Formeln für die Liebe

glueckliches Paar - lucky couple
glueckliches Paar - lucky couple(c) www.BilderBox.com
  • Drucken

Kann man Liebe berechnen? Und das, was sie erhält, in Formeln gießen? Psychologieprofessor John Gottman errechnet das Vertrauensniveau als Basis der Liebe – und erklärt in »Die Vermessung der Liebe«, wie man es repariert.

Sie: Ich will etwas dazu sagen. Er: Warte, ich bin noch nicht fertig. Sie: Was ich sagen will...Er: Siehst du, genau darüber spreche ich die ganze Zeit... Sie: Ja, ich weiß, aber... Er: Du lässt mich nicht ausreden. Sie: Ich muss jetzt etwas sagen... Er: Nein. Weil, wenn du mir ins Wort fällst... Sie: Ich habe hier auch etwas zu sagen. Er: Halt den Mund!!

Es ist einer von tausenden Paardialogen, die John Gottman in seinem Beziehungsforschungsinstitut in Seattle, dem berühmten Love Lab, gehört hat. Der emeritierte Psychologieprofessor der University of Washington untersucht seit 40 Jahren, was es ist, das Paare so gegeneinander aufbringt, dass ein Dialog wie der obige, den er in seinem Buch zitiert, im Streit endet, bevor er noch richtig begonnen hat.

In seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Vermessung der Liebe“ widmet sich der Bestsellerautor nun den Themen Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen. Zuvor hat er sich mit Titeln wie „Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe“ oder „Glücklich verheiratet? Warum Ehen gelingen oder scheitern“ einen Namen als einer der einflussreichsten Beziehungsforscher gemacht. Und nein, es ist nicht ganz so simple Küchentisch-Psychologie, wie es die Buchtitel nahelegen würden.

Gottman analysiert Beziehungen, nähert sich ihnen aus spieltheoretischer Sicht, bis er Dynamiken, Funktionieren und Scheitern auf mathematische Formeln herunterbrechen kann. Wie macht man das, wie seziert man Liebe quasi unter Neonlicht am Labortisch? Gottman beobachtet dafür Paare, wie sie über Alltagsthemen sprechen, Konflikte austragen, er untersucht Kommunikationsstil, Biorhythmus, misst körperliche Reaktionen wie den Puls. Mitunter beobachtet er sie, wie sie ein Wochenende in einem eigens adaptierten Apartment mit Seeblick (und Videokameras) verbringen.

Nachdem Gottman schon Formeln, mit denen er Bestehen oder Scheitern von Ehen voraussagen will, entwickelt hat, geht es in seinem jüngsten Modell um Vertrauen. Aber all seinen Tabellen und Formeln zum Trotz, das Resümee des Professors ist simpel: Die Basis jedes Beziehungsglücks, der zentrale Dreh- und Angelpunkt, ist Vertrauen.

Und zugleich will der 72-Jährige herausgefiltert haben, was Paare ins Unglück stürzt, was alle unglücklichen Paare gemeinsam haben: Sie reden aneinander vorbei – oder versuchen gar nicht mehr zu kommunizieren. Sie haben etwas verloren, was er als „Magie“, als Leidenschaft füreinander, beschreibt. Was diese zerstört? „Vielleicht halten Sie es für eine Binsenweisheit, wenn ich sage, dass der Name dieses giftigen Eindringlings Untreue lautet“, schreibt er. Aber, es geht ihm bei Untreue nicht bloß um Betrug, um Fremdgehen. Vielmehr liege jeder scheiternden Beziehung Untreue zugrunde. Selbst, wenn die nicht bewusst sei.


Egoismus oder Kälte als Betrug. Stellt ein Partner die Karriere über die Beziehung, zögert eine Frau entgegen aller Versprechungen die Familiengründung hinaus, sei das ebenso Untreue. Gefühlskälte, Egoismus, Ungerechtigkeit, Lüge, ein Bündnis gegen den Partner zu schmieden, der Entzug von sexueller Zuwendung, Respektlosigkeit oder eine nicht sexuelle Affäre – genauso ein Ausdruck davon und mitunter so zerstörerisch wie ein Seitensprung.

Gottman bezeichnet Betrug in allen Formen als Gift in Beziehungen. Aber er hat auch ein Gegengift identifiziert: Vertrauen. „Das mag sich wieder nach einer Selbstverständlichkeit anhören, aber glückliche Paare versichern immer wieder, dass Vertrauen ihnen Sicherheit gibt, ihre Liebe vertieft, ihre Freundschaft und sexuelle Intimität bewahrt. Unglückliche Paare hingegen vermissen dieses Element.“

Und wie es um eine Beziehung, um ihr Vertrauens- und Treulosigkeitsniveau bestellt ist, das lässt sich berechnen. Gottman hat anhand seiner Analysen einen Test erstellt, mithilfe dessen man im Buch, anhand zahlreicher Fragen zur Beziehung, das jeweilige Vertrauensniveau der Partnerschaft ermitteln kann. Schließlich sei Vertrauen seiner Definition nach kein unbestimmtes Gefühl, kein undefinierbares Etwas zwischen zwei Menschen. „Es ist ein bestimmter Zustand, bei dem beide Seiten bereit sind, zum Wohl des Partners das eigene Verhalten zu ändern. Je mehr Vertrauen vorhanden ist, umso mehr achtet man aufeinander und findet Rückhalt. In einer vertrauensvollen Beziehung freut man sich über den Erfolg des anderen und macht sich Sorgen, wenn er in Schwierigkeiten steckt. Macht der eigene größtmögliche Vorteil den anderen unglücklich, kann man darüber nicht glücklich sein“, lautet seine Definition.


Loyalität schützt vor Affären. Und – er hat allerlei Ratschläge, auch anhand realitätsnaher Dialoge oder Leitfäden für Gespräche, mit denen man Vertrauen reparieren könne. Denn das sei ihm zufolge kein Persönlichkeitsmerkmal, das man hat oder nicht. Sondern, die meisten Paare könnten ihr Loyalitätsniveau steigern und sich so vor Untreue schützen. Einfach gesagt geht es Gottman darum, sich aufeinander abzustimmen, die Kunst des intimen und konstruktiven Konfliktgesprächs zu üben, offen, aufrichtig, zuverlässig und loyal miteinander umzugehen, rät er.

„Der beste Rat“, so Gottman, „den ich geben kann, wenn ich gebeten werde, Liebe zu definieren, oder Weisheiten aus Studien zum Besten zu geben, hat aber nichts mit wissenschaftlichen Untersuchungen über Reparaturversuche zu tun. Vielmehr geht es darum, einander zu ehren und dankbar dafür zu sein, dass es den anderen gibt.“

Das Buch

John Gottman beschreibt anhand der Erkenntnisse aus seinem Love Lab die Bedeutung von Vertrauen. »Die Vermessung der Liebe«, 2014, Klett Cotta, 22,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.