Viktorianische Wäsche und das letzte Hemd

ENTERTAINMENT MODE Paris Fashion Week Louis Vuitton Modenschau Oct 7 2015 Paris France Loui
ENTERTAINMENT MODE Paris Fashion Week Louis Vuitton Modenschau Oct 7 2015 Paris France Loui(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Prêt-à-porter 2016. Mode, aktuell wie nie: Manche der in Paris gezeigten Kollektionen schienen Schlagzeilen zu entspringen.

Paris. Wenige Tage vor Beginn der Modewoche in Paris sorgte die französische Unterrichtsministerin mit dem Wunsch nach Einführung eines täglichen Diktats in den Schulen für Aufregung. Das passte insofern ganz gut, als sich auf ihre Weise auch die wichtigsten Modehäuser zur Angelegenheit einer „dictée quotidienne“ äußerten – wenngleich in Form der von ihnen erhofften Stildiktate.

Bei Dior verband Raf Simons seinen Diktattext etwa mit Geschichtskenntnissen: Er streckte seine Inspirationsantennen in das 19. Jahrhundert zurück und entbrannte für die züchtige Unterwäsche des nicht eben als progressiv geltenden Victorian Age: Wie oft man die unter transparenten Kleiderwolken getragenen Baumwollshorts und -leibchen mit Rundsaum auf der Straße sehen wird, bleibt abzuwarten. Zeitgemäßer waren Simons' Positionen zum feminin gebrochenen Parka nicht viktorianischer Art.

Historisierend war auch die opulente Kollektion von Sarah Burton für Alexander McQueen, bei Saint Laurent überraschte Hedi Slimane abermals niemanden – bloß Strassdiademe setzte er seinen Models auf und ließ manchen an Courtney Loves Neunzigerjahre-Look denken. Ebenfalls Diademe trugen die Mannequins bei dem Defilee von Miuccia Pradas Zweitlinie Miu Miu: Hier ist der Mut zu wilden Kombinationen, Mustermix und gut gemeisterten Moderegelverstößen ungebrochen.

Valentinos Reise nach Afrika

Ähnlich schöngeistig wie Frau Prada ist der Schweizer Albert Kriemler: Diesmal war seine Kollektion von der Arbeit des japanischen Architekten Sou Fujimoto inspiriert, ein Bekenntnis zu Ecken und Kanten und dekonstruktivistischen Ansätzen. Ähnliche Frauen wie die Power-Dressing-Adeptinnen von Akris können sich wahrscheinlich für die Vision von Nadège Vanhee-Cybulski bei Hermès begeistern. In ihrer zweiten Saison setzt sie die Arbeit an einer kompletten Garderobe fort, will zeitlose Stücke ebenso wie mit den Jahreszeiten wechselnde Kleider schaffen, was ihr dank aufwendiger Materialrecherche und bestmöglicher Verarbeitung gelingt.

Weniger zurückhaltend, wiewohl stets sehr geschmackvoll, sind die Entwürfe von Pierpaolo Piccioli und Maria Grazia Chiuri für Valentino: Von der römischen Identität des Hauses rücken die beiden im Sommer 2016 ein wenig ab und begeben sich auf eine Reise nach Afrika. Wiewohl solche Exotismen ein schwieriges Terrain darstellen, bleiben bei Valentino doch, wenn man von entbehrlichem Laufstegaufputz, etwa Tigerzahnketten, absieht, sehr schöne Vorschläge für sommerliche Bekleidung in Erinnerung.

Einen etwas weniger kompakten, „angezogenen“ Gesamteindruck als zuletzt (das ist in der Modefachsprache durchaus ein Kompliment) hinterließ die Kollektion von Nicolas Ghesquière für Louis Vuitton: Bikerjacken, Plateausandalen, plissierte Seesack-Taschen deutete auf ein – zumindest im Geist – junges Zielpublikum hin. Besonders die Kollektionsteile mit von Monogramm- und Damiermuster gezierten Ledereinsätzen haben für Vuitton-Fans wahrscheinlich Lieblingsstück-Potenzial.

Von tagesaktueller Relevanz war das von Karl Lagerfeld orchestrierte Chanel-Defilee: Einen Tag, nachdem Air-France-Mitarbeiter bei Protesten zwei Vorstandsmitgliedern das letzte Hemd vom Körper gerissen hatten, schickte Lagerfeld seine Sommerkollektion in einer im Grand Palais errichteten Flughafenattrappe zum Check-in. Das „Chanel Airlines“-Motto traf gleich mehrere Nerven, zum Glück auch jenen der Modewelt. Ungeachtet aller Bewunderung für solch großes Spektakel waren die Besucher von Lagerfelds ungebrochener Verve als Modemacher beeindruckt. Seine nicht enden wollenden Fantasien waren leicht, frech, witzig und frisch wie lang nicht und doch, selbst wenn das wegen des Luftfahrtmottos im engeren Sinn eine Themenverfehlung darstellen mag, alles andere als abgehoben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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