Konwitschny: "Verdi ist gar nicht pathetisch!"

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Seine Inszenierungen polarisieren mitunter heftig. Im Theater an der Wien bringt der deutsche Regisseur Peter Konwitschny demnächst Verdis Frühwerk »Attila« heraus.

Sie inszenieren Verdis „Attila“ im Theater an der Wien. Premiere ist am 7. Juli. Das Werk handelt von der Eroberung Italiens durch Hunnenkönig Attila. Es ist kurz, bündig, blutrünstig. Was hat Sie interessiert?

Peter Konwitschny: Ich kannte das Stück nicht und fand es auf Anhieb spannend. Alles ist überdreht, exaltiert, auch die Liebesgeschichte zwischen Foresto und Odabella. „Attila“ hat etwas von einem Comic: z. B. diese Soldaten, die Hunnen, die nicht nur militant schreien, sondern grotesk brüllen. Forestos extreme Liebes- und Sehnsuchtsarien, die sind auch nicht ganz ernst zu nehmen. Dadurch entsteht eine Distanz im Sinne von Brecht. Man erkennt, dass in einer solchen Welt, die auf Mord und Totschlag beruht, kein Glück ist und sie verändert werden muss.


Könnte die Welt je ein glücklicher Ort sein?

Wenn die Menschen verschwunden sind, ja.


Brecht war wichtig für Sie. Sie haben in den 1970er-Jahren am Berliner Ensemble gearbeitet, u. a. bei Ruth Berghaus.

Ich habe dort viele Regisseure, Dramaturgen, Schauspieler kennengelernt, die noch mit Brecht gearbeitet haben. Ich fühle mich als Enkel Brechts, der sagte, dass die Welt verändert werden muss und veränderbar ist. Das meine ich auch, trotz aller Erfahrungen, die den Optimismus nicht beflügeln.


Wie politisch ist Verdi? Es gibt diesen Satz im „Attila“, der bei der Uraufführung stark akklamiert wurde: „Du magst das Universum haben, doch überlass Italien mir.“ Der Römer Ezio sagt das zu Attila. Verdi hat hier wie auch in anderen seiner Opern einen Appell zur Einigung Italiens verpackt, oder?


Dass Verdi mit „Attila“ eine patriotische Oper geschrieben hat, halte ich für ein absolutes Missverständnis. Ezio ist der größte Intrigant in dem Stück. In Ezio einen Nationalhelden zu sehen, der für die Befreiung Italiens steht, halte ich für Blödsinn. Was anderes ist „Nabucco“, da hat Verdi die Sehnsucht eines Volkes, das aus seiner Heimat vertrieben wurde, beschrieben.


Attila der Hunnenkönig hat einen wüsten Ruf. Zurecht, was meinen Sie?

In dieser Oper ist Attila der einzige sympathische Mensch. In Wirklichkeit war er natürlich einer der schlimmsten Schlächter der Geschichte. Ich zeige das auch, mit einem russischen Roulette, das nicht im Stück steht. Es gibt aber keine Schlacht. Man sieht auch nicht, dass Attila jemanden tötet oder befiehlt, jemanden zu töten.


In der Oper gibt es dieses Gesetz, das Salieri formulierte. Prima la musica, poi le parole, zuerst die Musik, dann die Worte. Wie kommen Sie als Opernregisseur damit zurecht?

Ich finde, ich habe den schönsten Beruf der Welt, weil ich mit Musik umgehen darf. Leider gibt es viel zu wenige Kollegen, die mit der Musik etwas anfangen können. Die Musik muss man befragen, sie definiert die Charaktere und die Vorgänge. Man könnte ja auch unser Sprechen in Noten aufschreiben. Die Crux der Opernregie ist allerdings, dass viel zu oft Ideen auf die Bühne kommen, die nichts mit dem Stück zu tun haben. Da spielt dann „Rigoletto“ im Schlachthof und bei „Lohengrin“ treten Nazis auf. Das ist falsch.


Das Opernpublikum ist weniger gutmütig oder aufgeschlossen als das Sprechtheaterpublikum. Es regt sich häufiger auf über schräge Inszenierungen, auch über Ihre. Trifft es Sie, wenn die Leute buhen?

Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das völlig unberührt lässt. Was mich stört, ist, dass mich die Leute in einen Topf mit Regietheater werfen. Das ist ein Sammelbegriff für alles, was unerlaubt ist und nervt. Ich unterscheide mich fundamental von Regisseuren, die irgendeine Idee über ein Stück stülpen. Das ist dann wie früher: Die Sänger haben keine Beziehung zueinander, und alles ist Design.


Ihre Inszenierungen sind sehr bildermächtig. Fallen Ihnen diese Bilder spontan ein?

Nein. Das geht drei Jahre vor der Premiere los. Dramaturg, Bühnenbildner, der Dirigent und ich treffen uns. Dann lesen wir das Stück, hören immer wieder hinein. Ich bewege mich zur Musik, damit ich das Stück noch auf einer anderen als der intellektuellen Ebene begreife. Am Ende wird alles genauestens überprüft, ob alle Ideen stichhaltig sind, keine Szene darf unsinnig sein.


Eine Ihrer am meisten gelobten Inszenierungen ist Verdis „Don Carlos“ mit dem Fontainebleau-Akt, die auch in der Staatsoper zu sehen ist. Die politische Note wird hier sehr deutlich: Carlos und Elisabeth, die einander versprochen sind, müssen sich trennen, damit Frankreich und Spanien Frieden schließen können. Hat Verdi wegen der Zensur oft seine politischen Ansichten mit großen Liebesgeschichten camoufliert?

Die Zensur hat immer das Politische gestrichen. Dieser Kampf, wenn die Wahrheit auf die Opernbühne kommt, dauert bis heute an. Ich wollte, dass der Zuschauer bei „Don Carlos“ sehen kann, wie alles zusammenhängt. Da wurde von Beginn an dauernd gestrichen. Verdi hat achtmal neu komponiert. Ich habe mich sehr gefreut, dass wir in Hamburg erstmals mit Ingo Metzmacher die Urfassung herausbringen konnten. Diese Streichungen sind ein Ausdruck der Asozialität der Opernwelt! „Don Carlos“ beginnt mit einem Antikriegschor, das ist die Überschrift für alles.


Einen Vorteil hat die Oper gegenüber dem Schauspiel: Sie darf ungeniert emotional, pathetisch sein. Besonders Verdi.


„Attila“ ist ironisch, und das ist auch so gemeint von Verdi. Verdi ist gar nicht pathetisch. Er war illusionslos. Er kannte die Politik. Für mich persönlich ist pathetisch politisch rechts.


Verdi und Wagner wurden beide vor 200 Jahren geboren. Sie feiern also runde Geburtstage. Wer ist Ihnen lieber?

Ich finde es toll, dass es beide gibt. Sie sind ähnlich in ihrer ethischen Botschaft, dass Liebe das Wichtigste ist.


Wagners Antisemitismus verdunkelt teilweise bis heute den Blick auf sein Werk. Wie sehen Sie das?


Der Antisemitismus liegt auf uns Deutschen. Es gibt großartige Schriften Wagners, aber auch antisemitische Schriften. Ich habe sehr viel Wagner inszeniert. Ich habe Antisemitismus in seiner Musik und in seinen Werken nicht bemerkt. Wagner wurde missbraucht. Das geht so weit, dass es heißt: „Ohne Wagner kein Hitler.“


Sie meinen, das eine hat mit dem anderen wirklich gar nichts zu tun?

Es hat damit zu tun. 1848 ging eine Revolution schief. Die Bürger haben danach wieder mit den Aristokraten und den Militärs zusammengearbeitet. Für manche Historiker ist das die Geburtsstunde des Faschismus, und das sehe auch ich so. Diese Zeit bildet Wagner ab. Das riesige Orchester, darin spiegeln sich die monströse Industrie und die Militärmaschine. In Wagner ist alles enthalten, was in seiner Zeit enthalten ist – auch der Keim für den Faschismus. Aber ich finde es gut, dass Kunst jeweils die Zeit abbildet. Es ist Sache der Interpreten, was sie daraus machen. Wenn Hans Sachs auftritt, und auf der Bühne heben alle die Hand zum Hitlergruß in den „Meistersingern“, ist das ein Missverständnis!


Die Opern- und Schauspielhäuser Europas müssen sparen. Manche Opernhäuser bekommen statt 50 oder 60 Prozent nur mehr 30 Prozent ihres Budgets von der öffentlichen Hand. Wird es in 20 Jahren in Europa noch so viele Opernhäuser geben wie heute? Was meinen Sie?


Nein, vielleicht die Hälfte. Junge Regisseure haben heute weniger Freiheiten, weil sie sich an Besucher, Intendanten, den Markt anpassen müssen.


Sie kommen aus einem musikalischen Elternhaus, Ihre Mutter war Sängerin, Ihr Vater Dirigent. Wie war Ihre Beziehung?

Ambivalent. Der Vater war sehr dominant, ein toller Typ mit großem Charisma. Alle lagen ihm zu Füßen. Nach den Konzerten griff er zur Geige. Er konnte am Klavier alles auswendig spielen. Er hatte Bärenkraft. Das schlug dann manchmal um: Wenn man ein falsches Wort sagte, konnte er sehr unangenehm werden. Er hat sich verausgabt, er starb mit 60. Das Gute an meinem Elternhaus war die musikalische Ausbildung: Ich habe mehrere Instrumente probiert, kann vom Blatt singen, Partituren lesen, Klavier spielen.


Was inszenieren Sie als Nächstes?

Um mit Brecht zu sprechen: Ich bereite meinen nächsten Irrtum vor. Was mir großen Spaß macht, sind meine Opernworkshops für Regisseure, Sänger. Als Nächstes fahre ich nach Portugal, Japan, Tallinn. In Bratislava bringe ich ein Remake meiner „Bohème“ heraus und in Graz „Jenufa“. Darauf freue ich mich schon ganz besonders.

Hr. Konwitschny, darf man Sie auch fragen . . .

1 . . . ob es zutrifft, was man hört, dass Sie ziemlich cholerisch sein können, und was Sie dann tun?
Das stimmt. Ich kann manchmal sehr wütend werden. Aber in der Sache habe ich immer recht. Wenn jemand ständig zu spät kommt, verliere ich die Geduld. Aber ich glaube nicht, dass ich jemals jemanden ungerechterweise zusammengestaucht habe.

2 . . . ob Sie eine romantische Ader haben? Sie haben vor Kurzem geheiratet . . .
Ja, ich bin romantisch, in einem guten Sinn. Das kann nicht schaden. Man könnte auch sagen: Ich habe ein Herz.

3 . . . ob Sie vor zwei Jahren bei Ihrem Zusammenbruch ein Burn-out hatten? Was war das damals?
Kein Burn-out. Ich wurde nach Leipzig berufen, wir sind mit wehenden Fahnen dahin gezogen. Dann wurde ein Intendant berufen, von dem man wusste, dass er mit unseren Ideen null am Hut hat. Das war ein ganz linkes Ding! Das hat mich umgeworfen. Da konnte ich nicht mehr arbeiten.

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