Der lange Weg vom Käse-Igel zum Cupcake

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Symbolbild(c) AP (John Raoux)
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Vom Aufstieg und Fall der Modelebensmittel: Warum die Kiwi ihren Glanz verlor, wie dem Toast Hawaii jetzt ein Denkmal gesetzt wurde und worauf wir in 20 Jahren mit mildem Lächeln zurückblicken werden.

Sie waren die schönen Schwestern der 1980er-Jahre: die Lasagne und ihre Begleiterin, das Tiramisu. Kaum ein privates Fest, an dem sie nicht teilnahmen. Und wer nicht wusste, wie man sie zubereitete, hat einfach nicht richtig dazugehört. Und wusste womöglich nicht einmal, wer Falco war. Heute outet man sich mit dem Angebot, zur Nachspeise ein Tiramisu mitzubringen, als 40plus oder zumindest als kulinarisch etwas rückwärtsgewandt. Dem kalorienreichen Dessert ist ein Schicksal zuteil geworden, das es mit anderen einst populären Gerichten teilt.

Wobei einige Vertreter der frühen Trendspeisen durchaus zu späten Ehren kommen: Dem Hawaii-Toast beispielsweise setzte jüngst der Berliner „Elektrolore“-Künstler Alexander Marcus mit seinem „Hawaii Toast Song“ ein Denkmal. Und brachte es damit ins Studio zu Grissemann und Stermann und auf bis dato über fünf Millionen Klicks bei YouTube.

Ein Ruhm in reifen Jahren, der bei Weitem nicht allen verblichenen Modegerichten vergönnt ist. So glänzen etwa der Käse-Igel und der Ei-Tomaten-Fliegenpilz – die Stars der kalten Platten in den 1950er- und 1960er-Jahren – heute eher in Retro-Kochbüchern als auf modernen Designertischen. Und einige Statussymbole des kosmopolitischen Geschmacks haben sich sogar ins Gegenteil verkehrt: Das Kredenzen von Kiwis beim Sonntagsbrunch etwa sieht man bestenfalls noch den Schwiegereltern nach.

Wie bringt man es also als Gericht oder Produkt für eine gewisse Zeit auf den Olymp der In-Nahrungsmittel? Was hat der Broccoli, was der Karfiol nicht hat, und wieso war der Raukesalat über Jahrhunderte nur ein Arme-Leute-Essen und stieg erst nach seiner Übersetzung ins Italienische zum Salatstar Rucola auf?

Zumindest bis zur Jahrtausendwende gab es ein paar einheitliche Faktoren, die für den Aufstieg eines Lebensmittels oder eines Gerichts unabdingbar waren. Ganz pragmatisch war da zunächst vor allem die Verfüg- und Bezahlbarkeit für die breite Masse. Eine wichtige Marke dabei war der Einzug der Kühlschränke in die Privathaushalte – das neue Gerät entzog nicht nur den Gasthäusern das Privileg der eisgekühlten Getränke, sondern ermöglichte es auch der Hausfrau, durch das Servieren von Joghurtnachspeisen oder gar Milchshakes elegant auf die Wohlsituiertheit ihres Hausstandes aufmerksam zu machen.

Ananas aus der Munitionsfabrik. Oder die nach dem Krieg einsetzende Umrüstung von Munitions- zu Konservenfabriken, die den Siegeszug der Dosen-ananas einläutete – und damit auch den des Hawaii-Toasts, wie Foodtrendforscherin Hanni Rützler berichtet. Später war es der aufblühende Tourismus, speziell nach Italien, der nach den ersten Jahren der Souvenir-Chiantiflaschen dann auch Kochrezepte, Mascarpone (Tiramisu!) und überhaupt die Nudel über Brenner und Semmering brachte.

Wobei die Essensmoden – wie alle anderen Moden auch – gewissen Phasen unterliegen: „Zunächst haben die vermögenderen Schichten Zugang und schaffen eine Nachfrage, die die Produkte dann für alle verfügbar machen“, erklärt Susanne Breuss, Kuratorin des Wien-Museums mit Schwerpunkt Alltag- und Konsumkultur, die Entstehung der Hypes.

Tischthemen. Doch Verfügbarkeit allein macht noch lange keinen Hawaii-Toast. „Es geht immer darum, welche Themen wichtig sind, um die herum lagern sich die  Produkte an, die nachgefragt werden“, so Breuss. „Wenn eine Gesellschaft fernwehkrank ist, holt sie sich die Welt mit Nahrungsmitteln ins Haus.“ Und wenn die Tristesse der Nachkriegszeit überwunden werden soll, helfen leistbare Lebensmittel, die bunt garniert und verziert werden wie der berühmte Käse-Igel, sich in eine bessere Zukunft zu imaginieren.

Pilz mit Mayonnaisetupfern
. „Der Fliegenpilz aus einem halben Ei mit Tomatendeckel und Mayonnaisetupfern  war der Einstieg in die Buffet- und Partykultur der 1950er- und 1960er-Jahre“, sagt auch Rützler, Eine Zeit, in der die Nahrungsmittel kleiner und bunter wurden – der ganz große Hunger war gestillt – und es mit den Buffets wieder den ersten kleinen Luxus gab.

Der nächste große Luxus hieß dann Reisen, und der Massentourismus bescherte dem geneigten Publikum in dieser oder ähnlicher Reihenfolge Pizza, Pasta und Rucola, das Schweinefleisch süß-sauer, die Madras-Platte, Tom Yum Gung, dann kamen Sushi und  Sashimi – und schließlich zog auch noch das Wissen über den korrekten Einsatz von Zitronengras in die heimischen Küchen ein.

Mit Beginn des neuen Jahrtausends begann sich der Trend langsam umzukehren – mit der Hinwendung zur Individualisierung ging auch jene zur Regionalisierung einher. Rützler: „Die Globalisierung schiebt auch die Regionalisierung an.“ So geht man heute nicht mehr zum „Italiener“, sondern friulanisch oder toskanisch essen. Die Tatsache, dass Asiens kulinarische Angebote über das „Huhn mit Acht Schätzen“ hinausgeht, hat sich ebenfalls herumgesprochen.

Und die Rückbesinnung auf die heimischen regionalen Produkte hat den Siegeszug von Mango und Papaya wenn nicht beendet, so doch zumindest zugunsten von Weichsel und Siriusapfel deutlich gedämpft.

Kandidat Cupcake. Bleibt die Frage, worauf wir in 20 Jahren mit mildem Lächeln zurückblicken werden. Kandidaten der Saison 2012 könnten Bubble Tea und Cupcake sein. Wobei Susanne Breuss eine Hypothese über deren „Vorfahren“ aufstellt: „Ich glaube, der Cupcake ist die Bobo-Variante der kalten Platten der 1950er- und 1960er-Jahre. Schließlich geht es dabei auch vor allem um das Verzieren, und darum, mit wenigen Mitteln etwas Leistbares gut aussehen zu lassen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2012)

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