre über solch rohe rhythmische Kraft schockiert gewesen? „Ich denke nicht“, sagt er tapfer lächelnd. „Wahrscheinlich hätte ich nicht mehr Fuß fassen können, wenn sich die Musik nicht in den Partybereich entwickelt hätte.“ Auf der Bühne des größten Zelts, der allabendlich von ca. 5000 rustikal aufgemascherlten Radikalhedonisten aufgesuchten Wiener Wies'n, dirigierte dieses Zarterl von einem Mann die grölenden Massen mit überraschend sensibler Hand. Er eröffnete mit seinem alten Knaller „Ein Bett im Kornfeld“, in der Sekunde stand das Gros der Wies'n-Population tobend auf den Bänken.

Der Inhalt des Songs ist so simpel wie schön. Tramper trifft Radfahrerin, man kommt überein, Sex im Kornfeld zu haben. Nachdem der Wind die schweren Ähren lange genug auf die nackten Hintern gepeitscht hat, trennt man sich ohne viel Aufhebens. Die Inbrunst, mit der mitgesungen wurde, zeigte, dass Temporärromantik mit Fruchtgenuss immer noch mehrheitsfähig ist. Leider wurde der Schleier der Illusion immer wieder durch die Drews'sche Instantverzweiflung zerrissen: „Techniker, wenn du mich hörst, dreh die Musik im Monitor lauter!“

Die Massen ließen sich in ihrem Willen zur Party davon nicht ablenken. Wie es kommt, dass in einer Großstadt derart viele Mädchen Dirndln und Buben Lederhosen besitzen, zählt zu den großen Mysterien des Universums. Die Trennlinien zwischen Progressivem und Konservativem verschwimmen immer mehr. Einzig die Vollgasreligion einte. Kühn wurde da in die Maß gebissen, mutig wurden Fettwaren gegen den Gaumen geschmiert, alles, damit die Kehle nicht rostet. Schließlich ist so eine Zeltparty vor allem ein Fest des Mitgrölens. Ächzen und Wehklagen, das tut man in der immer mehr fordernden Arbeitswelt. Hat man frei, regiert das kommunale Grölen. Wenn dazu Musik im Hintergrund läuft, stört sie gar nicht. Etwa wenn andernzelts die „Saubartln“ aufgeigten. Mit Traktorrhythmen und saftigen Ziehharmonikagrooves wurden da Hitzen geschaffen, die als Saft bald von der Zeltdecke tropften. Doch Drews hielt entgegen. Egal, ob Les-Humphries-Klassiker wie „Mama Loo“ oder „Mexico“ oder seine neuen Hits von „Ich bau dir ein Schloss“ bis zu „Du heiliger Bimbam (nackt)“, alles fuhr wie ein heißes Messer ins buttrige Gemüt. „Mit so einem geilen Arsch bleibst du nicht lang allein“, versicherte er uns allen.

Dabei schmiegte er sich an Wiener Dirndln. Immer Vollgas, ermüdet das nicht? „Nein“, sagt Drews. „Ganz im Gegenteil, diese Art Zwang finde ich geil. Ich bin privat überhaupt kein Typ, der feiert, aber wenn ich auf der Bühne stehe, dann erwarten die Leute leichte Unterhaltung. Die wollen mitsingen, die sind gut drauf. Und dann bin ich auch gut drauf.“ Fidel wackelten auch Richie Lugner und Jazz-Gitti durchs Zelt, machten beinah würdig ihre Honneurs. Auf ständiger Parade war auch die Security, die manch Illuminierten aufklären musste, dass man Weißwürste nicht rauchen kann. Am Ende gab es noch eine patriotische Aufwallung, als die Menge der strammen Formation „Bengels Reloaded“ deren Version von „I Am from Austria“ abnahm. Viele Gelegenheiten, mit österreichischen Fähnchen zu winken, ohne verloren zu haben, gibt es ja nicht.

Auf einen Blick

Die Wiener Wies'n findet noch bis zum 7. Oktober statt.
Musikalische Highlights:
Der ehemalige Wiener Verkehrsstadtrat Fritz Svihalek singt mit der Kombo „Die Dorfer“ am 2.Oktober. Saso Avsenik und seine „Oberkrainer“ sowie die Vollgas-Party-Band „Hermes House Band“ geigen am 4.Oktober auf. Dazu kommen die „Schlagerschlampen“, „Volxrock“, „Ursprung Buam“, „Die Grubertaler“, „Die Jungen Zillertaler“ und das, was noch von „Boney M.“ übrig geblieben ist.

www.wienerwiesnfest.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2012)

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