Ein Lebensweg von Geburt an vorbestimmt

Lebensweg Geburt vorbestimmt
Lebensweg Geburt vorbestimmt(c) EPA (BOGDAN MARAN)
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Das Royal Baby in Großbritannien ist ein Beispiel von vielen: Menschen, denen schon als Kinder eine Rolle vorgegeben wird, die irgendwann die Familientradition weiterführen sollen.

Als er vor 16 Jahren auf die Welt kam, war sein Leben – zumindest in groben Zügen – schon vorherbestimmt. Paul sollte nicht nur der kleine Bruder zweier Schwestern und jüngstes Kind in der Familie sein, sondern auch den elterlichen Bauernhof übernehmen. Zu dessen Fortbestand war er in gewisser Weise ja auch gezeugt worden. „Mir haben zwei Kinder eigentlich schon gereicht“, sagt seine Mutter Elisabeth Wiesmayr. „Aber dann haben wir uns gedacht, probieren wir es halt noch einmal, vielleicht wird's ja doch noch ein Bub.“

Wiesmayr betreibt mit ihrem Mann einen rund 60 Hektar großen Bauernhof im oberösterreichischen Lambach. Zwar hätten auch seine beiden Schwestern den Hof übernehmen können – Mutter Elisabeth Wiesmayr hat diese Erfahrung selbst als jüngste Tochter mit dem elterlichen Hof gemacht –, doch das Interesse der Töchter hielt sich damals schon in Grenzen, die Rolle des Hoferben blieb unbesetzt. Bis Paul geboren wurde.

Es ist ein Gedanke, der ein bisschen esoterisch anmutet – dass der Lebensweg eines Menschen zum Zeitpunkt seiner Geburt schon feststeht. Der Sohn, der irgendwann den elterlichen Bauernhof übernimmt, ist dabei einer der Klassiker – gipfelnd im filmisch umgesetzten Klischee des US-Farmers, der mit seinem Sohn ausreitet und ihm auf einem Berghang mit Blick auf das Land sagt: „Mein Sohn, all das wird einmal dir gehören.“

Einen Satz wie diesen wird vermutlich auch das Royal Baby irgendwann einmal hören, dessen Geburt ganz Großbritannien dieser Tage entgegenblickte. Und das stellvertretend für einen Menschen steht, dessen Lebensweg schon zum Zeitpunkt seiner Geburt sehr genau durchgeplant ist. Von den ersten Momenten im Londoner St. Mary's Hospital über die ersten Fotos für die Medien, von der Erziehung in einer Privatschule bis zur Einweisung in den royalen Alltag, die Berufsausbildung – und irgendwann folgt die Übernahme des britischen Throns. Immerhin, wann das sein wird, steht noch nicht fest. Ein paar Variablen auf dem Lebensweg gibt es dann doch noch. Auch wenn man den Königssprossen den einen oder anderen Ausreißer nachsieht, am Ende geht es darum, das Geschlecht am Leben zu halten und die königliche Familientradition fortzuführen. Diese Rolle hat der Nachwuchs anzunehmen – und macht das in der Regel auch. Die Fälle von Verweigerung des vorbestimmten Lebensweges halten sich in Grenzen.


Ökonomische Sicherheit.
Aber auch abseits der Königshäuser werden Menschen schon zum Zeitpunkt ihrer Geburt auf eine Rolle festgelegt – und auch in diese Rolle gedrängt. Was abseits von Familientradition vor allem mit ökonomischen Fragen zu tun hat. Im Fall des Bauernsohnes ist es natürlich die Nachfolge – jemand muss den Hof weiterführen, den Betrieb am Laufen halten. Und, dieser Hintergedanke war früher noch um einiges wichtiger, jemand muss damit ja auch die Eltern im Alter versorgen können.

Nur mit ökonomischen Gründen lässt sich das Phänomen heute aber nicht mehr erklären. Es kann auch einfach der Gedanke sein, die Tradition fortleben zu lassen, das eigene Werk an die Kinder zu übergeben. Stefan Draxl wusste etwa schon von Kindheit an, dass er oder seine zwei Geschwister in die Fußstapfen ihres Vaters treten sollten. „Es wurde nicht so deutlich kommuniziert, es war eher die Erwartungshaltung“, sagt Draxl. Sein Vater führt seit Jahren eine gut gehende Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei. Einen Anwalt, einen Arzt, einen Steuerberater hätte sich sein Vater in der Familie gewünscht. „Es ist dann nur ein Steuerberater geworden“, sagt Draxl mit einem Grinsen.

Die Rolle des Nachfolgers, die ist ihm als Sandwich-Kind, aber ältesten Sohn, wohl automatisch zugefallen. „Er hat es nicht klar ausgesprochen, dass er es gern hätte, aber als Kind kennt man seine Eltern gut und weiß, was sie gern haben“, sagt Draxl, „und was nicht.“ In jüngeren Jahren, erinnert er sich, hat es immer Andeutungen gegeben. In der Schule hat der Vater seine Klasse in die Kanzlei eingeladen, immer wieder von seiner Arbeit erzählt und ihn auch so leicht in Richtung Wirtschaft gedrängt. Welcher Teenager bekommt schon in der Pubertät Kommentare zu Gesetzestexten oder Volkswirtschaftsbücher geschenkt?

Spricht man mit Draxls Vater Otto, hört sich die Geschichte freilich ganz anders an. „Ich bin in ein Umfeld gekommen, in dem sehr viel Psychologie und Psychotherapie gelebt wird. Und ich hab mir immer gedacht: ,Um Gottes Willen, ich will keines meiner Kinder in der Berufswahl beeinflussen. Ich wollte nie hören: ,Eigentlich wäre ich viel lieber Künstler geworden‘.“


Lebenswerk nicht zerschlagen.
Doch auch, wenn er die freie Entscheidung des Sohnes betont – im Hinterkopf war der Wunsch wohl sehr präsent. Und die Erleichterung über den Sohn als Nachfolger ist spürbar. „Ich habe die Kanzlei von null auf aufgebaut. Es bedeutet mir viel, dass mein Lebenswerk nicht zerschlagen wird.“ Trotzdem zögerte Draxl junior, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. „Ich wollte mich lange nicht festlegen.“

Warum, das weiß er selbst nicht so genau. Vielleicht, meint er, weil er doch nicht die Wünsche des Vaters erfüllen wollte. Ein kleiner Akt der Rebellion, auch wenn der Vater mit den Jahren immer ungeduldiger wurde. Immer häufiger nachfragte: Willst du? Willst du nicht? Da hat der Sohn im Studium ohnehin schon längst die Weichen Richtung Steuerberatung gelegt.

Mit 25 Jahren begann er schließlich langsam, bei seinem Vater zu arbeiten, erst geringfügig, dann immer mehr. Bis schließlich klar war, dass er die Firma tatsächlich (gemeinsam mit einem Freund) übernehmen würde. Heute sind beide glücklich mit der Entscheidung. Der Vater wird sich langsam zurückziehen und Stefan Draxl, so scheint es, hat den richtigen Beruf gefunden. Einen anderen Plan, sagt er im Nachhinein, hätte es eh nicht gegeben.

Es fügt sich also alles so, wie es soll. Zumindest in diesem Fall. Immer wieder kommt es aber auch vor, dass den Kindern der Druck zu groß wird. Dass sie in dem Rollenkorsett, in das sie von ihren Eltern gesteckt wurden, nicht glücklich werden. Die die Erwartungen ihrer Eltern nicht erfüllen können oder wollen – was nicht heißen muss, dass sie deswegen unerfolgreich sein müssen. „Ein Lauda hat auf den Wirtschaftsseiten der Zeitung zu stehen, nicht im Sportteil“, hatte etwa der Industrielle Hans Lauda einst auf die Bestrebungen seines Enkels geantwortet, der Autorennfahrer werden wollte. Mit der Karriere als Wirtschaftskapitän, die für den Spross einer Industriellenfamilie vorgesehen war, konnte er sich nicht anfreunden. Das war nicht seine Welt. Er machte schließlich doch Karriere, allerdings als Sportler, wurde dreimal Formel-1-Weltmeister, später auch Teamchef. Späte Ironie der Geschichte: Das mit der Wirtschaft holte er später doch noch nach – als Betreiber zweier Fluglinien. Vielleicht war es also letztendlich doch eine Karriere, wie sie auch sein Großvater, der frühere Clan-Chef, goutiert hätte.

Derlei Ausreißer erwarten die Wiesmayrs in Oberösterreich nicht. Sohn Paul war zum Glück von Anfang an begeisterter Bauer. Und mehr noch: „Für mich ist das eine Ehre, den Hof zu übernehmen. Unsere Familiengeschichte wird ja so weitergeführt“, sagt der 16-Jährige selbstbewusst. Druck, dass er den Hof hätte übernehmen müsse, habe er nicht verspürt, sagt er. Auch wenn er sich nicht an eine Zeit erinnern kann, in der je eine andere Variante zur Debatte gestanden wäre. „Ich finde es gut, wenn ich seh, was die Leute zum Essen kriegen. Und ohne mich könnten sie das nicht.“ Die Hofarbeit kennt er – so wie seine beiden Schwestern – von Geburt an.


Zwingen? Nie. Wiesmayrs Eltern sind ob der Entwicklung ihres Sohnes freilich mehr als glücklich. Auch wenn es keine Garantie gibt, dass der Sohn die Landwirtschaft tatsächlich übernimmt. „Man weiß ja nicht, was in zwei bis drei Jahren sein wird“, sagt die Mutter. Würde er tatsächlich aufhören, hätte sie aber keine Probleme damit. „Wobei, ich rede jetzt leicht, ich weiß ja, dass er den Hof übernehmen will.“ Zwingen, sagt sie, würden sie ihren Sohn dennoch nie.

„Mama, dort, wo deine Obstbäume sind, da kommen Felder hin“, hat Paul seiner Mutter schon mehrmals angekündigt. Und er plant auch schon, weitere Felder in der Umgebung zu übernehmen. Dann, wenn er die Nachfolge seiner Eltern angetreten hat. So, wie es sich seine Eltern wünschen. In der Rolle, in der sie ihn schon von seiner Geburt an gesehen haben. Damals, als er auf die Welt kam, vor 16 Jahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2013)

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