Wenn Slow Food auftischt: Hektik statt Ruhe

Wenn Slow Food auftischt
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Die kulinarischen Messen Salone del Gusto und Terra Madre wurden heuer erstmals in Turin zusammengelegt. Präsentiert wurde Slow Food auf 82.000 m.

Ein Mann blickt verzweifelt um sich und sucht nach seiner Frau, die er im Gedränge verloren hat. Ein anderer starrt einfach nur ins Leere und wirkt – wie die meisten hier – überfordert. Ein Dritter kann sich einfach nicht entscheiden, bei welcher der zahlreichen Kostproben er zugreifen soll und wählt schlussendlich eine dünn aufgeschnittene Wildschweinsalami, die plötzlich wie aus dem Nichts auftaucht. Blöd nur, dass die Dame, die den Teller mit der Salami hält, keine Produzentin ist, die Gratiskostproben verteilt, sondern ebenfalls eine Besucherin, die sich soeben einen kleinen Snack gekauft hat. Das Missverständnis ist schnell aufgeklärt, der Herr entschuldigt sich, die Dame nimmt es ihm nicht weiter übel. So etwas kann im Gedränge schon einmal passieren. Außerdem geht es hier doch um die gute Sache, genau genommen um das gute, fair und nachhaltig produzierte Essen.


Ein Markt auf elf Fußballfeldern. Das stand nämlich bei der großen Slow-Food-Messe Salone del Gusto, die vergangenes Wochenende in Turin stattgefunden hat, im Mittelpunkt. Und es ging aufgrund der Größe und Masse, mit der die Messe alle zwei Jahre aufwartet, bei dem einen oder anderen überforderten Besucher leider völlig unter. Der Salone del Gusto, bei dem sich italienische Produzenten und Lebensmittelhersteller, die gut, fair und nachhaltig produzieren, präsentieren, wurde heuer nämlich erstmals mit dem Treffen der internationalen Lebensmittelbündnisse, der Terra Madre, zusammengelegt.

In Summe ergab das eine gigantische kulinarische Spezialitätenmesse auf 82.000 Quadratmetern – ungefähr so groß wie das Donauzentrum Wien oder elf Fußballfelder – mit mehr als 1000 Ausstellern und 400 Lebensmittelbündnissen aus rund 100 Ländern. Hinzu wurden insgesamt 1200 Weine in der mehrstöckigen Rampe der ehemaligen Fiat-Fabrik oder in einem zur Vinothek umfunktionierten Bierzelt verkostet. Ein ebenfalls nicht gerade kleines Bierzelt zwischen den beiden Messen bot unter dem Motto „Street Food“ gesundes Fast Food an, das die Gäste stehend verzehrten – unbeeindruckt von dem Lärmpegel, der hin und wieder von einem Werkelmann noch ein bisschen in die Höhe geschraubt wurde.

Und weil Essen und Trinken allein dann doch zu praxisnah sind, wurden insgesamt rund 200Diskussionen, Workshops und Vorträge im Rahmen des Salones del Gusto angeboten. Zusätzlich fanden zeitgleich der internationale Slow-Food-Kongress sowie an die 60 Konferenzen statt. Allein das recht unübersichtliche Programmheft umfasst 73 A4-Seiten. Dafür standen gerade einmal fünf Tage zur Verfügung. Fünf Jahre wären da schon realistischer gewesen.

Die Italiener ließen sich davon aber nicht abschrecken. Geduldig stellten sie sich an einem der vielen Ticketschalter vor der Lingotto Fierre in der einstigen Fiat-Fabrik an, um eine Eintrittskarte für 20Euro zu ergattern. „Das würden die Österreicher wohl nie machen“, sagt dazu Sabine Flöcklmüller von der AMA, die sich ebenfalls auf der kulinarischen Messe umsah. Schulklassen fanden sich ebenso unter den Besuchern wie Einkäufer, Händler, viele Italiener und Touristen aus dem Ausland.

Während es Slow Food selbst um die Idee geht – um gutes, fair und nachhaltig produziertes Essen –, denken die meisten Aussteller eher ans Geschäft. „Slow Food hat mich eingeladen, ich verkaufe hier sehr gut“, sagt eine chilenische Gewürzhändlerin, die das traditionelle Chili-Gewürz Merkén verkauft – um fünf Euro für 40 Gramm. Ähnlich sehen das der indonesische Reishändler oder die ecuadorianische Händlerin, die Araruta-Wurzeln anbietet.


Die Reichen zahlen für die Armen. Bei den europäischen und nordamerikanischen Händlern – die mit einer wesentlich höheren Standmiete die afrikanischen und südamerikanischen Kollegen finanzieren – steht meist etwas anderes im Vordergrund: Bei ihnen ist eher ein „Wir sind die Guten“-Gefühl zu spüren. „Verkauf ist hier kein Thema, es geht um die Idee von Carlo Petrini (Slow-Food-Gründer, Anm.)“, sagt der österreichische Käseproduzent Robert Paget. Für andere wiederum steht der Kontakt mit Gleichgesinnten im Vordergrund. „Der Bäcker Gragger hat zum Beispiel erzählt, dass es sich für ihn allein schon deshalb ausgezahlt hat, weil er einen australischen Bäcker kennengelernt hat, der ähnlich arbeitet wie er“, sagt Slow-Food-Wien-Chefin Barbara van Melle.

Natürlich, die Idee vom besseren Essen in einer besseren Welt hat durchaus etwas für sich. Denn tatsächlich hinterlässt die Pizza, deren Teig zuvor 42 Stunden rasten durfte, damit er im Magen nicht weitergärt, kein Völlegefühl. Und auch der zehnjährige Käse, der auf bis zu 2000 Meter Seehöhe unmittelbar nach dem Melken der Kühe verarbeitet wird und somit sehr lange haltbar bleibt ohne trocken zu schmecken, hat etwas für sich. Aber wenn man das Ganze dann in einem Umfeld verspeist, in dessen Vergleich die Mariahilfer Straße an einem Adventsamstag wie eine Ruheoase wirkt, dann stellt sich doch die Frage, was genau denn daran „slow“ sein soll. Außer vielleicht der Kopf der überforderten Besucher, der schon aus Selbstschutz ziemlich rasch auf Stand-by schaltet.

Lexikon

Der Salone del Gusto wird alle zwei Jahre von Slow Food, der Region Piemont und der Stadt Turin ebendort veranstaltet. Heuer wurde die Messe, bei der sich italienische Produzenten präsentieren, vom 25. bis 29. 10. erstmals mit dem Welttreffen Terra Madre zusammengelegt. Die Zahlen:

220.000 Besucher
82.000
Quadratmeter
1000
Aussteller & Kleinproduzenten
2,35 Millionen Euro
Markenwert
40 Millionen Euro
Umwegrentabilität

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2012)

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